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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.

Noch in demselben Jahre war ein Mißwachs,
die Wälder starben ab, die Quellen vertrockneten,
und dieselbe Gegend, die sonst die Freude jedes
Durchreisenden gewesen war, stand im Herbst ver-
ödet, nackt und kahl, und zeigte kaum hie und da
noch im Meere von Sand ein Plätzchen, wo Gras
mit fahlem Grün empor wuchs. Die Obstbäume
gingen alle aus, die Weinberge verdarben, und
der Anblick der Landschaft war so traurig, daß
der Graf im folgenden Jahre mit seiner Familie
das Schloß verließ, welches nachher verfiel und
zur Ruine wurde.

Elfriede betrachtete Tag und Nacht mit der
größten Sehnsucht ihre Rose und gedachte ihrer
Gespielin, und so wie die Blume sich neigte und
welkte, so senkte sie auch das Köpfchen, und war
schon vor dem Frühlinge verschmachtet. Marie
stand oft auf dem Platze vor der Hütte und be-
weinte das entschwundene Glück. Sie verzehrte
sich, wie ihr Kind, und folgte ihm in einigen Jah-
ren. Der alte Martin zog mit seinem Schwieger-
sohne nach der Gegend, in der er sonst gelebt hatte.



Die Damen waren mit dieser Erzählung zu-
frieden. Wilibald war noch übrig, um sein
Mährchen vorzutragen, und er fing sogleich ohne
Einleitung an.



Erſte Abtheilung.

Noch in demſelben Jahre war ein Mißwachs,
die Waͤlder ſtarben ab, die Quellen vertrockneten,
und dieſelbe Gegend, die ſonſt die Freude jedes
Durchreiſenden geweſen war, ſtand im Herbſt ver-
oͤdet, nackt und kahl, und zeigte kaum hie und da
noch im Meere von Sand ein Plaͤtzchen, wo Gras
mit fahlem Gruͤn empor wuchs. Die Obſtbaͤume
gingen alle aus, die Weinberge verdarben, und
der Anblick der Landſchaft war ſo traurig, daß
der Graf im folgenden Jahre mit ſeiner Familie
das Schloß verließ, welches nachher verfiel und
zur Ruine wurde.

Elfriede betrachtete Tag und Nacht mit der
groͤßten Sehnſucht ihre Roſe und gedachte ihrer
Geſpielin, und ſo wie die Blume ſich neigte und
welkte, ſo ſenkte ſie auch das Koͤpfchen, und war
ſchon vor dem Fruͤhlinge verſchmachtet. Marie
ſtand oft auf dem Platze vor der Huͤtte und be-
weinte das entſchwundene Gluͤck. Sie verzehrte
ſich, wie ihr Kind, und folgte ihm in einigen Jah-
ren. Der alte Martin zog mit ſeinem Schwieger-
ſohne nach der Gegend, in der er ſonſt gelebt hatte.



Die Damen waren mit dieſer Erzaͤhlung zu-
frieden. Wilibald war noch uͤbrig, um ſein
Maͤhrchen vorzutragen, und er fing ſogleich ohne
Einleitung an.



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[430/0441] Erſte Abtheilung. Noch in demſelben Jahre war ein Mißwachs, die Waͤlder ſtarben ab, die Quellen vertrockneten, und dieſelbe Gegend, die ſonſt die Freude jedes Durchreiſenden geweſen war, ſtand im Herbſt ver- oͤdet, nackt und kahl, und zeigte kaum hie und da noch im Meere von Sand ein Plaͤtzchen, wo Gras mit fahlem Gruͤn empor wuchs. Die Obſtbaͤume gingen alle aus, die Weinberge verdarben, und der Anblick der Landſchaft war ſo traurig, daß der Graf im folgenden Jahre mit ſeiner Familie das Schloß verließ, welches nachher verfiel und zur Ruine wurde. Elfriede betrachtete Tag und Nacht mit der groͤßten Sehnſucht ihre Roſe und gedachte ihrer Geſpielin, und ſo wie die Blume ſich neigte und welkte, ſo ſenkte ſie auch das Koͤpfchen, und war ſchon vor dem Fruͤhlinge verſchmachtet. Marie ſtand oft auf dem Platze vor der Huͤtte und be- weinte das entſchwundene Gluͤck. Sie verzehrte ſich, wie ihr Kind, und folgte ihm in einigen Jah- ren. Der alte Martin zog mit ſeinem Schwieger- ſohne nach der Gegend, in der er ſonſt gelebt hatte. Die Damen waren mit dieſer Erzaͤhlung zu- frieden. Wilibald war noch uͤbrig, um ſein Maͤhrchen vorzutragen, und er fing ſogleich ohne Einleitung an.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/441>, abgerufen am 26.04.2024.