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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
meidlich, und schwer besorgt schrieb Ancillon nach Wien, jetzt sei der
Czar entschlossen zum Vernichtungskampfe wider die Ungläubigen.*) Aber
auch diesmal blieb Alexanders Schwert in der Scheide. Vergeblich suchte
Kapodistrias den Kaiser für die Ideale früherer Tage zu erwärmen; ver-
geblich warnte ihn Czartoryski vor jenen fremden Monarchen, die ihn
jetzt hinabzögen zu ihrer Niedrigkeit, während sonst sein Gestirn hoch über
ihnen geschwebt hätte; umsonst eilte Frau v. Krüdener nach Petersburg,
um den Kreuzzug wider den Islam zu predigen. Der Czar wollte die
alte Freundin nicht mehr sehen. Sein Argwohn gegen die weltumspan-
nenden Pläne der Revolutionspartei ward immer von Neuem genährt
durch die Briefe seines Bruders Constantin aus Warschau, die ihm von
dem geheimen Treiben der polnischen Unzufriedenen erzählten, und willig
glaubte er der in unzähligen Denkschriften wiederholten Weissagung Met-
ternich's: der erste russische Soldat, der den Pruth überschreite, werde
das Signal geben zu einer ungeheueren Feuersbrunst in Polen, Deutsch-
land, Italien, Frankreich. Er wendete jetzt seine christliche Legitimitäts-
doktrin auch auf den Sultan an, den er einst selbst von dem Heiligen
Bunde ausgeschlossen hatte, und auf die rechtlosen Rajahvölker, die durch
kein Band der Treue mit ihren muhamedanischen Gewalthabern verbun-
den, ihr verwirktes Leben sich alljährlich durch die Zahlung des Haradsch
neu erkaufen mußten. Er ward auch nicht anderen Sinnes, als die
Nationalversammlung von Epidaurus im Januar 1822 die Lossagung
der Hellenen vom osmanischen Joche feierlich aussprach und der Wahr-
heit gemäß verkündete, sie habe nichts gemein mit der Sache der Dema-
gogen, sondern kämpfe für die nationale Unabhängigkeit.

Unzweifelhaft ward Alexanders friedfertige Haltung nicht blos durch
den Abscheu vor der Revolution bestimmt, sondern auch durch eine poli-
tische Berechnung, welche den deutschen Höfen für jetzt noch ganz ver-
borgen blieb. Die Türken selber rechneten ihre nordischen Nachbarn nie-
mals zu den Franken; als eine halbasiatische Macht war Rußland über
die verwickelten Machtverhältnisse des Orients immer genauer unterrichtet
als irgend ein europäischer Hof. Unmöglich konnte den argwöhnischen
Blicken des Czaren entgehen, daß ein selbständiger griechischer Staat die
moskowitischen Zukunftspläne eher durchkreuzen als fördern, daß dies er-
starkende Hellenenthum dereinst vielleicht gar selber die Hand nach der
Kaiserkrone von Byzanz ausstrecken würde. Genug, nach manchem Schwan-
ken kehrte Alexander immer wieder zu dem Entschlusse zurück, die hellenische
Revolution sich selber -- das hieß bei ihm: dem verdienten Untergange --
zu überlassen. Was irgend an den Liberalismus gemahnte war ihm ver-
dächtig. Im Herbst 1821 fiel sogar sein langjähriger Vertrauter Fürst
Galitzin in Ungnade; der wohlmeinende herrnhutische Schwärmer hatte

*) Ancillon an Krusemark, 27. Juli 1821.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
meidlich, und ſchwer beſorgt ſchrieb Ancillon nach Wien, jetzt ſei der
Czar entſchloſſen zum Vernichtungskampfe wider die Ungläubigen.*) Aber
auch diesmal blieb Alexanders Schwert in der Scheide. Vergeblich ſuchte
Kapodiſtrias den Kaiſer für die Ideale früherer Tage zu erwärmen; ver-
geblich warnte ihn Czartoryski vor jenen fremden Monarchen, die ihn
jetzt hinabzögen zu ihrer Niedrigkeit, während ſonſt ſein Geſtirn hoch über
ihnen geſchwebt hätte; umſonſt eilte Frau v. Krüdener nach Petersburg,
um den Kreuzzug wider den Islam zu predigen. Der Czar wollte die
alte Freundin nicht mehr ſehen. Sein Argwohn gegen die weltumſpan-
nenden Pläne der Revolutionspartei ward immer von Neuem genährt
durch die Briefe ſeines Bruders Conſtantin aus Warſchau, die ihm von
dem geheimen Treiben der polniſchen Unzufriedenen erzählten, und willig
glaubte er der in unzähligen Denkſchriften wiederholten Weiſſagung Met-
ternich’s: der erſte ruſſiſche Soldat, der den Pruth überſchreite, werde
das Signal geben zu einer ungeheueren Feuersbrunſt in Polen, Deutſch-
land, Italien, Frankreich. Er wendete jetzt ſeine chriſtliche Legitimitäts-
doktrin auch auf den Sultan an, den er einſt ſelbſt von dem Heiligen
Bunde ausgeſchloſſen hatte, und auf die rechtloſen Rajahvölker, die durch
kein Band der Treue mit ihren muhamedaniſchen Gewalthabern verbun-
den, ihr verwirktes Leben ſich alljährlich durch die Zahlung des Haradſch
neu erkaufen mußten. Er ward auch nicht anderen Sinnes, als die
Nationalverſammlung von Epidaurus im Januar 1822 die Losſagung
der Hellenen vom osmaniſchen Joche feierlich ausſprach und der Wahr-
heit gemäß verkündete, ſie habe nichts gemein mit der Sache der Dema-
gogen, ſondern kämpfe für die nationale Unabhängigkeit.

Unzweifelhaft ward Alexanders friedfertige Haltung nicht blos durch
den Abſcheu vor der Revolution beſtimmt, ſondern auch durch eine poli-
tiſche Berechnung, welche den deutſchen Höfen für jetzt noch ganz ver-
borgen blieb. Die Türken ſelber rechneten ihre nordiſchen Nachbarn nie-
mals zu den Franken; als eine halbaſiatiſche Macht war Rußland über
die verwickelten Machtverhältniſſe des Orients immer genauer unterrichtet
als irgend ein europäiſcher Hof. Unmöglich konnte den argwöhniſchen
Blicken des Czaren entgehen, daß ein ſelbſtändiger griechiſcher Staat die
moskowitiſchen Zukunftspläne eher durchkreuzen als fördern, daß dies er-
ſtarkende Hellenenthum dereinſt vielleicht gar ſelber die Hand nach der
Kaiſerkrone von Byzanz ausſtrecken würde. Genug, nach manchem Schwan-
ken kehrte Alexander immer wieder zu dem Entſchluſſe zurück, die helleniſche
Revolution ſich ſelber — das hieß bei ihm: dem verdienten Untergange —
zu überlaſſen. Was irgend an den Liberalismus gemahnte war ihm ver-
dächtig. Im Herbſt 1821 fiel ſogar ſein langjähriger Vertrauter Fürſt
Galitzin in Ungnade; der wohlmeinende herrnhutiſche Schwärmer hatte

*) Ancillon an Kruſemark, 27. Juli 1821.
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[256/0272] III. 5. Die Großmächte und die Trias. meidlich, und ſchwer beſorgt ſchrieb Ancillon nach Wien, jetzt ſei der Czar entſchloſſen zum Vernichtungskampfe wider die Ungläubigen. *) Aber auch diesmal blieb Alexanders Schwert in der Scheide. Vergeblich ſuchte Kapodiſtrias den Kaiſer für die Ideale früherer Tage zu erwärmen; ver- geblich warnte ihn Czartoryski vor jenen fremden Monarchen, die ihn jetzt hinabzögen zu ihrer Niedrigkeit, während ſonſt ſein Geſtirn hoch über ihnen geſchwebt hätte; umſonſt eilte Frau v. Krüdener nach Petersburg, um den Kreuzzug wider den Islam zu predigen. Der Czar wollte die alte Freundin nicht mehr ſehen. Sein Argwohn gegen die weltumſpan- nenden Pläne der Revolutionspartei ward immer von Neuem genährt durch die Briefe ſeines Bruders Conſtantin aus Warſchau, die ihm von dem geheimen Treiben der polniſchen Unzufriedenen erzählten, und willig glaubte er der in unzähligen Denkſchriften wiederholten Weiſſagung Met- ternich’s: der erſte ruſſiſche Soldat, der den Pruth überſchreite, werde das Signal geben zu einer ungeheueren Feuersbrunſt in Polen, Deutſch- land, Italien, Frankreich. Er wendete jetzt ſeine chriſtliche Legitimitäts- doktrin auch auf den Sultan an, den er einſt ſelbſt von dem Heiligen Bunde ausgeſchloſſen hatte, und auf die rechtloſen Rajahvölker, die durch kein Band der Treue mit ihren muhamedaniſchen Gewalthabern verbun- den, ihr verwirktes Leben ſich alljährlich durch die Zahlung des Haradſch neu erkaufen mußten. Er ward auch nicht anderen Sinnes, als die Nationalverſammlung von Epidaurus im Januar 1822 die Losſagung der Hellenen vom osmaniſchen Joche feierlich ausſprach und der Wahr- heit gemäß verkündete, ſie habe nichts gemein mit der Sache der Dema- gogen, ſondern kämpfe für die nationale Unabhängigkeit. Unzweifelhaft ward Alexanders friedfertige Haltung nicht blos durch den Abſcheu vor der Revolution beſtimmt, ſondern auch durch eine poli- tiſche Berechnung, welche den deutſchen Höfen für jetzt noch ganz ver- borgen blieb. Die Türken ſelber rechneten ihre nordiſchen Nachbarn nie- mals zu den Franken; als eine halbaſiatiſche Macht war Rußland über die verwickelten Machtverhältniſſe des Orients immer genauer unterrichtet als irgend ein europäiſcher Hof. Unmöglich konnte den argwöhniſchen Blicken des Czaren entgehen, daß ein ſelbſtändiger griechiſcher Staat die moskowitiſchen Zukunftspläne eher durchkreuzen als fördern, daß dies er- ſtarkende Hellenenthum dereinſt vielleicht gar ſelber die Hand nach der Kaiſerkrone von Byzanz ausſtrecken würde. Genug, nach manchem Schwan- ken kehrte Alexander immer wieder zu dem Entſchluſſe zurück, die helleniſche Revolution ſich ſelber — das hieß bei ihm: dem verdienten Untergange — zu überlaſſen. Was irgend an den Liberalismus gemahnte war ihm ver- dächtig. Im Herbſt 1821 fiel ſogar ſein langjähriger Vertrauter Fürſt Galitzin in Ungnade; der wohlmeinende herrnhutiſche Schwärmer hatte *) Ancillon an Kruſemark, 27. Juli 1821.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/272>, abgerufen am 28.04.2024.