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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
nisches Recht nicht gegen ein theilweise veraltetes Gesetzbuch vertauschen
wollte. Er lenkte ein, befahl zunächst die Revision des Landrechts abzu-
warten und gestattete den Rheinländern -- nachher auch den anderen
Provinzen -- sich durch eine ständische Deputation bei der Bearbeitung
der Provinzialrechte zu betheiligen. Unterdessen hatte Danckelmann das
große Revisionswerk, das unter Beyme's schlaffer Leitung ganz ins Stocken
gerathen war, in seine rüstige Hand genommen und eine Anzahl nam-
hafter Juristen, Savigny, Sethe, Kamptz, Sack, Simon u. A., zu einer
Commission zusammengerufen, welche den ungeheuren Stoff in sechzehn
Pensa unter sich vertheilte; auch eine Sammlung der neunundfünfzig
Provinzialrechte der Monarchie war beabsichtigt. Der König mahnte zur
Eile. Die Commission aber mußte bald einsehen, daß ganze Theile der
fridericianischen Gesetzgebung, zumal das Strafrecht, in der verwandelten
Zeit einer vollständigen Umgestaltung bedurften, und zu einem solchen
Unternehmen war die deutsche Rechtswissenschaft in ihrem gährenden Ueber-
gangszustande noch nicht gerüstet. So zog sich die Arbeit unabsehbar in
die Länge.

Der zweite Angriff der altländischen Juristen war abgeschlagen, das
französische Recht blieb den Rheinländern noch auf lange hinaus gesichert.
Aehnliche Kämpfe spielten zur selben Zeit (1827) im Großherzogthum
Hessen. Dort legte Minister Grolmann dem Landtage, auch er unzweifel-
haft in guter Absicht, eine neue Gerichtsordnung vor; aber auch dort traten
die Abgeordneten des linken Ufers einmüthig für ihr rheinisches Recht in die
Schranken, und der Minister mußte seinen Entwurf, der ohnehin nur
unfertiges Stückwerk war, alsbald zurückziehen. Den Rheinländern wurde
die Rückkehr zum deutschen Leben durch diese unbedachten Versuche der
altländischen Gesetzgeber nur erschwert. Daß der Code Napoleon ein Ge-
setzbuch der Freiheit, ein Kleinod des linken Rheinufers sei, galt nun-
mehr für unzweifelhaft, nachdem die reactionäre Partei ihren Haß gegen
das öffentliche Strafverfahren so unzweideutig bekundet hatte. Die schönen
Lande von der Lauter bis zur niederländischen Grenze betrachteten sich
wieder, wie in den Tagen der cisrhenanischen Republik, als ein halb-
französisches Zwischenreich, das dem gebundenen Osten die Freiheit des
Westens zu übermitteln habe, und die Verblendung des deutschen Libera-
lismus, der sich mehr und mehr in französischen Idealen verlor, nährte
geschäftig den Dünkel dieses rheinischen Sonderlebens.

Ungleich bedrohlicher erschien die staatsfeindliche Opposition, die sich
auf dem Posener Landtage schon zuweilen herauswagte. Der polnische
Adel verdankte der Fürsorge des preußischen Beamtenthums die Rettung
seiner Güter, denn ohne den Beistand der neuen landwirthschaftlichen
Creditanstalt hätte er in diesen Jahren der Noth seinen Grundbesitz un-
fehlbar verloren; doch was wogen ihm die Segnungen des deutschen
Regiments neben dem Traumbilde der Wiederherstellung Polens? Die

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
niſches Recht nicht gegen ein theilweiſe veraltetes Geſetzbuch vertauſchen
wollte. Er lenkte ein, befahl zunächſt die Reviſion des Landrechts abzu-
warten und geſtattete den Rheinländern — nachher auch den anderen
Provinzen — ſich durch eine ſtändiſche Deputation bei der Bearbeitung
der Provinzialrechte zu betheiligen. Unterdeſſen hatte Danckelmann das
große Reviſionswerk, das unter Beyme’s ſchlaffer Leitung ganz ins Stocken
gerathen war, in ſeine rüſtige Hand genommen und eine Anzahl nam-
hafter Juriſten, Savigny, Sethe, Kamptz, Sack, Simon u. A., zu einer
Commiſſion zuſammengerufen, welche den ungeheuren Stoff in ſechzehn
Penſa unter ſich vertheilte; auch eine Sammlung der neunundfünfzig
Provinzialrechte der Monarchie war beabſichtigt. Der König mahnte zur
Eile. Die Commiſſion aber mußte bald einſehen, daß ganze Theile der
fridericianiſchen Geſetzgebung, zumal das Strafrecht, in der verwandelten
Zeit einer vollſtändigen Umgeſtaltung bedurften, und zu einem ſolchen
Unternehmen war die deutſche Rechtswiſſenſchaft in ihrem gährenden Ueber-
gangszuſtande noch nicht gerüſtet. So zog ſich die Arbeit unabſehbar in
die Länge.

Der zweite Angriff der altländiſchen Juriſten war abgeſchlagen, das
franzöſiſche Recht blieb den Rheinländern noch auf lange hinaus geſichert.
Aehnliche Kämpfe ſpielten zur ſelben Zeit (1827) im Großherzogthum
Heſſen. Dort legte Miniſter Grolmann dem Landtage, auch er unzweifel-
haft in guter Abſicht, eine neue Gerichtsordnung vor; aber auch dort traten
die Abgeordneten des linken Ufers einmüthig für ihr rheiniſches Recht in die
Schranken, und der Miniſter mußte ſeinen Entwurf, der ohnehin nur
unfertiges Stückwerk war, alsbald zurückziehen. Den Rheinländern wurde
die Rückkehr zum deutſchen Leben durch dieſe unbedachten Verſuche der
altländiſchen Geſetzgeber nur erſchwert. Daß der Code Napoleon ein Ge-
ſetzbuch der Freiheit, ein Kleinod des linken Rheinufers ſei, galt nun-
mehr für unzweifelhaft, nachdem die reactionäre Partei ihren Haß gegen
das öffentliche Strafverfahren ſo unzweideutig bekundet hatte. Die ſchönen
Lande von der Lauter bis zur niederländiſchen Grenze betrachteten ſich
wieder, wie in den Tagen der cisrhenaniſchen Republik, als ein halb-
franzöſiſches Zwiſchenreich, das dem gebundenen Oſten die Freiheit des
Weſtens zu übermitteln habe, und die Verblendung des deutſchen Libera-
lismus, der ſich mehr und mehr in franzöſiſchen Idealen verlor, nährte
geſchäftig den Dünkel dieſes rheiniſchen Sonderlebens.

Ungleich bedrohlicher erſchien die ſtaatsfeindliche Oppoſition, die ſich
auf dem Poſener Landtage ſchon zuweilen herauswagte. Der polniſche
Adel verdankte der Fürſorge des preußiſchen Beamtenthums die Rettung
ſeiner Güter, denn ohne den Beiſtand der neuen landwirthſchaftlichen
Creditanſtalt hätte er in dieſen Jahren der Noth ſeinen Grundbeſitz un-
fehlbar verloren; doch was wogen ihm die Segnungen des deutſchen
Regiments neben dem Traumbilde der Wiederherſtellung Polens? Die

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[386/0402] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. niſches Recht nicht gegen ein theilweiſe veraltetes Geſetzbuch vertauſchen wollte. Er lenkte ein, befahl zunächſt die Reviſion des Landrechts abzu- warten und geſtattete den Rheinländern — nachher auch den anderen Provinzen — ſich durch eine ſtändiſche Deputation bei der Bearbeitung der Provinzialrechte zu betheiligen. Unterdeſſen hatte Danckelmann das große Reviſionswerk, das unter Beyme’s ſchlaffer Leitung ganz ins Stocken gerathen war, in ſeine rüſtige Hand genommen und eine Anzahl nam- hafter Juriſten, Savigny, Sethe, Kamptz, Sack, Simon u. A., zu einer Commiſſion zuſammengerufen, welche den ungeheuren Stoff in ſechzehn Penſa unter ſich vertheilte; auch eine Sammlung der neunundfünfzig Provinzialrechte der Monarchie war beabſichtigt. Der König mahnte zur Eile. Die Commiſſion aber mußte bald einſehen, daß ganze Theile der fridericianiſchen Geſetzgebung, zumal das Strafrecht, in der verwandelten Zeit einer vollſtändigen Umgeſtaltung bedurften, und zu einem ſolchen Unternehmen war die deutſche Rechtswiſſenſchaft in ihrem gährenden Ueber- gangszuſtande noch nicht gerüſtet. So zog ſich die Arbeit unabſehbar in die Länge. Der zweite Angriff der altländiſchen Juriſten war abgeſchlagen, das franzöſiſche Recht blieb den Rheinländern noch auf lange hinaus geſichert. Aehnliche Kämpfe ſpielten zur ſelben Zeit (1827) im Großherzogthum Heſſen. Dort legte Miniſter Grolmann dem Landtage, auch er unzweifel- haft in guter Abſicht, eine neue Gerichtsordnung vor; aber auch dort traten die Abgeordneten des linken Ufers einmüthig für ihr rheiniſches Recht in die Schranken, und der Miniſter mußte ſeinen Entwurf, der ohnehin nur unfertiges Stückwerk war, alsbald zurückziehen. Den Rheinländern wurde die Rückkehr zum deutſchen Leben durch dieſe unbedachten Verſuche der altländiſchen Geſetzgeber nur erſchwert. Daß der Code Napoleon ein Ge- ſetzbuch der Freiheit, ein Kleinod des linken Rheinufers ſei, galt nun- mehr für unzweifelhaft, nachdem die reactionäre Partei ihren Haß gegen das öffentliche Strafverfahren ſo unzweideutig bekundet hatte. Die ſchönen Lande von der Lauter bis zur niederländiſchen Grenze betrachteten ſich wieder, wie in den Tagen der cisrhenaniſchen Republik, als ein halb- franzöſiſches Zwiſchenreich, das dem gebundenen Oſten die Freiheit des Weſtens zu übermitteln habe, und die Verblendung des deutſchen Libera- lismus, der ſich mehr und mehr in franzöſiſchen Idealen verlor, nährte geſchäftig den Dünkel dieſes rheiniſchen Sonderlebens. Ungleich bedrohlicher erſchien die ſtaatsfeindliche Oppoſition, die ſich auf dem Poſener Landtage ſchon zuweilen herauswagte. Der polniſche Adel verdankte der Fürſorge des preußiſchen Beamtenthums die Rettung ſeiner Güter, denn ohne den Beiſtand der neuen landwirthſchaftlichen Creditanſtalt hätte er in dieſen Jahren der Noth ſeinen Grundbeſitz un- fehlbar verloren; doch was wogen ihm die Segnungen des deutſchen Regiments neben dem Traumbilde der Wiederherſtellung Polens? Die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/402>, abgerufen am 18.05.2024.