II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
der kleinen Städte. Aber der vormals übermächtige Landtag war seit 1810 nicht mehr versammelt worden; seit der Bauernstand mit Eifer die neuen Kreisversammlungen beschickte, gerieth die alte Oligarchie dermaßen in Vergessenheit, daß die Stargarder Regierung in Berlin anfragte, ob die Landstuben noch bestünden. Der Bescheid lautete, das werde sich erst entscheiden, wenn über die Herstellung der Provinzialstände beschlossen sei.*) In Schlesien hatte Friedrich der Große die Fürstentage der kaiser- lichen Zeit bis auf die letzte Spur beseitigt.
Um so lauter redeten Hardenbergs alte Gegner, die kurmärkischen Stände. Eigenthümlich war diesem Landtage, der wie in Pommern nur die Prälaten, die Ritterschaft und die Immediatstädte vertrat, eine alte überaus verwickelte Schuldenverwaltung, "die kurmärkische Landschaft". Die Stände hatten im sechzehnten Jahrhundert bedeutende landesherrliche Schulden übernommen und verwalteten seitdem zu deren Verzinsung den Ertrag einiger Auflagen, welche aber nicht von ihnen selbst, sondern von dem vielgeplagten "contribuablen Stande" bezahlt wurden. Es war das Musterbild einer feudalen Verwaltung, die ja überall, gleich dem feudalen Heerwesen, durch unerreichte Kostspieligkeit sich auszeichnete. Eine Ein- nahme von 300,000 Thlr. jährlich wurde erhoben mit einem Aufwande von 50,000 Thlr. an Gehalten und Diäten.**) Nachdem die Krone schon in den ersten Jahren der Hardenbergischen Verwaltung die Marsch- und Molestienkasse nebst einigen anderen Eigenthümlichkeiten des ständischen Aus- schusses aufgehoben hatte, stand jetzt ein neuer Schlag unausbleiblich be- vor. Da der Staat sein Schuldenwesen ordnete, so mußte er auch jene märkische Schuld wieder auf seine eigenen Schultern nehmen; die Tage der kurmärkischen Landschaft waren gezählt. Also begann die kräftigste Stütze der altständischen Macht zu versinken, und schwer besorgt baten einige Deputirte der Ritterschaft den König um Wiederherstellung der alten Ver- fassung und Anhörung der Stände wegen etwa nöthiger Aenderungen.***) Auch die Neumark besaß ihren "Ober- und Unterstand", die Altmark und das Cottbuser Land verlangten wieder einzutreten in die Stände Branden- burgs. Die unglückliche Verordnung vom 22. Mai gab allen diesen Bestre- bungen neue Kraft und einen Schein des Rechts. Und -- so zauberisch wirkte das Wort Verfassung auf dies unerfahrene Geschlecht -- der Ver- treter des wohlweisen Berlinerthums, der Bonapartist Fr. Buchholz nahm eifrig Partei für den feudalen Adel; er wurde der literarische Wortführer der Altständischen, pries in seinem "Journal für Deutschland" die alte kurmärkische Verfassung und schloß zufrieden: "so war eine Constitution wirklich vorhanden."
*) Eingabe der Regierung zu Stargard, 29. April 1814.
**) Bericht der Potsdamer Regierung, 6. Decbr. 1809.
***) Eingabe der kurmärkischen ritterschaftlichen Deputirten 13. August 1814.
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
der kleinen Städte. Aber der vormals übermächtige Landtag war ſeit 1810 nicht mehr verſammelt worden; ſeit der Bauernſtand mit Eifer die neuen Kreisverſammlungen beſchickte, gerieth die alte Oligarchie dermaßen in Vergeſſenheit, daß die Stargarder Regierung in Berlin anfragte, ob die Landſtuben noch beſtünden. Der Beſcheid lautete, das werde ſich erſt entſcheiden, wenn über die Herſtellung der Provinzialſtände beſchloſſen ſei.*) In Schleſien hatte Friedrich der Große die Fürſtentage der kaiſer- lichen Zeit bis auf die letzte Spur beſeitigt.
Um ſo lauter redeten Hardenbergs alte Gegner, die kurmärkiſchen Stände. Eigenthümlich war dieſem Landtage, der wie in Pommern nur die Prälaten, die Ritterſchaft und die Immediatſtädte vertrat, eine alte überaus verwickelte Schuldenverwaltung, „die kurmärkiſche Landſchaft“. Die Stände hatten im ſechzehnten Jahrhundert bedeutende landesherrliche Schulden übernommen und verwalteten ſeitdem zu deren Verzinſung den Ertrag einiger Auflagen, welche aber nicht von ihnen ſelbſt, ſondern von dem vielgeplagten „contribuablen Stande“ bezahlt wurden. Es war das Muſterbild einer feudalen Verwaltung, die ja überall, gleich dem feudalen Heerweſen, durch unerreichte Koſtſpieligkeit ſich auszeichnete. Eine Ein- nahme von 300,000 Thlr. jährlich wurde erhoben mit einem Aufwande von 50,000 Thlr. an Gehalten und Diäten.**) Nachdem die Krone ſchon in den erſten Jahren der Hardenbergiſchen Verwaltung die Marſch- und Moleſtienkaſſe nebſt einigen anderen Eigenthümlichkeiten des ſtändiſchen Aus- ſchuſſes aufgehoben hatte, ſtand jetzt ein neuer Schlag unausbleiblich be- vor. Da der Staat ſein Schuldenweſen ordnete, ſo mußte er auch jene märkiſche Schuld wieder auf ſeine eigenen Schultern nehmen; die Tage der kurmärkiſchen Landſchaft waren gezählt. Alſo begann die kräftigſte Stütze der altſtändiſchen Macht zu verſinken, und ſchwer beſorgt baten einige Deputirte der Ritterſchaft den König um Wiederherſtellung der alten Ver- faſſung und Anhörung der Stände wegen etwa nöthiger Aenderungen.***) Auch die Neumark beſaß ihren „Ober- und Unterſtand“, die Altmark und das Cottbuſer Land verlangten wieder einzutreten in die Stände Branden- burgs. Die unglückliche Verordnung vom 22. Mai gab allen dieſen Beſtre- bungen neue Kraft und einen Schein des Rechts. Und — ſo zauberiſch wirkte das Wort Verfaſſung auf dies unerfahrene Geſchlecht — der Ver- treter des wohlweiſen Berlinerthums, der Bonapartiſt Fr. Buchholz nahm eifrig Partei für den feudalen Adel; er wurde der literariſche Wortführer der Altſtändiſchen, pries in ſeinem „Journal für Deutſchland“ die alte kurmärkiſche Verfaſſung und ſchloß zufrieden: „ſo war eine Conſtitution wirklich vorhanden.“
*) Eingabe der Regierung zu Stargard, 29. April 1814.
**) Bericht der Potsdamer Regierung, 6. Decbr. 1809.
***) Eingabe der kurmärkiſchen ritterſchaftlichen Deputirten 13. Auguſt 1814.
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II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
der kleinen Städte. Aber der vormals übermächtige Landtag war ſeit
1810 nicht mehr verſammelt worden; ſeit der Bauernſtand mit Eifer die
neuen Kreisverſammlungen beſchickte, gerieth die alte Oligarchie dermaßen
in Vergeſſenheit, daß die Stargarder Regierung in Berlin anfragte, ob
die Landſtuben noch beſtünden. Der Beſcheid lautete, das werde ſich erſt
entſcheiden, wenn über die Herſtellung der Provinzialſtände beſchloſſen
ſei. *) In Schleſien hatte Friedrich der Große die Fürſtentage der kaiſer-
lichen Zeit bis auf die letzte Spur beſeitigt.
Um ſo lauter redeten Hardenbergs alte Gegner, die kurmärkiſchen
Stände. Eigenthümlich war dieſem Landtage, der wie in Pommern nur
die Prälaten, die Ritterſchaft und die Immediatſtädte vertrat, eine alte
überaus verwickelte Schuldenverwaltung, „die kurmärkiſche Landſchaft“.
Die Stände hatten im ſechzehnten Jahrhundert bedeutende landesherrliche
Schulden übernommen und verwalteten ſeitdem zu deren Verzinſung den
Ertrag einiger Auflagen, welche aber nicht von ihnen ſelbſt, ſondern von
dem vielgeplagten „contribuablen Stande“ bezahlt wurden. Es war das
Muſterbild einer feudalen Verwaltung, die ja überall, gleich dem feudalen
Heerweſen, durch unerreichte Koſtſpieligkeit ſich auszeichnete. Eine Ein-
nahme von 300,000 Thlr. jährlich wurde erhoben mit einem Aufwande
von 50,000 Thlr. an Gehalten und Diäten. **) Nachdem die Krone ſchon
in den erſten Jahren der Hardenbergiſchen Verwaltung die Marſch- und
Moleſtienkaſſe nebſt einigen anderen Eigenthümlichkeiten des ſtändiſchen Aus-
ſchuſſes aufgehoben hatte, ſtand jetzt ein neuer Schlag unausbleiblich be-
vor. Da der Staat ſein Schuldenweſen ordnete, ſo mußte er auch jene
märkiſche Schuld wieder auf ſeine eigenen Schultern nehmen; die Tage
der kurmärkiſchen Landſchaft waren gezählt. Alſo begann die kräftigſte
Stütze der altſtändiſchen Macht zu verſinken, und ſchwer beſorgt baten einige
Deputirte der Ritterſchaft den König um Wiederherſtellung der alten Ver-
faſſung und Anhörung der Stände wegen etwa nöthiger Aenderungen. ***)
Auch die Neumark beſaß ihren „Ober- und Unterſtand“, die Altmark und
das Cottbuſer Land verlangten wieder einzutreten in die Stände Branden-
burgs. Die unglückliche Verordnung vom 22. Mai gab allen dieſen Beſtre-
bungen neue Kraft und einen Schein des Rechts. Und — ſo zauberiſch
wirkte das Wort Verfaſſung auf dies unerfahrene Geſchlecht — der Ver-
treter des wohlweiſen Berlinerthums, der Bonapartiſt Fr. Buchholz nahm
eifrig Partei für den feudalen Adel; er wurde der literariſche Wortführer
der Altſtändiſchen, pries in ſeinem „Journal für Deutſchland“ die alte
kurmärkiſche Verfaſſung und ſchloß zufrieden: „ſo war eine Conſtitution
wirklich vorhanden.“
*) Eingabe der Regierung zu Stargard, 29. April 1814.
**) Bericht der Potsdamer Regierung, 6. Decbr. 1809.
***) Eingabe der kurmärkiſchen ritterſchaftlichen Deputirten 13. Auguſt 1814.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/296>, abgerufen am 16.06.2024.
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