arm, genügsam, bedürfnißlos, ohne jede Selbstsucht allein der Sache dienend und bei allem Freimuth tief innerlich bescheiden, wie es dem be- gabten Soldaten natürlich ist; denn das einsame Schaffen des Künstlers und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag, wenn ihn das unerforschliche Schicksal nicht zur rechten Zeit an die rechte Stelle führt. Allzu bescheiden nannte sich Gneisenau selber nur einen Pygmäen neben dem Riesen Scharnhorst. Ihm fehlte die schwere Ge- lehrsamkeit des Meisters und er empfand, gleich so vielen Männern der That, die Lücken seines Wissens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür besaß er in weit höherem Maaße die begeisternde Zuversicht des Helden, jenen freudigen Fatalismus, der den Feldherrn macht. Wie stolz und sicher spannte er jetzt seine Segel aus, da er endlich nach den Irrfahrten einer leidenschaftlichen Jugend und nach der langen traurigen Windstille des subalternen Dienstes auf die hohe See des Lebens gelangt war. Jede Aufgabe, die ihm das Schicksal bot, griff er mit glücklichem Leichtsinn an, unbedenklich übernahm der Infanterist das Commando der Ingenieure und die Aufsicht über die Festungen. Während Scharnhorst bedächtig die Gefahren des nächsten Tages erwog, dachte Gneisenau immer mit glühen- der Sehnsucht an die Stunde der Erhebung und hieß auch die Narren freundlich willkommen, wenn sie nur mithelfen wollten bei der großen Verschwörung.
Eine verwandte Natur war Grolmann, hochherzig, hell und freudig, geschaffen für das Schlachtgewühl, für das kühne Ergreifen der Gunst des Augenblicks; doch er sollte die Grausamkeit des Soldatenschicksals schwer erfahren und niemals im Kriege an erster Stelle stehen. In der Weise seines Auftretens schien Boyen dem General am Aehnlich- sten, ein ernsthafter, verschlossener Ostpreuße, der zu den Füßen von Kant und Kraus gesessen hatte, auch als Poet mit der neuen Literatur in regem Verkehre stand. Nur die feurigen Augen unter den buschigen Brauen verriethen, welche stürmische Verwegenheit in dem einfachen, wort- kargen Manne schlummerte. Er hat die organisatorischen Ideen Scharn- horsts nach seiner stillen Art in sich verarbeitet und fortgebildet und nach den Kriegen dem neuen Volksheere seine bleibende Verfassung gegeben. Der Jüngste endlich aus diesem Freundeskreise, Carl von Clausewitz, war mehr als die Aelteren ein vertrauter Schüler Scharnhorsts, tief eingeweiht in die neuen kriegswissenschaftlichen Theorien, womit Jener sich trug; nach- her hat sie er selbständig ausgestaltet und durch eine Reihe von Werken, deren classische Form die Schriften des Meisters weit übertraf, der Lehre vom Kriege ihren Platz in der Reihe der Staatswissenschaften gesichert. Ein großer wissenschaftlicher Kopf, ein Meister des historischen Urtheils war er vielleicht zu kritisch und nachdenklich um so beherzt wie Gneisenau das Glück der Schlachten bei der Locke zu fassen, aber keineswegs blos
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Scharnhorſts Freunde.
arm, genügſam, bedürfnißlos, ohne jede Selbſtſucht allein der Sache dienend und bei allem Freimuth tief innerlich beſcheiden, wie es dem be- gabten Soldaten natürlich iſt; denn das einſame Schaffen des Künſtlers und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag, wenn ihn das unerforſchliche Schickſal nicht zur rechten Zeit an die rechte Stelle führt. Allzu beſcheiden nannte ſich Gneiſenau ſelber nur einen Pygmäen neben dem Rieſen Scharnhorſt. Ihm fehlte die ſchwere Ge- lehrſamkeit des Meiſters und er empfand, gleich ſo vielen Männern der That, die Lücken ſeines Wiſſens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür beſaß er in weit höherem Maaße die begeiſternde Zuverſicht des Helden, jenen freudigen Fatalismus, der den Feldherrn macht. Wie ſtolz und ſicher ſpannte er jetzt ſeine Segel aus, da er endlich nach den Irrfahrten einer leidenſchaftlichen Jugend und nach der langen traurigen Windſtille des ſubalternen Dienſtes auf die hohe See des Lebens gelangt war. Jede Aufgabe, die ihm das Schickſal bot, griff er mit glücklichem Leichtſinn an, unbedenklich übernahm der Infanteriſt das Commando der Ingenieure und die Aufſicht über die Feſtungen. Während Scharnhorſt bedächtig die Gefahren des nächſten Tages erwog, dachte Gneiſenau immer mit glühen- der Sehnſucht an die Stunde der Erhebung und hieß auch die Narren freundlich willkommen, wenn ſie nur mithelfen wollten bei der großen Verſchwörung.
Eine verwandte Natur war Grolmann, hochherzig, hell und freudig, geſchaffen für das Schlachtgewühl, für das kühne Ergreifen der Gunſt des Augenblicks; doch er ſollte die Grauſamkeit des Soldatenſchickſals ſchwer erfahren und niemals im Kriege an erſter Stelle ſtehen. In der Weiſe ſeines Auftretens ſchien Boyen dem General am Aehnlich- ſten, ein ernſthafter, verſchloſſener Oſtpreuße, der zu den Füßen von Kant und Kraus geſeſſen hatte, auch als Poet mit der neuen Literatur in regem Verkehre ſtand. Nur die feurigen Augen unter den buſchigen Brauen verriethen, welche ſtürmiſche Verwegenheit in dem einfachen, wort- kargen Manne ſchlummerte. Er hat die organiſatoriſchen Ideen Scharn- horſts nach ſeiner ſtillen Art in ſich verarbeitet und fortgebildet und nach den Kriegen dem neuen Volksheere ſeine bleibende Verfaſſung gegeben. Der Jüngſte endlich aus dieſem Freundeskreiſe, Carl von Clauſewitz, war mehr als die Aelteren ein vertrauter Schüler Scharnhorſts, tief eingeweiht in die neuen kriegswiſſenſchaftlichen Theorien, womit Jener ſich trug; nach- her hat ſie er ſelbſtändig ausgeſtaltet und durch eine Reihe von Werken, deren claſſiſche Form die Schriften des Meiſters weit übertraf, der Lehre vom Kriege ihren Platz in der Reihe der Staatswiſſenſchaften geſichert. Ein großer wiſſenſchaftlicher Kopf, ein Meiſter des hiſtoriſchen Urtheils war er vielleicht zu kritiſch und nachdenklich um ſo beherzt wie Gneiſenau das Glück der Schlachten bei der Locke zu faſſen, aber keineswegs blos
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Scharnhorſts Freunde.
arm, genügſam, bedürfnißlos, ohne jede Selbſtſucht allein der Sache
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gabten Soldaten natürlich iſt; denn das einſame Schaffen des Künſtlers
und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als
ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag,
wenn ihn das unerforſchliche Schickſal nicht zur rechten Zeit an die rechte
Stelle führt. Allzu beſcheiden nannte ſich Gneiſenau ſelber nur einen
Pygmäen neben dem Rieſen Scharnhorſt. Ihm fehlte die ſchwere Ge-
lehrſamkeit des Meiſters und er empfand, gleich ſo vielen Männern der
That, die Lücken ſeines Wiſſens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür
beſaß er in weit höherem Maaße die begeiſternde Zuverſicht des Helden,
jenen freudigen Fatalismus, der den Feldherrn macht. Wie ſtolz und
ſicher ſpannte er jetzt ſeine Segel aus, da er endlich nach den Irrfahrten
einer leidenſchaftlichen Jugend und nach der langen traurigen Windſtille
des ſubalternen Dienſtes auf die hohe See des Lebens gelangt war. Jede
Aufgabe, die ihm das Schickſal bot, griff er mit glücklichem Leichtſinn an,
unbedenklich übernahm der Infanteriſt das Commando der Ingenieure
und die Aufſicht über die Feſtungen. Während Scharnhorſt bedächtig die
Gefahren des nächſten Tages erwog, dachte Gneiſenau immer mit glühen-
der Sehnſucht an die Stunde der Erhebung und hieß auch die Narren
freundlich willkommen, wenn ſie nur mithelfen wollten bei der großen
Verſchwörung.
Eine verwandte Natur war Grolmann, hochherzig, hell und freudig,
geſchaffen für das Schlachtgewühl, für das kühne Ergreifen der Gunſt
des Augenblicks; doch er ſollte die Grauſamkeit des Soldatenſchickſals
ſchwer erfahren und niemals im Kriege an erſter Stelle ſtehen. In
der Weiſe ſeines Auftretens ſchien Boyen dem General am Aehnlich-
ſten, ein ernſthafter, verſchloſſener Oſtpreuße, der zu den Füßen von
Kant und Kraus geſeſſen hatte, auch als Poet mit der neuen Literatur
in regem Verkehre ſtand. Nur die feurigen Augen unter den buſchigen
Brauen verriethen, welche ſtürmiſche Verwegenheit in dem einfachen, wort-
kargen Manne ſchlummerte. Er hat die organiſatoriſchen Ideen Scharn-
horſts nach ſeiner ſtillen Art in ſich verarbeitet und fortgebildet und nach
den Kriegen dem neuen Volksheere ſeine bleibende Verfaſſung gegeben.
Der Jüngſte endlich aus dieſem Freundeskreiſe, Carl von Clauſewitz, war
mehr als die Aelteren ein vertrauter Schüler Scharnhorſts, tief eingeweiht
in die neuen kriegswiſſenſchaftlichen Theorien, womit Jener ſich trug; nach-
her hat ſie er ſelbſtändig ausgeſtaltet und durch eine Reihe von Werken,
deren claſſiſche Form die Schriften des Meiſters weit übertraf, der Lehre
vom Kriege ihren Platz in der Reihe der Staatswiſſenſchaften geſichert.
Ein großer wiſſenſchaftlicher Kopf, ein Meiſter des hiſtoriſchen Urtheils
war er vielleicht zu kritiſch und nachdenklich um ſo beherzt wie Gneiſenau
das Glück der Schlachten bei der Locke zu faſſen, aber keineswegs blos
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/307>, abgerufen am 16.06.2024.
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