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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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tellectuellen Ausdrücken fort. Das Gedankenmotiv aber,
welches ihm ausser den organisch-animalischen Reizen zu
Grunde liegt, wird durch den Satz des soeben genannten
Autors in schlagender Weise bezeichnet: "dass aller geistige
Genuss darin bestehe, Andere um sich zu haben, mit welchen
sich vergleichend man eine grossartige Meinung von sich
selber haben könne." (Hobb. de civ. I, 5.) Dies ist, worin
die Eitelkeit oder Gefallsucht gelegen ist, das Trachten
zu scheinen und zu glänzen, bewundert zu werden, sich
gelten zu machen, Eindruck zu machen (zu "imponiren").
Wenn diese Genüsse der eigenen Macht und ihrer Wir-
kungen auf Andere geradezu das Ziel eines Strebens werden,
so ist Genusssucht der allgemeine Charakter, welchen
es mit Eigennutz gemeinsam hat; denn auch das Nützliche
wird nur um endlicher Genüsse willen gesucht. Wenn
auch der Eigennützige stolz darauf ist, Genüssen entsagen
zu können, als ein Vernünftiger der Zukunft gedenkend,
indem er dem Angenehmen das Erspriessliche vorzieht. --
Eigennutz wie Eitelkeit ist Motiv der Geselligkeit:
Eitelkeit braucht die anderen Menschen als Spiegel, Eigen-
nutz als Werkzeug. -- Seine besondere Gestalt, in welcher
er als sein besonderes Ziel die Mittel zu allen möglichen
Genüssen ins Auge fasst, nimmt Eigennutz an -- wie schon
vorausbedeutet wurde -- als b) Geldgier. Und so ver-
wandelt sich Eitelkeit in die besondere Art des Trachtens
nach Selbstgenuss in Bezug auf äussere Güter, als bb)
Gewinnsucht, welche die verfeinerte Form der Geldgier
ist: ein Trachten mehr nach Wachsthum von Geld und
Gut, als nach einer absoluten Menge davon, welches daher
keineswegs durch diese begrenzt ist, ja vielmehr im Ver-
hältnisse zu ihr zunimmt, nämlich in dem Maasse, als die
eigentliche Geldgier gesättigt ist und zurücktretend das Feld
der Gedanken an Gewinnsucht überlässt. Was ihnen aber
gemeinsam ist, wird auf einfache Weise durch den Begriff
der Habsucht ausgedrückt. -- Wenn nun Eigennutz sich
der anderen Menschen als Werkzeuge bedient, so ist er als
das Streben nach solchen immateriellen und durch Denken
allein erfassbaren Mitteln, nämlich den zur Verfügung
stehenden menschlichen Willen und ihren Meinungen über

tellectuellen Ausdrücken fort. Das Gedankenmotiv aber,
welches ihm ausser den organisch-animalischen Reizen zu
Grunde liegt, wird durch den Satz des soeben genannten
Autors in schlagender Weise bezeichnet: »dass aller geistige
Genuss darin bestehe, Andere um sich zu haben, mit welchen
sich vergleichend man eine grossartige Meinung von sich
selber haben könne.« (Hobb. de civ. I, 5.) Dies ist, worin
die Eitelkeit oder Gefallsucht gelegen ist, das Trachten
zu scheinen und zu glänzen, bewundert zu werden, sich
gelten zu machen, Eindruck zu machen (zu »imponiren«).
Wenn diese Genüsse der eigenen Macht und ihrer Wir-
kungen auf Andere geradezu das Ziel eines Strebens werden,
so ist Genusssucht der allgemeine Charakter, welchen
es mit Eigennutz gemeinsam hat; denn auch das Nützliche
wird nur um endlicher Genüsse willen gesucht. Wenn
auch der Eigennützige stolz darauf ist, Genüssen entsagen
zu können, als ein Vernünftiger der Zukunft gedenkend,
indem er dem Angenehmen das Erspriessliche vorzieht. —
Eigennutz wie Eitelkeit ist Motiv der Geselligkeit:
Eitelkeit braucht die anderen Menschen als Spiegel, Eigen-
nutz als Werkzeug. — Seine besondere Gestalt, in welcher
er als sein besonderes Ziel die Mittel zu allen möglichen
Genüssen ins Auge fasst, nimmt Eigennutz an — wie schon
vorausbedeutet wurde — als b) Geldgier. Und so ver-
wandelt sich Eitelkeit in die besondere Art des Trachtens
nach Selbstgenuss in Bezug auf äussere Güter, als bb)
Gewinnsucht, welche die verfeinerte Form der Geldgier
ist: ein Trachten mehr nach Wachsthum von Geld und
Gut, als nach einer absoluten Menge davon, welches daher
keineswegs durch diese begrenzt ist, ja vielmehr im Ver-
hältnisse zu ihr zunimmt, nämlich in dem Maasse, als die
eigentliche Geldgier gesättigt ist und zurücktretend das Feld
der Gedanken an Gewinnsucht überlässt. Was ihnen aber
gemeinsam ist, wird auf einfache Weise durch den Begriff
der Habsucht ausgedrückt. — Wenn nun Eigennutz sich
der anderen Menschen als Werkzeuge bedient, so ist er als
das Streben nach solchen immateriellen und durch Denken
allein erfassbaren Mitteln, nämlich den zur Verfügung
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[133/0169] tellectuellen Ausdrücken fort. Das Gedankenmotiv aber, welches ihm ausser den organisch-animalischen Reizen zu Grunde liegt, wird durch den Satz des soeben genannten Autors in schlagender Weise bezeichnet: »dass aller geistige Genuss darin bestehe, Andere um sich zu haben, mit welchen sich vergleichend man eine grossartige Meinung von sich selber haben könne.« (Hobb. de civ. I, 5.) Dies ist, worin die Eitelkeit oder Gefallsucht gelegen ist, das Trachten zu scheinen und zu glänzen, bewundert zu werden, sich gelten zu machen, Eindruck zu machen (zu »imponiren«). Wenn diese Genüsse der eigenen Macht und ihrer Wir- kungen auf Andere geradezu das Ziel eines Strebens werden, so ist Genusssucht der allgemeine Charakter, welchen es mit Eigennutz gemeinsam hat; denn auch das Nützliche wird nur um endlicher Genüsse willen gesucht. Wenn auch der Eigennützige stolz darauf ist, Genüssen entsagen zu können, als ein Vernünftiger der Zukunft gedenkend, indem er dem Angenehmen das Erspriessliche vorzieht. — Eigennutz wie Eitelkeit ist Motiv der Geselligkeit: Eitelkeit braucht die anderen Menschen als Spiegel, Eigen- nutz als Werkzeug. — Seine besondere Gestalt, in welcher er als sein besonderes Ziel die Mittel zu allen möglichen Genüssen ins Auge fasst, nimmt Eigennutz an — wie schon vorausbedeutet wurde — als b) Geldgier. Und so ver- wandelt sich Eitelkeit in die besondere Art des Trachtens nach Selbstgenuss in Bezug auf äussere Güter, als bb) Gewinnsucht, welche die verfeinerte Form der Geldgier ist: ein Trachten mehr nach Wachsthum von Geld und Gut, als nach einer absoluten Menge davon, welches daher keineswegs durch diese begrenzt ist, ja vielmehr im Ver- hältnisse zu ihr zunimmt, nämlich in dem Maasse, als die eigentliche Geldgier gesättigt ist und zurücktretend das Feld der Gedanken an Gewinnsucht überlässt. Was ihnen aber gemeinsam ist, wird auf einfache Weise durch den Begriff der Habsucht ausgedrückt. — Wenn nun Eigennutz sich der anderen Menschen als Werkzeuge bedient, so ist er als das Streben nach solchen immateriellen und durch Denken allein erfassbaren Mitteln, nämlich den zur Verfügung stehenden menschlichen Willen und ihren Meinungen über

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/169>, abgerufen am 28.04.2024.