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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
Höchsten und sogar Könige begehren dein. Aber
warum hast du nun deine Neigung auf einen Un-
bekannten geworfen, von dem Niemand weiß, wo-
her er gekommen? Ich zittre, wenn der König,
dein Vater, deine Liebe bemerkt.

Nun und warum zitterst du? fiel ihr Mage-
lone mit heftigem Weinen in die Rede. Wenn er
sie bemerkt, so wird er zürnen, der fremde Ritter
wird den Hof und das Land verlassen, und ich
werde in treuer hofnungsloser Liebe sterben; und
sterben muß ich, wenn der Unbekannte mich nicht
wieder liebt, wenn ich auf ihn nicht die Hofnung
der ganzen Zukunft setzen darf. Alsdann bin ich
zur Ruhe, und weder mein Vater noch du, keiner
wird mich je mehr verfolgen.

Da die Amme diese Worte hörte, ward sie
sehr betrübt und weinte ebenfalls. Höre auf mit
deinen Thränen, liebes Kind, so rief sie schluchzend
aus; alles will ich ertragen, nur kann ich dich un-
möglich weinen sehn, es ist mir, als müßte ich das
größte Elend der Erden erdulden, wenn dein liebes
Gesicht nicht freundlich ist.

Nicht wahr, man muß ihn lieben? sagte Ma-
gelone, und umarmte ihre Amme. Ich hätte nie
einen Mann geliebt, wenn mein Auge ihn nicht
gesehn hätte; wär es also nicht Sünde, ihn nicht
zu lieben, da ich so glücklich gewesen bin, ihn zu
finden? Gieb nur Acht auf ihn, wie alle Vor-
treflichkeiten, die sonst schon einzeln andre Ritter
edel machen, in ihm vereinigt glänzen; wie einneh-
mend sein fremder Anstand ist, daß er die hiesige

Erſte Abtheilung.
Hoͤchſten und ſogar Koͤnige begehren dein. Aber
warum haſt du nun deine Neigung auf einen Un-
bekannten geworfen, von dem Niemand weiß, wo-
her er gekommen? Ich zittre, wenn der Koͤnig,
dein Vater, deine Liebe bemerkt.

Nun und warum zitterſt du? fiel ihr Mage-
lone mit heftigem Weinen in die Rede. Wenn er
ſie bemerkt, ſo wird er zuͤrnen, der fremde Ritter
wird den Hof und das Land verlaſſen, und ich
werde in treuer hofnungsloſer Liebe ſterben; und
ſterben muß ich, wenn der Unbekannte mich nicht
wieder liebt, wenn ich auf ihn nicht die Hofnung
der ganzen Zukunft ſetzen darf. Alsdann bin ich
zur Ruhe, und weder mein Vater noch du, keiner
wird mich je mehr verfolgen.

Da die Amme dieſe Worte hoͤrte, ward ſie
ſehr betruͤbt und weinte ebenfalls. Hoͤre auf mit
deinen Thraͤnen, liebes Kind, ſo rief ſie ſchluchzend
aus; alles will ich ertragen, nur kann ich dich un-
moͤglich weinen ſehn, es iſt mir, als muͤßte ich das
groͤßte Elend der Erden erdulden, wenn dein liebes
Geſicht nicht freundlich iſt.

Nicht wahr, man muß ihn lieben? ſagte Ma-
gelone, und umarmte ihre Amme. Ich haͤtte nie
einen Mann geliebt, wenn mein Auge ihn nicht
geſehn haͤtte; waͤr es alſo nicht Suͤnde, ihn nicht
zu lieben, da ich ſo gluͤcklich geweſen bin, ihn zu
finden? Gieb nur Acht auf ihn, wie alle Vor-
treflichkeiten, die ſonſt ſchon einzeln andre Ritter
edel machen, in ihm vereinigt glaͤnzen; wie einneh-
mend ſein fremder Anſtand iſt, daß er die hieſige

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[342/0353] Erſte Abtheilung. Hoͤchſten und ſogar Koͤnige begehren dein. Aber warum haſt du nun deine Neigung auf einen Un- bekannten geworfen, von dem Niemand weiß, wo- her er gekommen? Ich zittre, wenn der Koͤnig, dein Vater, deine Liebe bemerkt. Nun und warum zitterſt du? fiel ihr Mage- lone mit heftigem Weinen in die Rede. Wenn er ſie bemerkt, ſo wird er zuͤrnen, der fremde Ritter wird den Hof und das Land verlaſſen, und ich werde in treuer hofnungsloſer Liebe ſterben; und ſterben muß ich, wenn der Unbekannte mich nicht wieder liebt, wenn ich auf ihn nicht die Hofnung der ganzen Zukunft ſetzen darf. Alsdann bin ich zur Ruhe, und weder mein Vater noch du, keiner wird mich je mehr verfolgen. Da die Amme dieſe Worte hoͤrte, ward ſie ſehr betruͤbt und weinte ebenfalls. Hoͤre auf mit deinen Thraͤnen, liebes Kind, ſo rief ſie ſchluchzend aus; alles will ich ertragen, nur kann ich dich un- moͤglich weinen ſehn, es iſt mir, als muͤßte ich das groͤßte Elend der Erden erdulden, wenn dein liebes Geſicht nicht freundlich iſt. Nicht wahr, man muß ihn lieben? ſagte Ma- gelone, und umarmte ihre Amme. Ich haͤtte nie einen Mann geliebt, wenn mein Auge ihn nicht geſehn haͤtte; waͤr es alſo nicht Suͤnde, ihn nicht zu lieben, da ich ſo gluͤcklich geweſen bin, ihn zu finden? Gieb nur Acht auf ihn, wie alle Vor- treflichkeiten, die ſonſt ſchon einzeln andre Ritter edel machen, in ihm vereinigt glaͤnzen; wie einneh- mend ſein fremder Anſtand iſt, daß er die hieſige

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/353>, abgerufen am 29.04.2024.