Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

standenen Stimmungen unsers Gemüthes machen kann und darf, und wie er im Stande ist, auch in diesem aus Träumen geflochtenen Netz die Schönheit zu fangen.

Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen Dingen sehr bald fertig, wenn wir nur eine Norm und Regel annehmen, in leidenschaftlicher Verblendung alles Göttliche auf Einen Namen übertragen und von dem einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er nicht geleistet hat oder nicht leisten konnte, der doch auch nur ein Einzelner und Sterblicher war, dessen Blick nicht in alle Tiefen drang, und dem wenigstens der Tod die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig gewesen, alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu lassen. Schranke muß sein; wer bezweifelt das? Aber so manche Altklugheit, die sich im Halten der Regel so groß dünkt, erinnert mich immer wieder an die sonderbare Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird und man von seinem Schnabel aus einen Kreidestrich auf den Boden hinzieht, unbeweglich und andächtig liegen bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher Naturnothwendigkeit, philosophischen Regel oder unerläßlichen Kunstschranke gefesselt glaubt.

Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher Herr, sagte der Fremde in etwas hohem Tone. Die gute Erziehung wird freilich bald zu den verlorenen Künsten gerechnet werden müssen.

Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich,

standenen Stimmungen unsers Gemüthes machen kann und darf, und wie er im Stande ist, auch in diesem aus Träumen geflochtenen Netz die Schönheit zu fangen.

Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen Dingen sehr bald fertig, wenn wir nur eine Norm und Regel annehmen, in leidenschaftlicher Verblendung alles Göttliche auf Einen Namen übertragen und von dem einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er nicht geleistet hat oder nicht leisten konnte, der doch auch nur ein Einzelner und Sterblicher war, dessen Blick nicht in alle Tiefen drang, und dem wenigstens der Tod die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig gewesen, alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu lassen. Schranke muß sein; wer bezweifelt das? Aber so manche Altklugheit, die sich im Halten der Regel so groß dünkt, erinnert mich immer wieder an die sonderbare Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird und man von seinem Schnabel aus einen Kreidestrich auf den Boden hinzieht, unbeweglich und andächtig liegen bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher Naturnothwendigkeit, philosophischen Regel oder unerläßlichen Kunstschranke gefesselt glaubt.

Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher Herr, sagte der Fremde in etwas hohem Tone. Die gute Erziehung wird freilich bald zu den verlorenen Künsten gerechnet werden müssen.

Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0058"/>
standenen Stimmungen                unsers Gemüthes machen kann und darf, und wie er im Stande ist, auch in diesem aus                Träumen geflochtenen Netz die Schönheit zu fangen.</p><lb/>
        <p>Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen Dingen sehr bald fertig, wenn                wir nur eine Norm und Regel annehmen, in leidenschaftlicher Verblendung alles                Göttliche auf Einen Namen übertragen und von dem einseitigen Erkennen seiner dann                abweisen, was er nicht geleistet hat oder nicht leisten konnte, der doch auch nur ein                Einzelner und Sterblicher war, dessen Blick nicht in alle Tiefen drang, und dem                wenigstens der Tod die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig gewesen, alle                Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu lassen. Schranke muß sein; wer bezweifelt                das? Aber so manche Altklugheit, die sich im Halten der Regel so groß dünkt, erinnert                mich immer wieder an die sonderbare Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und                kriegerisch er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird und man von seinem                Schnabel aus einen Kreidestrich auf den Boden hinzieht, unbeweglich und andächtig                liegen bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher Naturnothwendigkeit,                philosophischen Regel oder unerläßlichen Kunstschranke gefesselt glaubt.</p><lb/>
        <p>Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher Herr, sagte der Fremde in etwas                hohem Tone. Die gute Erziehung wird freilich bald zu den verlorenen Künsten gerechnet                werden müssen.</p><lb/>
        <p>Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0058] standenen Stimmungen unsers Gemüthes machen kann und darf, und wie er im Stande ist, auch in diesem aus Träumen geflochtenen Netz die Schönheit zu fangen. Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen Dingen sehr bald fertig, wenn wir nur eine Norm und Regel annehmen, in leidenschaftlicher Verblendung alles Göttliche auf Einen Namen übertragen und von dem einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er nicht geleistet hat oder nicht leisten konnte, der doch auch nur ein Einzelner und Sterblicher war, dessen Blick nicht in alle Tiefen drang, und dem wenigstens der Tod die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig gewesen, alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu lassen. Schranke muß sein; wer bezweifelt das? Aber so manche Altklugheit, die sich im Halten der Regel so groß dünkt, erinnert mich immer wieder an die sonderbare Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird und man von seinem Schnabel aus einen Kreidestrich auf den Boden hinzieht, unbeweglich und andächtig liegen bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher Naturnothwendigkeit, philosophischen Regel oder unerläßlichen Kunstschranke gefesselt glaubt. Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher Herr, sagte der Fremde in etwas hohem Tone. Die gute Erziehung wird freilich bald zu den verlorenen Künsten gerechnet werden müssen. Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/58
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/58>, abgerufen am 02.05.2024.