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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der Freiherr vom Stein.
Standen doch die Stammburgen der Häuser Stein und Nassau dicht bei
einander auf demselben Felsen; warum sollte das alte Wappenschild mit
den Rosen und den Balken weniger gelten als der sächsische Rautenkranz
oder die württembergischen Hirschgeweihe? Der Gedanke der deutschen
Einheit, zu dem die geborenen Unterthanen erst auf den weiten Umwegen
der historischen Bildung gelangten, war diesem stolzen reichsfreien Herrn
in die Wiege gebunden. Er wußte es gar nicht anders: "ich habe nur
ein Vaterland, das heißt Deutschland, und da ich nach alter Verfassung
nur ihm und keinem besonderen Theile desselben angehöre, so bin ich auch
nur ihm und nicht einem Theile desselben von ganzem Herzen ergeben."
Wenig berührt von der ästhetischen Begeisterung der Zeitgenossen versenkte
sich sein thatkräftiger, auf das Wirkliche gerichteter Geist früh in die histo-
rischen Dinge. Alle die Wunder der vaterländischen Geschichte, von den
Cohortenstürmern des Teutoburger Waldes bis herab zu Friedrichs Grena-
dieren, standen lebendig vor seinen Blicken. Dem ganzen großen Deutsch-
land, so weit die deutsche Zunge klingt, galt seine feurige Liebe. Keinen,
der nur jemals von der Kraft und Großheit deutschen Wesens Kunde ge-
geben, schloß er von seinem Herzen aus; als er im Alter in seinem Nassau
einen Thurm erbaute zur Erinnerung an Deutschlands ruhmvolle Thaten,
hing er die Bilder von Friedrich dem Großen und Maria Theresia, von
Scharnhorst und Wallenstein friedlich neben einander. Sein Ideal war
das gewaltige deutsche Königthum der Sachsenkaiser; die neuen Theil-
staaten, die sich seitdem über den Trümmern der Monarchie erhoben
hatten, erschienen ihm sammt und sonders nur als Gebilde der Willkür,
heimischen Verrathes, ausländischer Ränke, reif zur Vernichtung sobald
irgendwo und irgendwie die Majestät des alten rechtmäßigen Königthums
wieder erstünde. Sein schonungsloser Freimuth gegen die gekrönten
Häupter entsprang nicht blos der angeborenen Tapferkeit eines helden-
haften Gemüthes, sondern auch dem Stolze des Reichsritters, der in
allen diesen fürstlichen Herren nur pflichtvergessene, auf Kosten des Kaiser-
thums bereicherte Standesgenossen sah und nicht begreifen wollte, warum
man mit solchen Zaunkönigen so viel Umstände mache.

Er hatte die rheinischen Feldzüge in der Nähe beobachtet und die
Ueberzeugung gewonnen, die er einmal der Kaiserin von Rußland vor
versammeltem Hofe aussprach: das Volk sei treu und tüchtig, nur die
Erbärmlichkeit seiner Fürsten verschulde Deutschlands Verderben. Er haßte
die Fremdherrschaft mit der ganzen dämonischen Macht seiner natur-
wüchsigen Leidenschaft, die einmal ausbrechend unbändig wie ein Berg-
strom daherbrauste; doch nicht von der Wiederaufrichtung der verlebten
alten Staatsgewalten noch von den künstlichen Gleichgewichtslehren der
alten Diplomatie erwartete er das Heil Europas. Sein freier großer
Sinn drang überall gradaus in den sittlichen Kern der Dinge. Mit
dem Blicke des Sehers erkannte er jetzt schon, wie Gneisenau, die Grund-

Der Freiherr vom Stein.
Standen doch die Stammburgen der Häuſer Stein und Naſſau dicht bei
einander auf demſelben Felſen; warum ſollte das alte Wappenſchild mit
den Roſen und den Balken weniger gelten als der ſächſiſche Rautenkranz
oder die württembergiſchen Hirſchgeweihe? Der Gedanke der deutſchen
Einheit, zu dem die geborenen Unterthanen erſt auf den weiten Umwegen
der hiſtoriſchen Bildung gelangten, war dieſem ſtolzen reichsfreien Herrn
in die Wiege gebunden. Er wußte es gar nicht anders: „ich habe nur
ein Vaterland, das heißt Deutſchland, und da ich nach alter Verfaſſung
nur ihm und keinem beſonderen Theile deſſelben angehöre, ſo bin ich auch
nur ihm und nicht einem Theile deſſelben von ganzem Herzen ergeben.“
Wenig berührt von der äſthetiſchen Begeiſterung der Zeitgenoſſen verſenkte
ſich ſein thatkräftiger, auf das Wirkliche gerichteter Geiſt früh in die hiſto-
riſchen Dinge. Alle die Wunder der vaterländiſchen Geſchichte, von den
Cohortenſtürmern des Teutoburger Waldes bis herab zu Friedrichs Grena-
dieren, ſtanden lebendig vor ſeinen Blicken. Dem ganzen großen Deutſch-
land, ſo weit die deutſche Zunge klingt, galt ſeine feurige Liebe. Keinen,
der nur jemals von der Kraft und Großheit deutſchen Weſens Kunde ge-
geben, ſchloß er von ſeinem Herzen aus; als er im Alter in ſeinem Naſſau
einen Thurm erbaute zur Erinnerung an Deutſchlands ruhmvolle Thaten,
hing er die Bilder von Friedrich dem Großen und Maria Thereſia, von
Scharnhorſt und Wallenſtein friedlich neben einander. Sein Ideal war
das gewaltige deutſche Königthum der Sachſenkaiſer; die neuen Theil-
ſtaaten, die ſich ſeitdem über den Trümmern der Monarchie erhoben
hatten, erſchienen ihm ſammt und ſonders nur als Gebilde der Willkür,
heimiſchen Verrathes, ausländiſcher Ränke, reif zur Vernichtung ſobald
irgendwo und irgendwie die Majeſtät des alten rechtmäßigen Königthums
wieder erſtünde. Sein ſchonungsloſer Freimuth gegen die gekrönten
Häupter entſprang nicht blos der angeborenen Tapferkeit eines helden-
haften Gemüthes, ſondern auch dem Stolze des Reichsritters, der in
allen dieſen fürſtlichen Herren nur pflichtvergeſſene, auf Koſten des Kaiſer-
thums bereicherte Standesgenoſſen ſah und nicht begreifen wollte, warum
man mit ſolchen Zaunkönigen ſo viel Umſtände mache.

Er hatte die rheiniſchen Feldzüge in der Nähe beobachtet und die
Ueberzeugung gewonnen, die er einmal der Kaiſerin von Rußland vor
verſammeltem Hofe ausſprach: das Volk ſei treu und tüchtig, nur die
Erbärmlichkeit ſeiner Fürſten verſchulde Deutſchlands Verderben. Er haßte
die Fremdherrſchaft mit der ganzen dämoniſchen Macht ſeiner natur-
wüchſigen Leidenſchaft, die einmal ausbrechend unbändig wie ein Berg-
ſtrom daherbrauſte; doch nicht von der Wiederaufrichtung der verlebten
alten Staatsgewalten noch von den künſtlichen Gleichgewichtslehren der
alten Diplomatie erwartete er das Heil Europas. Sein freier großer
Sinn drang überall gradaus in den ſittlichen Kern der Dinge. Mit
dem Blicke des Sehers erkannte er jetzt ſchon, wie Gneiſenau, die Grund-

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[271/0287] Der Freiherr vom Stein. Standen doch die Stammburgen der Häuſer Stein und Naſſau dicht bei einander auf demſelben Felſen; warum ſollte das alte Wappenſchild mit den Roſen und den Balken weniger gelten als der ſächſiſche Rautenkranz oder die württembergiſchen Hirſchgeweihe? Der Gedanke der deutſchen Einheit, zu dem die geborenen Unterthanen erſt auf den weiten Umwegen der hiſtoriſchen Bildung gelangten, war dieſem ſtolzen reichsfreien Herrn in die Wiege gebunden. Er wußte es gar nicht anders: „ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutſchland, und da ich nach alter Verfaſſung nur ihm und keinem beſonderen Theile deſſelben angehöre, ſo bin ich auch nur ihm und nicht einem Theile deſſelben von ganzem Herzen ergeben.“ Wenig berührt von der äſthetiſchen Begeiſterung der Zeitgenoſſen verſenkte ſich ſein thatkräftiger, auf das Wirkliche gerichteter Geiſt früh in die hiſto- riſchen Dinge. Alle die Wunder der vaterländiſchen Geſchichte, von den Cohortenſtürmern des Teutoburger Waldes bis herab zu Friedrichs Grena- dieren, ſtanden lebendig vor ſeinen Blicken. Dem ganzen großen Deutſch- land, ſo weit die deutſche Zunge klingt, galt ſeine feurige Liebe. Keinen, der nur jemals von der Kraft und Großheit deutſchen Weſens Kunde ge- geben, ſchloß er von ſeinem Herzen aus; als er im Alter in ſeinem Naſſau einen Thurm erbaute zur Erinnerung an Deutſchlands ruhmvolle Thaten, hing er die Bilder von Friedrich dem Großen und Maria Thereſia, von Scharnhorſt und Wallenſtein friedlich neben einander. Sein Ideal war das gewaltige deutſche Königthum der Sachſenkaiſer; die neuen Theil- ſtaaten, die ſich ſeitdem über den Trümmern der Monarchie erhoben hatten, erſchienen ihm ſammt und ſonders nur als Gebilde der Willkür, heimiſchen Verrathes, ausländiſcher Ränke, reif zur Vernichtung ſobald irgendwo und irgendwie die Majeſtät des alten rechtmäßigen Königthums wieder erſtünde. Sein ſchonungsloſer Freimuth gegen die gekrönten Häupter entſprang nicht blos der angeborenen Tapferkeit eines helden- haften Gemüthes, ſondern auch dem Stolze des Reichsritters, der in allen dieſen fürſtlichen Herren nur pflichtvergeſſene, auf Koſten des Kaiſer- thums bereicherte Standesgenoſſen ſah und nicht begreifen wollte, warum man mit ſolchen Zaunkönigen ſo viel Umſtände mache. Er hatte die rheiniſchen Feldzüge in der Nähe beobachtet und die Ueberzeugung gewonnen, die er einmal der Kaiſerin von Rußland vor verſammeltem Hofe ausſprach: das Volk ſei treu und tüchtig, nur die Erbärmlichkeit ſeiner Fürſten verſchulde Deutſchlands Verderben. Er haßte die Fremdherrſchaft mit der ganzen dämoniſchen Macht ſeiner natur- wüchſigen Leidenſchaft, die einmal ausbrechend unbändig wie ein Berg- ſtrom daherbrauſte; doch nicht von der Wiederaufrichtung der verlebten alten Staatsgewalten noch von den künſtlichen Gleichgewichtslehren der alten Diplomatie erwartete er das Heil Europas. Sein freier großer Sinn drang überall gradaus in den ſittlichen Kern der Dinge. Mit dem Blicke des Sehers erkannte er jetzt ſchon, wie Gneiſenau, die Grund-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/287>, abgerufen am 29.04.2024.