II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
sich sagen, daß nur sein persönliches Eingreifen die Union ermöglicht hatte, und war schmerzlich überrascht, als jetzt auch die alten Heimathlande der deutschen Synodalverfassung, die reformirten Gemeinden am Niederrhein sich zu regen begannen. Sie hießen die Union willkommen, nur die oberst- bischöfliche Gewalt des Königs wollten sie nicht anerkennen -- zum Ent- setzen der Beamten, die allesammt noch an den Lehren des Territorial- systems festhielten; selbst der wohlmeinende Solms-Laubach schrieb warnend: diese Synodalen von Jülich-Cleve-Berg seien nicht minder gefährlich als die Ultramontanen, "Beide greifen dem Könige an Kron' und Scepter."*) Die ungeahnte Stärke dieser zweifachen Opposition ward erst offenbar, als der König nunmehr unternahm seiner Landeskirche eine gemeinsame Agende zu geben. Die junge Union sollte noch schwere Jahre voll bitterer Kämpfe und häßlicher Verirrungen überstehen bis sie sich wirklich, nach dem Sinne ihres Stifters, als ein Friedenswerk bewährte.
So schaltete fast auf allen Gebieten des Staatslebens eine reiche, heil- same Thätigkeit. An dem mächtigen Aufsteigen des Wohlstandes und der Bildung während dieser langen Friedenszeit hatte das einsichtige Schaffen des Beamtenthums in Preußen wie im übrigen Deutschland ein großes, vielleicht das größte Verdienst, und nichts bekundet so deutlich die kindliche politische Unreife der Opposition jener Tage, als der Vorwurf der Un- fruchtbarkeit, welchen die liberale Presse gegen Hardenberg zu erheben pflegte. Während der Staatsrath über die Steuerreform verhandelte, begann in den Provinzen, überall unter der unmittelbaren Aufsicht des Staatskanz- lers, die neue Verwaltung ihr Werk -- eine Arbeit der Wiederherstellung, schwerer und mannichfaltiger als die Aufgaben, welche einst König Friedrich nach dem siebenjährigen Kriege gelöst hatte.
Nirgends mußte die Pflichttreue des Beamtenthums so harte Proben bestehen wie in der Provinz Posen. So lange man noch auf die Er- werbung von Warschau hoffte, war Hardenberg gewillt den polnischen Provinzen eine gewisse nationale Selbständigkeit zu gewähren. Diese ge- fährlichen Pläne fielen von selbst hinweg, als lediglich der schmale Land- strich bis zur Prosna, ein schon fast zu zwei Fünfteln von Deutschen be- wohntes Gebiet, an Preußen zurückkam. Da die Wiener Verträge die Krone nur ganz im Allgemeinen zur Schonung des polnischen Volksthums verpflichteten, so wurden die von Warschau abgetretenen Landschaften durch- aus in derselben Weise wie die anderen Erwerbungen dem preußischen Staate eingefügt und leisteten denselben Huldigungseid. Man erkannte dies Ge- biet nicht als untheilbar an, sondern vereinigte die Landstriche um Thorn
*) Solms-Laubach, Bericht über die Zustände in Jülich-Cleve-Berg, August 1819.
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
ſich ſagen, daß nur ſein perſönliches Eingreifen die Union ermöglicht hatte, und war ſchmerzlich überraſcht, als jetzt auch die alten Heimathlande der deutſchen Synodalverfaſſung, die reformirten Gemeinden am Niederrhein ſich zu regen begannen. Sie hießen die Union willkommen, nur die oberſt- biſchöfliche Gewalt des Königs wollten ſie nicht anerkennen — zum Ent- ſetzen der Beamten, die alleſammt noch an den Lehren des Territorial- ſyſtems feſthielten; ſelbſt der wohlmeinende Solms-Laubach ſchrieb warnend: dieſe Synodalen von Jülich-Cleve-Berg ſeien nicht minder gefährlich als die Ultramontanen, „Beide greifen dem Könige an Kron’ und Scepter.“*) Die ungeahnte Stärke dieſer zweifachen Oppoſition ward erſt offenbar, als der König nunmehr unternahm ſeiner Landeskirche eine gemeinſame Agende zu geben. Die junge Union ſollte noch ſchwere Jahre voll bitterer Kämpfe und häßlicher Verirrungen überſtehen bis ſie ſich wirklich, nach dem Sinne ihres Stifters, als ein Friedenswerk bewährte.
So ſchaltete faſt auf allen Gebieten des Staatslebens eine reiche, heil- ſame Thätigkeit. An dem mächtigen Aufſteigen des Wohlſtandes und der Bildung während dieſer langen Friedenszeit hatte das einſichtige Schaffen des Beamtenthums in Preußen wie im übrigen Deutſchland ein großes, vielleicht das größte Verdienſt, und nichts bekundet ſo deutlich die kindliche politiſche Unreife der Oppoſition jener Tage, als der Vorwurf der Un- fruchtbarkeit, welchen die liberale Preſſe gegen Hardenberg zu erheben pflegte. Während der Staatsrath über die Steuerreform verhandelte, begann in den Provinzen, überall unter der unmittelbaren Aufſicht des Staatskanz- lers, die neue Verwaltung ihr Werk — eine Arbeit der Wiederherſtellung, ſchwerer und mannichfaltiger als die Aufgaben, welche einſt König Friedrich nach dem ſiebenjährigen Kriege gelöſt hatte.
Nirgends mußte die Pflichttreue des Beamtenthums ſo harte Proben beſtehen wie in der Provinz Poſen. So lange man noch auf die Er- werbung von Warſchau hoffte, war Hardenberg gewillt den polniſchen Provinzen eine gewiſſe nationale Selbſtändigkeit zu gewähren. Dieſe ge- fährlichen Pläne fielen von ſelbſt hinweg, als lediglich der ſchmale Land- ſtrich bis zur Prosna, ein ſchon faſt zu zwei Fünfteln von Deutſchen be- wohntes Gebiet, an Preußen zurückkam. Da die Wiener Verträge die Krone nur ganz im Allgemeinen zur Schonung des polniſchen Volksthums verpflichteten, ſo wurden die von Warſchau abgetretenen Landſchaften durch- aus in derſelben Weiſe wie die anderen Erwerbungen dem preußiſchen Staate eingefügt und leiſteten denſelben Huldigungseid. Man erkannte dies Ge- biet nicht als untheilbar an, ſondern vereinigte die Landſtriche um Thorn
*) Solms-Laubach, Bericht über die Zuſtände in Jülich-Cleve-Berg, Auguſt 1819.
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
ſich ſagen, daß nur ſein perſönliches Eingreifen die Union ermöglicht hatte,
und war ſchmerzlich überraſcht, als jetzt auch die alten Heimathlande der
deutſchen Synodalverfaſſung, die reformirten Gemeinden am Niederrhein
ſich zu regen begannen. Sie hießen die Union willkommen, nur die oberſt-
biſchöfliche Gewalt des Königs wollten ſie nicht anerkennen — zum Ent-
ſetzen der Beamten, die alleſammt noch an den Lehren des Territorial-
ſyſtems feſthielten; ſelbſt der wohlmeinende Solms-Laubach ſchrieb warnend:
dieſe Synodalen von Jülich-Cleve-Berg ſeien nicht minder gefährlich als
die Ultramontanen, „Beide greifen dem Könige an Kron’ und Scepter.“ *)
Die ungeahnte Stärke dieſer zweifachen Oppoſition ward erſt offenbar,
als der König nunmehr unternahm ſeiner Landeskirche eine gemeinſame
Agende zu geben. Die junge Union ſollte noch ſchwere Jahre voll bitterer
Kämpfe und häßlicher Verirrungen überſtehen bis ſie ſich wirklich, nach
dem Sinne ihres Stifters, als ein Friedenswerk bewährte.
So ſchaltete faſt auf allen Gebieten des Staatslebens eine reiche, heil-
ſame Thätigkeit. An dem mächtigen Aufſteigen des Wohlſtandes und der
Bildung während dieſer langen Friedenszeit hatte das einſichtige Schaffen
des Beamtenthums in Preußen wie im übrigen Deutſchland ein großes,
vielleicht das größte Verdienſt, und nichts bekundet ſo deutlich die kindliche
politiſche Unreife der Oppoſition jener Tage, als der Vorwurf der Un-
fruchtbarkeit, welchen die liberale Preſſe gegen Hardenberg zu erheben pflegte.
Während der Staatsrath über die Steuerreform verhandelte, begann in
den Provinzen, überall unter der unmittelbaren Aufſicht des Staatskanz-
lers, die neue Verwaltung ihr Werk — eine Arbeit der Wiederherſtellung,
ſchwerer und mannichfaltiger als die Aufgaben, welche einſt König Friedrich
nach dem ſiebenjährigen Kriege gelöſt hatte.
Nirgends mußte die Pflichttreue des Beamtenthums ſo harte Proben
beſtehen wie in der Provinz Poſen. So lange man noch auf die Er-
werbung von Warſchau hoffte, war Hardenberg gewillt den polniſchen
Provinzen eine gewiſſe nationale Selbſtändigkeit zu gewähren. Dieſe ge-
fährlichen Pläne fielen von ſelbſt hinweg, als lediglich der ſchmale Land-
ſtrich bis zur Prosna, ein ſchon faſt zu zwei Fünfteln von Deutſchen be-
wohntes Gebiet, an Preußen zurückkam. Da die Wiener Verträge die
Krone nur ganz im Allgemeinen zur Schonung des polniſchen Volksthums
verpflichteten, ſo wurden die von Warſchau abgetretenen Landſchaften durch-
aus in derſelben Weiſe wie die anderen Erwerbungen dem preußiſchen Staate
eingefügt und leiſteten denſelben Huldigungseid. Man erkannte dies Ge-
biet nicht als untheilbar an, ſondern vereinigte die Landſtriche um Thorn
*) Solms-Laubach, Bericht über die Zuſtände in Jülich-Cleve-Berg, Auguſt 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/258>, abgerufen am 17.06.2024.
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