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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Die schöne Magelone.
ich wohl gewahr, daß du unschuldig bist und daß
du mich nicht vorsätzlicherweise verlassen hast. Wel-
ches Abentheuer hat uns denn von einander ge-
trennt?

Die Finsterniß brach mit der Nacht herein,
und der Mond warf gebrochene Strahlen durch den
Wald; seltsame fremde Stimmen ließen sich in der
Ferne hören, und Magelone fürchtete, daß es das
Geschrei wilder Thiere sey. Mühsam stieg sie wie-
der auf einen Baum. Die Wolken wechselten am
Himmel wunderlich vom Monde beglänzt, und jag-
ten sich durch einander; bald sah sie in diesen Luft-
erscheinungen ihren Ritter, der mit Ungeheuern
kämpfte und sie besiegte; dann verwandelte sich im
Zuge das Wolkengebilde in ein andres; ihr däm-
merndes Auge glaubte dann am Himmel Städte
mit hohen Thürmen zu erblicken, oder Berge, auf
denen feurige Castelle brannten, Reuter, die in
Geschwadern auszogen, und dem Feinde im Thale
begegneten. Wie Blitze flatterte es dann durch die
Landschaft, und die hellgrüne Himmelsebene lag
prächtig zwischen den getrennten Wolkenbildern;
dann fühlte sie, daß sie nur geschwärmt habe, und
mit bangem Grauen warf sie den Blick auf die
Wälder unter sich, die schwarz in ernsten unbe-
weglichen Gestalten ruhten; sie sah nach der See
hinab, die in unermeßlicher Fläche vor ihren Au-
gen bebte und dämmerte. In der stillen Nacht
kam das Plätschern der Wellen zu ihrem Ohre,
das bald wie Gewinsel, bald wie zürnende Schelt-
worte klang; dann glaubte sie die Stimme ihres

Die ſchoͤne Magelone.
ich wohl gewahr, daß du unſchuldig biſt und daß
du mich nicht vorſaͤtzlicherweiſe verlaſſen haſt. Wel-
ches Abentheuer hat uns denn von einander ge-
trennt?

Die Finſterniß brach mit der Nacht herein,
und der Mond warf gebrochene Strahlen durch den
Wald; ſeltſame fremde Stimmen ließen ſich in der
Ferne hoͤren, und Magelone fuͤrchtete, daß es das
Geſchrei wilder Thiere ſey. Muͤhſam ſtieg ſie wie-
der auf einen Baum. Die Wolken wechſelten am
Himmel wunderlich vom Monde beglaͤnzt, und jag-
ten ſich durch einander; bald ſah ſie in dieſen Luft-
erſcheinungen ihren Ritter, der mit Ungeheuern
kaͤmpfte und ſie beſiegte; dann verwandelte ſich im
Zuge das Wolkengebilde in ein andres; ihr daͤm-
merndes Auge glaubte dann am Himmel Staͤdte
mit hohen Thuͤrmen zu erblicken, oder Berge, auf
denen feurige Caſtelle brannten, Reuter, die in
Geſchwadern auszogen, und dem Feinde im Thale
begegneten. Wie Blitze flatterte es dann durch die
Landſchaft, und die hellgruͤne Himmelsebene lag
praͤchtig zwiſchen den getrennten Wolkenbildern;
dann fuͤhlte ſie, daß ſie nur geſchwaͤrmt habe, und
mit bangem Grauen warf ſie den Blick auf die
Waͤlder unter ſich, die ſchwarz in ernſten unbe-
weglichen Geſtalten ruhten; ſie ſah nach der See
hinab, die in unermeßlicher Flaͤche vor ihren Au-
gen bebte und daͤmmerte. In der ſtillen Nacht
kam das Plaͤtſchern der Wellen zu ihrem Ohre,
das bald wie Gewinſel, bald wie zuͤrnende Schelt-
worte klang; dann glaubte ſie die Stimme ihres

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[371/0382] Die ſchoͤne Magelone. ich wohl gewahr, daß du unſchuldig biſt und daß du mich nicht vorſaͤtzlicherweiſe verlaſſen haſt. Wel- ches Abentheuer hat uns denn von einander ge- trennt? Die Finſterniß brach mit der Nacht herein, und der Mond warf gebrochene Strahlen durch den Wald; ſeltſame fremde Stimmen ließen ſich in der Ferne hoͤren, und Magelone fuͤrchtete, daß es das Geſchrei wilder Thiere ſey. Muͤhſam ſtieg ſie wie- der auf einen Baum. Die Wolken wechſelten am Himmel wunderlich vom Monde beglaͤnzt, und jag- ten ſich durch einander; bald ſah ſie in dieſen Luft- erſcheinungen ihren Ritter, der mit Ungeheuern kaͤmpfte und ſie beſiegte; dann verwandelte ſich im Zuge das Wolkengebilde in ein andres; ihr daͤm- merndes Auge glaubte dann am Himmel Staͤdte mit hohen Thuͤrmen zu erblicken, oder Berge, auf denen feurige Caſtelle brannten, Reuter, die in Geſchwadern auszogen, und dem Feinde im Thale begegneten. Wie Blitze flatterte es dann durch die Landſchaft, und die hellgruͤne Himmelsebene lag praͤchtig zwiſchen den getrennten Wolkenbildern; dann fuͤhlte ſie, daß ſie nur geſchwaͤrmt habe, und mit bangem Grauen warf ſie den Blick auf die Waͤlder unter ſich, die ſchwarz in ernſten unbe- weglichen Geſtalten ruhten; ſie ſah nach der See hinab, die in unermeßlicher Flaͤche vor ihren Au- gen bebte und daͤmmerte. In der ſtillen Nacht kam das Plaͤtſchern der Wellen zu ihrem Ohre, das bald wie Gewinſel, bald wie zuͤrnende Schelt- worte klang; dann glaubte ſie die Stimme ihres

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/382>, abgerufen am 28.04.2024.