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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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Ich habe schon seit lange darauf gedacht,
meine Geschichte kurz niederzuschreiben, nur
habe ich noch nie eine gelegene Zeit dazu finden
können: jetzt, da ich nichts zu thun habe, da alle
meine Bekannten mich verlassen, will ich mir
die Vergangenheit zurückrufen, um mit ihr
und mit mir selber zu tändeln, so wie ich bis-
her mit den Menschen spielte. --

Mein Vater war ein rauher und strenger
Mann, ich war sein einziges Kind. Er hatte
sein Vermögen in den bürgerlichen Kriegen ver-
loren, er lebte daher auf dem Lande äußerst
sparsam und eingezogen, die Eitelkeit und die
Pracht der Welt kannte ich nur vom Hörensa-
gen. In einem einsamen Thale wuchs ich auf,
und fast immer mir selbst überlassen, entwickel-
ten sich in meiner Seele wunderbare Träume,
die ich für die Wirklichkeit ansah. Frömmig-
keit erfüllte mein Herz, ich war in einem be-
ständigen andächtigen Taumel, es verging alles
vor meinen Sinnen und Gedanken, wenn ich
mir Gott und die Unsterblichkeit vorzustellen
suchte. Heilige Stimmen liefen oft durch den
Wald, wenn ich allein dort lag, alle Wipfel
vereinigten sich dann zu einem leise brausenden

Lovell. 3r. Bd. C c

Ich habe ſchon ſeit lange darauf gedacht,
meine Geſchichte kurz niederzuſchreiben, nur
habe ich noch nie eine gelegene Zeit dazu finden
koͤnnen: jetzt, da ich nichts zu thun habe, da alle
meine Bekannten mich verlaſſen, will ich mir
die Vergangenheit zuruͤckrufen, um mit ihr
und mit mir ſelber zu taͤndeln, ſo wie ich bis-
her mit den Menſchen ſpielte. —

Mein Vater war ein rauher und ſtrenger
Mann, ich war ſein einziges Kind. Er hatte
ſein Vermoͤgen in den buͤrgerlichen Kriegen ver-
loren, er lebte daher auf dem Lande aͤußerſt
ſparſam und eingezogen, die Eitelkeit und die
Pracht der Welt kannte ich nur vom Hoͤrenſa-
gen. In einem einſamen Thale wuchs ich auf,
und faſt immer mir ſelbſt uͤberlaſſen, entwickel-
ten ſich in meiner Seele wunderbare Traͤume,
die ich fuͤr die Wirklichkeit anſah. Froͤmmig-
keit erfuͤllte mein Herz, ich war in einem be-
ſtaͤndigen andaͤchtigen Taumel, es verging alles
vor meinen Sinnen und Gedanken, wenn ich
mir Gott und die Unſterblichkeit vorzuſtellen
ſuchte. Heilige Stimmen liefen oft durch den
Wald, wenn ich allein dort lag, alle Wipfel
vereinigten ſich dann zu einem leiſe brauſenden

Lovell. 3r. Bd. C c
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[401/0408] Ich habe ſchon ſeit lange darauf gedacht, meine Geſchichte kurz niederzuſchreiben, nur habe ich noch nie eine gelegene Zeit dazu finden koͤnnen: jetzt, da ich nichts zu thun habe, da alle meine Bekannten mich verlaſſen, will ich mir die Vergangenheit zuruͤckrufen, um mit ihr und mit mir ſelber zu taͤndeln, ſo wie ich bis- her mit den Menſchen ſpielte. — Mein Vater war ein rauher und ſtrenger Mann, ich war ſein einziges Kind. Er hatte ſein Vermoͤgen in den buͤrgerlichen Kriegen ver- loren, er lebte daher auf dem Lande aͤußerſt ſparſam und eingezogen, die Eitelkeit und die Pracht der Welt kannte ich nur vom Hoͤrenſa- gen. In einem einſamen Thale wuchs ich auf, und faſt immer mir ſelbſt uͤberlaſſen, entwickel- ten ſich in meiner Seele wunderbare Traͤume, die ich fuͤr die Wirklichkeit anſah. Froͤmmig- keit erfuͤllte mein Herz, ich war in einem be- ſtaͤndigen andaͤchtigen Taumel, es verging alles vor meinen Sinnen und Gedanken, wenn ich mir Gott und die Unſterblichkeit vorzuſtellen ſuchte. Heilige Stimmen liefen oft durch den Wald, wenn ich allein dort lag, alle Wipfel vereinigten ſich dann zu einem leiſe brauſenden Lovell. 3r. Bd. C c

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/408>, abgerufen am 29.04.2024.