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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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stärker wir durch Gefallen oder Gewohnheit uns davon an-
gezogen oder abgestossen fühlen; wo dann wiederum die
denkende Auffassung der Sache hemmend entgegentreten
und in anderem Sinne bestimmen kann. In alle diesem,
wo das Gefühl und auch das Gedachte als Gefühl wirksam
ist oder gar herrscht, da ist unser Gebahren, unser Han-
deln und Reden nur ein besonderer Ausdruck unseres Lebens,
unserer Kraft und Natur, und wie wir als Subjecte dieser,
also der organischen Functionen, unseres Wachsthums und
Verfalles, uns fühlen und wissen, nur so auch, obschon
durch andere Empfindungen, jenes unseres Thuns, das "der
Geist" uns eingibt, d. i. ein Zustand und Drang, zusammen
mit denkender Anschauung der gegebenen Umstände, was
sie enthalten und heischen -- oder was unbedingter Weise,
unter allen Umständen, das Richtige sei: das Schöne, Gute
und Edle. -- Anders wird es in dem Maasse, als die Thätig-
keit des Verstandes sich unabhängig macht und mit ihrem
Materiale frei zu schalten scheint, indem sie das Thunliche
trennt und zusammensetzt. Bisher durchaus bedingt durch
das Werk und von der Idee desselben getragen, reisst sich
nun das Denken davon los, erhebt sich darüber und setzt
das Ende und den Erfolg für sich hin als Zweck,
das Werk selber aber, als ob es davon getrennt und ver-
schieden wäre, als Mittel und nützliche Ursache, so aber
nicht wesentlich und nothwendig, sofern viele Wege zu
demselben Ziele führen oder viele Ursachen dieselbe Wir-
kung haben können, und nun versucht wird, das beste
Mittel zu erfinden, d. i. das Verhältniss von Mittel und
Zweck möglichst zu Gunsten des Zweckes zu gestalten.
Sofern aber der Erfolg durch irgendwelche Mittel -- sei es
als das einzige oder als das beste -- wirklich bedingt
zu sein scheint, so ist dieses Mittel auch die nothwendige
Ursache und muss angewandt werden.


stärker wir durch Gefallen oder Gewohnheit uns davon an-
gezogen oder abgestossen fühlen; wo dann wiederum die
denkende Auffassung der Sache hemmend entgegentreten
und in anderem Sinne bestimmen kann. In alle diesem,
wo das Gefühl und auch das Gedachte als Gefühl wirksam
ist oder gar herrscht, da ist unser Gebahren, unser Han-
deln und Reden nur ein besonderer Ausdruck unseres Lebens,
unserer Kraft und Natur, und wie wir als Subjecte dieser,
also der organischen Functionen, unseres Wachsthums und
Verfalles, uns fühlen und wissen, nur so auch, obschon
durch andere Empfindungen, jenes unseres Thuns, das »der
Geist« uns eingibt, d. i. ein Zustand und Drang, zusammen
mit denkender Anschauung der gegebenen Umstände, was
sie enthalten und heischen — oder was unbedingter Weise,
unter allen Umständen, das Richtige sei: das Schöne, Gute
und Edle. — Anders wird es in dem Maasse, als die Thätig-
keit des Verstandes sich unabhängig macht und mit ihrem
Materiale frei zu schalten scheint, indem sie das Thunliche
trennt und zusammensetzt. Bisher durchaus bedingt durch
das Werk und von der Idee desselben getragen, reisst sich
nun das Denken davon los, erhebt sich darüber und setzt
das Ende und den Erfolg für sich hin als Zweck,
das Werk selber aber, als ob es davon getrennt und ver-
schieden wäre, als Mittel und nützliche Ursache, so aber
nicht wesentlich und nothwendig, sofern viele Wege zu
demselben Ziele führen oder viele Ursachen dieselbe Wir-
kung haben können, und nun versucht wird, das beste
Mittel zu erfinden, d. i. das Verhältniss von Mittel und
Zweck möglichst zu Gunsten des Zweckes zu gestalten.
Sofern aber der Erfolg durch irgendwelche Mittel — sei es
als das einzige oder als das beste — wirklich bedingt
zu sein scheint, so ist dieses Mittel auch die nothwendige
Ursache und muss angewandt werden.


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[142/0178] stärker wir durch Gefallen oder Gewohnheit uns davon an- gezogen oder abgestossen fühlen; wo dann wiederum die denkende Auffassung der Sache hemmend entgegentreten und in anderem Sinne bestimmen kann. In alle diesem, wo das Gefühl und auch das Gedachte als Gefühl wirksam ist oder gar herrscht, da ist unser Gebahren, unser Han- deln und Reden nur ein besonderer Ausdruck unseres Lebens, unserer Kraft und Natur, und wie wir als Subjecte dieser, also der organischen Functionen, unseres Wachsthums und Verfalles, uns fühlen und wissen, nur so auch, obschon durch andere Empfindungen, jenes unseres Thuns, das »der Geist« uns eingibt, d. i. ein Zustand und Drang, zusammen mit denkender Anschauung der gegebenen Umstände, was sie enthalten und heischen — oder was unbedingter Weise, unter allen Umständen, das Richtige sei: das Schöne, Gute und Edle. — Anders wird es in dem Maasse, als die Thätig- keit des Verstandes sich unabhängig macht und mit ihrem Materiale frei zu schalten scheint, indem sie das Thunliche trennt und zusammensetzt. Bisher durchaus bedingt durch das Werk und von der Idee desselben getragen, reisst sich nun das Denken davon los, erhebt sich darüber und setzt das Ende und den Erfolg für sich hin als Zweck, das Werk selber aber, als ob es davon getrennt und ver- schieden wäre, als Mittel und nützliche Ursache, so aber nicht wesentlich und nothwendig, sofern viele Wege zu demselben Ziele führen oder viele Ursachen dieselbe Wir- kung haben können, und nun versucht wird, das beste Mittel zu erfinden, d. i. das Verhältniss von Mittel und Zweck möglichst zu Gunsten des Zweckes zu gestalten. Sofern aber der Erfolg durch irgendwelche Mittel — sei es als das einzige oder als das beste — wirklich bedingt zu sein scheint, so ist dieses Mittel auch die nothwendige Ursache und muss angewandt werden.

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/178>, abgerufen am 29.04.2024.