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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Was hast du gesehen? antwortete im Eifer der Alte: was verstehst du von der Magie der Kunst und jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die Farbe und Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind eben Geheimnisse für den Laien. Glaubst du denn, man malt nur, um zu malen, und daß es mit Palette, Pinsel und dem guten Vorsatze genug sei? O theurer Gelbschnabel, da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen, astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister zusammen treffen, um etwas Rechtschaffenes zu Stande zu bringen! Hast du es noch niemals erlebt, daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch und Netz ausspannt und seine Pinsel in die besten Farben taucht, um das schönste Ideal in sein Netz zu locken und hinein zu kitzeln? Er hat sich redlich vorgenommen, einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und wischt und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel hervorgehen soll; und wenn es nun fertig ist, siehe da, so hat sich in alle die künstlichen Netze ein wahrer Lümmel eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen und schreien und toben: der Malerkerl hat kein Talent, er hat die Antike nicht gehörig verstanden, er hat statt eines Ideals ein Schmierial hervorgebracht! und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen werden. So wird alsdann das gerührte Herz des Künstlers verkannt, dem sich ein wahrer

Was hast du gesehen? antwortete im Eifer der Alte: was verstehst du von der Magie der Kunst und jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die Farbe und Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind eben Geheimnisse für den Laien. Glaubst du denn, man malt nur, um zu malen, und daß es mit Palette, Pinsel und dem guten Vorsatze genug sei? O theurer Gelbschnabel, da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen, astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister zusammen treffen, um etwas Rechtschaffenes zu Stande zu bringen! Hast du es noch niemals erlebt, daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch und Netz ausspannt und seine Pinsel in die besten Farben taucht, um das schönste Ideal in sein Netz zu locken und hinein zu kitzeln? Er hat sich redlich vorgenommen, einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und wischt und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel hervorgehen soll; und wenn es nun fertig ist, siehe da, so hat sich in alle die künstlichen Netze ein wahrer Lümmel eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen und schreien und toben: der Malerkerl hat kein Talent, er hat die Antike nicht gehörig verstanden, er hat statt eines Ideals ein Schmierial hervorgebracht! und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen werden. So wird alsdann das gerührte Herz des Künstlers verkannt, dem sich ein wahrer

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[0093] Was hast du gesehen? antwortete im Eifer der Alte: was verstehst du von der Magie der Kunst und jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die Farbe und Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind eben Geheimnisse für den Laien. Glaubst du denn, man malt nur, um zu malen, und daß es mit Palette, Pinsel und dem guten Vorsatze genug sei? O theurer Gelbschnabel, da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen, astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister zusammen treffen, um etwas Rechtschaffenes zu Stande zu bringen! Hast du es noch niemals erlebt, daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch und Netz ausspannt und seine Pinsel in die besten Farben taucht, um das schönste Ideal in sein Netz zu locken und hinein zu kitzeln? Er hat sich redlich vorgenommen, einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und wischt und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel hervorgehen soll; und wenn es nun fertig ist, siehe da, so hat sich in alle die künstlichen Netze ein wahrer Lümmel eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen und schreien und toben: der Malerkerl hat kein Talent, er hat die Antike nicht gehörig verstanden, er hat statt eines Ideals ein Schmierial hervorgebracht! und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen werden. So wird alsdann das gerührte Herz des Künstlers verkannt, dem sich ein wahrer

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/93>, abgerufen am 02.05.2024.