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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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verschuldet? Eine unsichtbare Gewalt greift nach
meinem Herzen und zerquetscht es, und ich
kann nichts weiter thun, als an der Wunde
sterben.

Mit meinen Geschäften hat es nun von selbst
ein Ende, mit meinem Glücke, vielleicht mit
meinem Leben. -- Emilie hat mich also nie
geliebt? -- O, was ist doch der Mensch! Wer
kann ihn verstehn, wer darf über ihn urtheilen?
-- Und ich hätte sie nicht geliebt? -- O das
ist eine schreckliche Lüge! Ich konnte nicht wei-
nen, und ich schämte mich, die Empfindungen
meines heißen Herzens bey jeder Gelegenheit zu
äußern; o ich war zu gut um Emilien zu ge-
fallen, ich putzte meine Empfindungen zu wenig
auf, ich konnte nicht lügen, so wie der nieder-
trächtige Lovell, -- o Emilie! so warst Du
denn auch nur eins der gewöhnlichen Weiber,
die es nicht unterlassen können, sogar ihre Em-
pfindungen zu schminken, die die natürlichen
guten Menschen verachten, und ihre Zuneigung
den Elenden schenken, die sie durch Grimassen
und studirte Seufzer, durch theatralische Stel-
lungen und auswendig gelernte Worte unter-
halten!

verſchuldet? Eine unſichtbare Gewalt greift nach
meinem Herzen und zerquetſcht es, und ich
kann nichts weiter thun, als an der Wunde
ſterben.

Mit meinen Geſchaͤften hat es nun von ſelbſt
ein Ende, mit meinem Gluͤcke, vielleicht mit
meinem Leben. — Emilie hat mich alſo nie
geliebt? — O, was iſt doch der Menſch! Wer
kann ihn verſtehn, wer darf uͤber ihn urtheilen?
— Und ich haͤtte ſie nicht geliebt? — O das
iſt eine ſchreckliche Luͤge! Ich konnte nicht wei-
nen, und ich ſchaͤmte mich, die Empfindungen
meines heißen Herzens bey jeder Gelegenheit zu
aͤußern; o ich war zu gut um Emilien zu ge-
fallen, ich putzte meine Empfindungen zu wenig
auf, ich konnte nicht luͤgen, ſo wie der nieder-
traͤchtige Lovell, — o Emilie! ſo warſt Du
denn auch nur eins der gewoͤhnlichen Weiber,
die es nicht unterlaſſen koͤnnen, ſogar ihre Em-
pfindungen zu ſchminken, die die natuͤrlichen
guten Menſchen verachten, und ihre Zuneigung
den Elenden ſchenken, die ſie durch Grimaſſen
und ſtudirte Seufzer, durch theatraliſche Stel-
lungen und auswendig gelernte Worte unter-
halten!

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[108/0115] verſchuldet? Eine unſichtbare Gewalt greift nach meinem Herzen und zerquetſcht es, und ich kann nichts weiter thun, als an der Wunde ſterben. Mit meinen Geſchaͤften hat es nun von ſelbſt ein Ende, mit meinem Gluͤcke, vielleicht mit meinem Leben. — Emilie hat mich alſo nie geliebt? — O, was iſt doch der Menſch! Wer kann ihn verſtehn, wer darf uͤber ihn urtheilen? — Und ich haͤtte ſie nicht geliebt? — O das iſt eine ſchreckliche Luͤge! Ich konnte nicht wei- nen, und ich ſchaͤmte mich, die Empfindungen meines heißen Herzens bey jeder Gelegenheit zu aͤußern; o ich war zu gut um Emilien zu ge- fallen, ich putzte meine Empfindungen zu wenig auf, ich konnte nicht luͤgen, ſo wie der nieder- traͤchtige Lovell, — o Emilie! ſo warſt Du denn auch nur eins der gewoͤhnlichen Weiber, die es nicht unterlaſſen koͤnnen, ſogar ihre Em- pfindungen zu ſchminken, die die natuͤrlichen guten Menſchen verachten, und ihre Zuneigung den Elenden ſchenken, die ſie durch Grimaſſen und ſtudirte Seufzer, durch theatraliſche Stel- lungen und auswendig gelernte Worte unter- halten!

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/115>, abgerufen am 30.04.2024.