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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
Rabe. Hast du schon die neuste Schrift für
Mütter gelesen, Elisa?
Gattin. Nein, mein Kind.
Rabe. Das mußt du ja nicht versäumen,
das Buch enthält ganz unvergleichliche Beobach-
tungen, zum Beispiel, daß eine Magd die Kinder
nie nehmen dürfe, oder nur mit ihnen sprechen.
Gattinn. Ich dulde es niemals, immer hab
ich geschaudert, wenn unsere Katharine, sonst eine
gute Person, das himmlische Kind nur anblickte.
Ja, schon die Blicke können meinen Engel entweihen.
Wilhelm. Wenn du was bauen willst, Va-
ter, so mußt du auch die Gedanken dabei haben
und nicht andre Sachen reden.
Gattin. Ein allerliebster Junge. -- Sieh,
Adelaide, so wirft man in die Höhe. Das heißt
werfen, mein Kind.
Rabe. Wie sich doch seit der Regierung des
jetzigen Apollo die Sitten verfeinert haben! Wie
schlecht wurden wir erzogen, Elisa!
Gattin. Ja wohl, so rauh und barbarisch,
wir mußten vor unsern Eltern Respekt haben! --
Aber sage, was war es doch für ein schrecklicher
Mensch, der unserm zarten Wilhelm gestern einen
Hanswurst zum Spielen brachte?
Rabe. Fürchterlich! Was sollte das idealisch ge-
stimmte Wesen doch mit dieser gothischen Fratze? Aber
ich habe es dem Gevatter Brusebart eingetränkt, und
er wird mit dergleichen nicht wieder kommen. Ich
bestellte ihm gleich darauf beim Drechsler einen klei-
nen belvederischen Apoll, damit der Liebliche hohe
Zweite Abtheilung.
Rabe. Haſt du ſchon die neuſte Schrift fuͤr
Muͤtter geleſen, Eliſa?
Gattin. Nein, mein Kind.
Rabe. Das mußt du ja nicht verſaͤumen,
das Buch enthaͤlt ganz unvergleichliche Beobach-
tungen, zum Beiſpiel, daß eine Magd die Kinder
nie nehmen duͤrfe, oder nur mit ihnen ſprechen.
Gattinn. Ich dulde es niemals, immer hab
ich geſchaudert, wenn unſere Katharine, ſonſt eine
gute Perſon, das himmliſche Kind nur anblickte.
Ja, ſchon die Blicke koͤnnen meinen Engel entweihen.
Wilhelm. Wenn du was bauen willſt, Va-
ter, ſo mußt du auch die Gedanken dabei haben
und nicht andre Sachen reden.
Gattin. Ein allerliebſter Junge. — Sieh,
Adelaide, ſo wirft man in die Hoͤhe. Das heißt
werfen, mein Kind.
Rabe. Wie ſich doch ſeit der Regierung des
jetzigen Apollo die Sitten verfeinert haben! Wie
ſchlecht wurden wir erzogen, Eliſa!
Gattin. Ja wohl, ſo rauh und barbariſch,
wir mußten vor unſern Eltern Reſpekt haben! —
Aber ſage, was war es doch fuͤr ein ſchrecklicher
Menſch, der unſerm zarten Wilhelm geſtern einen
Hanswurſt zum Spielen brachte?
Rabe. Fuͤrchterlich! Was ſollte das idealiſch ge-
ſtimmte Weſen doch mit dieſer gothiſchen Fratze? Aber
ich habe es dem Gevatter Bruſebart eingetraͤnkt, und
er wird mit dergleichen nicht wieder kommen. Ich
beſtellte ihm gleich darauf beim Drechsler einen klei-
nen belvederiſchen Apoll, damit der Liebliche hohe
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[340/0349] Zweite Abtheilung. Rabe. Haſt du ſchon die neuſte Schrift fuͤr Muͤtter geleſen, Eliſa? Gattin. Nein, mein Kind. Rabe. Das mußt du ja nicht verſaͤumen, das Buch enthaͤlt ganz unvergleichliche Beobach- tungen, zum Beiſpiel, daß eine Magd die Kinder nie nehmen duͤrfe, oder nur mit ihnen ſprechen. Gattinn. Ich dulde es niemals, immer hab ich geſchaudert, wenn unſere Katharine, ſonſt eine gute Perſon, das himmliſche Kind nur anblickte. Ja, ſchon die Blicke koͤnnen meinen Engel entweihen. Wilhelm. Wenn du was bauen willſt, Va- ter, ſo mußt du auch die Gedanken dabei haben und nicht andre Sachen reden. Gattin. Ein allerliebſter Junge. — Sieh, Adelaide, ſo wirft man in die Hoͤhe. Das heißt werfen, mein Kind. Rabe. Wie ſich doch ſeit der Regierung des jetzigen Apollo die Sitten verfeinert haben! Wie ſchlecht wurden wir erzogen, Eliſa! Gattin. Ja wohl, ſo rauh und barbariſch, wir mußten vor unſern Eltern Reſpekt haben! — Aber ſage, was war es doch fuͤr ein ſchrecklicher Menſch, der unſerm zarten Wilhelm geſtern einen Hanswurſt zum Spielen brachte? Rabe. Fuͤrchterlich! Was ſollte das idealiſch ge- ſtimmte Weſen doch mit dieſer gothiſchen Fratze? Aber ich habe es dem Gevatter Bruſebart eingetraͤnkt, und er wird mit dergleichen nicht wieder kommen. Ich beſtellte ihm gleich darauf beim Drechsler einen klei- nen belvederiſchen Apoll, damit der Liebliche hohe

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/349>, abgerufen am 30.04.2024.