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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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unsre übrigen Gedanken und unsteten Empfin-
dungen reihen, und der sie alle regiert. -- Wi-
derlegen
kann ich Dir Deinen Beweis nicht,
daß kein Mensch den andern verführen könne,
aber, so wie mich dünkt, bedarf er auch keiner
Widerlegung. Der Mensch fühlt den Einfluß
andrer, ja selbst der leblosen Natur auf sein
Herz und seinen Verstand viel zu sehr, als daß
er sich je diesen Einfluß abläugnen könnte. Du
behauptest zwar, daß Alles, was der Mensch
denkt und empfindet, schon von je in ihm gele-
gen habe, und daß die äußern Gegenstände nur
verächtliche Zufälligkeiten sind, daß alles dies
grade jetzt, und zu keiner andern Zeit in ihm
geweckt werde: daß ein unschuldiger Mensch nie
schuldig werden könne, so wie der eigentliche
Bösewicht nie rein gewesen sey: -- bist Du
wirklich gar nicht darauf gefallen, daß Du hier
mit Deiner sophistischen Freygeisterey die gräß-
liche orthodoxe Prädetermination der Seelen
vertheidigest? Du gestehst immer, und es ist
Dein Glaubensbekenntniß, daß der Mensch nichts
wissen könne, und doch willst Du dies so ge-
nau wissen? Wenn Du an allem zweifelst, so
müssen Dir eben deswegen auch Deine Zweifel

unſre uͤbrigen Gedanken und unſteten Empfin-
dungen reihen, und der ſie alle regiert. — Wi-
derlegen
kann ich Dir Deinen Beweis nicht,
daß kein Menſch den andern verfuͤhren koͤnne,
aber, ſo wie mich duͤnkt, bedarf er auch keiner
Widerlegung. Der Menſch fuͤhlt den Einfluß
andrer, ja ſelbſt der lebloſen Natur auf ſein
Herz und ſeinen Verſtand viel zu ſehr, als daß
er ſich je dieſen Einfluß ablaͤugnen koͤnnte. Du
behaupteſt zwar, daß Alles, was der Menſch
denkt und empfindet, ſchon von je in ihm gele-
gen habe, und daß die aͤußern Gegenſtaͤnde nur
veraͤchtliche Zufaͤlligkeiten ſind, daß alles dies
grade jetzt, und zu keiner andern Zeit in ihm
geweckt werde: daß ein unſchuldiger Menſch nie
ſchuldig werden koͤnne, ſo wie der eigentliche
Boͤſewicht nie rein geweſen ſey: — biſt Du
wirklich gar nicht darauf gefallen, daß Du hier
mit Deiner ſophiſtiſchen Freygeiſterey die graͤß-
liche orthodoxe Praͤdetermination der Seelen
vertheidigeſt? Du geſtehſt immer, und es iſt
Dein Glaubensbekenntniß, daß der Menſch nichts
wiſſen koͤnne, und doch willſt Du dies ſo ge-
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[217/0223] unſre uͤbrigen Gedanken und unſteten Empfin- dungen reihen, und der ſie alle regiert. — Wi- derlegen kann ich Dir Deinen Beweis nicht, daß kein Menſch den andern verfuͤhren koͤnne, aber, ſo wie mich duͤnkt, bedarf er auch keiner Widerlegung. Der Menſch fuͤhlt den Einfluß andrer, ja ſelbſt der lebloſen Natur auf ſein Herz und ſeinen Verſtand viel zu ſehr, als daß er ſich je dieſen Einfluß ablaͤugnen koͤnnte. Du behaupteſt zwar, daß Alles, was der Menſch denkt und empfindet, ſchon von je in ihm gele- gen habe, und daß die aͤußern Gegenſtaͤnde nur veraͤchtliche Zufaͤlligkeiten ſind, daß alles dies grade jetzt, und zu keiner andern Zeit in ihm geweckt werde: daß ein unſchuldiger Menſch nie ſchuldig werden koͤnne, ſo wie der eigentliche Boͤſewicht nie rein geweſen ſey: — biſt Du wirklich gar nicht darauf gefallen, daß Du hier mit Deiner ſophiſtiſchen Freygeiſterey die graͤß- liche orthodoxe Praͤdetermination der Seelen vertheidigeſt? Du geſtehſt immer, und es iſt Dein Glaubensbekenntniß, daß der Menſch nichts wiſſen koͤnne, und doch willſt Du dies ſo ge- nau wiſſen? Wenn Du an allem zweifelſt, ſo muͤſſen Dir eben deswegen auch Deine Zweifel

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/223>, abgerufen am 07.05.2024.