Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist mir selber unbegreiflich, warum ich
im Ganzen so kalt und fast ruhig blieb, da ich
doch einen Schauder in meinen innersten Gebei-
nen fühlte; in dem Entsetzen lag eine Art von
wüthender Freude, ein Genuß der vielleicht aus-
serhalb den Grenzen des Menschen liegt. --
Ich kann mir nichts Fürchterlicheres denken, als
diese Erscheinung zum zweitenmahle zu sehn;
und doch wiederhol' ich mir vorsätzlich den
Schreck, das starrende Grausen dieses Augen-
blicks. --

Ich rief meinen Bedienten, er hatte nichts
gehört, in der Kammer war keine Spur, ich
hatte sogar den Schlüssel noch auf dem Tische
liegen und sie war zugeschlossen. Ich ließ Rosa
kommen, er kannte mich nicht wieder, er blieb
bei mir, ich habe die ganze Nacht nicht ge-
schlafen, stets sah ich den fremden Mann mit
dem leisen bedächtlichen Schritte durch das Zim-
mer schleichen.

Wenn es nicht Phantasie war, und mein
Bewußtseyn kämpft gegen diese Meinung, --
was war es denn? -- War dies keine Wirk-
lichkeit, so steh' ich im Begriffe, alle Erscheinun-
gen der Dinge ausser mir für Täuschung mei-

Es iſt mir ſelber unbegreiflich, warum ich
im Ganzen ſo kalt und faſt ruhig blieb, da ich
doch einen Schauder in meinen innerſten Gebei-
nen fuͤhlte; in dem Entſetzen lag eine Art von
wuͤthender Freude, ein Genuß der vielleicht auſ-
ſerhalb den Grenzen des Menſchen liegt. —
Ich kann mir nichts Fuͤrchterlicheres denken, als
dieſe Erſcheinung zum zweitenmahle zu ſehn;
und doch wiederhol’ ich mir vorſaͤtzlich den
Schreck, das ſtarrende Grauſen dieſes Augen-
blicks. —

Ich rief meinen Bedienten, er hatte nichts
gehoͤrt, in der Kammer war keine Spur, ich
hatte ſogar den Schluͤſſel noch auf dem Tiſche
liegen und ſie war zugeſchloſſen. Ich ließ Roſa
kommen, er kannte mich nicht wieder, er blieb
bei mir, ich habe die ganze Nacht nicht ge-
ſchlafen, ſtets ſah ich den fremden Mann mit
dem leiſen bedaͤchtlichen Schritte durch das Zim-
mer ſchleichen.

Wenn es nicht Phantaſie war, und mein
Bewußtſeyn kaͤmpft gegen dieſe Meinung, —
was war es denn? — War dies keine Wirk-
lichkeit, ſo ſteh’ ich im Begriffe, alle Erſcheinun-
gen der Dinge auſſer mir fuͤr Taͤuſchung mei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0319" n="311[309]"/>
          <p>Es i&#x017F;t mir &#x017F;elber unbegreiflich, warum ich<lb/>
im Ganzen &#x017F;o kalt und fa&#x017F;t ruhig blieb, da ich<lb/>
doch einen Schauder in meinen inner&#x017F;ten Gebei-<lb/>
nen fu&#x0364;hlte; in dem Ent&#x017F;etzen lag eine Art von<lb/>
wu&#x0364;thender Freude, ein Genuß der vielleicht au&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erhalb den Grenzen des Men&#x017F;chen liegt. &#x2014;<lb/>
Ich kann mir nichts Fu&#x0364;rchterlicheres denken, als<lb/>
die&#x017F;e Er&#x017F;cheinung zum zweitenmahle zu &#x017F;ehn;<lb/>
und doch wiederhol&#x2019; ich mir vor&#x017F;a&#x0364;tzlich den<lb/>
Schreck, das &#x017F;tarrende Grau&#x017F;en die&#x017F;es Augen-<lb/>
blicks. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ich rief meinen Bedienten, er hatte nichts<lb/>
geho&#x0364;rt, in der Kammer war keine Spur, ich<lb/>
hatte &#x017F;ogar den Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el noch auf dem Ti&#x017F;che<lb/>
liegen und &#x017F;ie war zuge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Ich ließ Ro&#x017F;a<lb/>
kommen, er kannte mich nicht wieder, er blieb<lb/>
bei mir, ich habe die ganze Nacht nicht ge-<lb/>
&#x017F;chlafen, &#x017F;tets &#x017F;ah ich den fremden Mann mit<lb/>
dem lei&#x017F;en beda&#x0364;chtlichen Schritte durch das Zim-<lb/>
mer &#x017F;chleichen.</p><lb/>
          <p>Wenn es nicht Phanta&#x017F;ie war, und mein<lb/>
Bewußt&#x017F;eyn ka&#x0364;mpft gegen die&#x017F;e Meinung, &#x2014;<lb/>
was war es denn? &#x2014; War dies keine Wirk-<lb/>
lichkeit, &#x017F;o &#x017F;teh&#x2019; ich im Begriffe, alle Er&#x017F;cheinun-<lb/>
gen der Dinge au&#x017F;&#x017F;er mir fu&#x0364;r Ta&#x0364;u&#x017F;chung mei-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311[309]/0319] Es iſt mir ſelber unbegreiflich, warum ich im Ganzen ſo kalt und faſt ruhig blieb, da ich doch einen Schauder in meinen innerſten Gebei- nen fuͤhlte; in dem Entſetzen lag eine Art von wuͤthender Freude, ein Genuß der vielleicht auſ- ſerhalb den Grenzen des Menſchen liegt. — Ich kann mir nichts Fuͤrchterlicheres denken, als dieſe Erſcheinung zum zweitenmahle zu ſehn; und doch wiederhol’ ich mir vorſaͤtzlich den Schreck, das ſtarrende Grauſen dieſes Augen- blicks. — Ich rief meinen Bedienten, er hatte nichts gehoͤrt, in der Kammer war keine Spur, ich hatte ſogar den Schluͤſſel noch auf dem Tiſche liegen und ſie war zugeſchloſſen. Ich ließ Roſa kommen, er kannte mich nicht wieder, er blieb bei mir, ich habe die ganze Nacht nicht ge- ſchlafen, ſtets ſah ich den fremden Mann mit dem leiſen bedaͤchtlichen Schritte durch das Zim- mer ſchleichen. Wenn es nicht Phantaſie war, und mein Bewußtſeyn kaͤmpft gegen dieſe Meinung, — was war es denn? — War dies keine Wirk- lichkeit, ſo ſteh’ ich im Begriffe, alle Erſcheinun- gen der Dinge auſſer mir fuͤr Taͤuſchung mei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/319
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 311[309]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/319>, abgerufen am 05.05.2024.