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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
geschehen, war der verspätete Protest nur ein frivoles Spiel mit dem
Buchstaben der Bundesverfassung, und die wiederholte Hinweisung auf
den Einspruch des Auslandes ließ das Verfahren des Stuttgarter Hofes
nur noch zweideutiger erscheinen. Sollte der Jammer der Wiener Ver-
handlungen wirklich in Frankfurt von vorn beginnen? Sollten dieselben
Fürsten, die soeben durch ihre Minister den Grundzügen der Bundesver-
fassung die längst verheißene Ausbildung gegeben und dabei die Stimm-
ordnung des Bundestags gewissenhaft eingehalten hatten, nunmehr das
vollendete Werk durch ihre eigenen Bundesgesandten prüfen und vielleicht
umgestalten lassen? Gewiß litt die Würde des Bundestags, wenn man
ihn nöthigte, die Wiener Beschlüsse unbesehen anzunehmen; aber was
ward aus der Würde der deutschen Souveräne, wenn dieser Gesandten-
congreß, der doch allein von den Instruktionen seiner Auftraggeber abhing,
wie eine höhere Instanz über eine freie Vereinbarung der sämmtlichen
deutschen Regierungen entscheiden sollte? Welchen Erfolg versprach eine
erneute Berathung in Frankfurt? Doch nur den einen, daß Wangen-
heim, vielleicht unterstützt von den Rednern der süddeutschen Kammern, die
Beschlüsse der Conferenz einer boshaften Kritik unterwarf und schließlich,
nach erreichtem Aergerniß, sich wehmüthig der Mehrheit anschloß. Met-
ternich schaute seinem Gegner in Herz und Nieren, als er an Kaiser
Franz schrieb: "die Sache soll zwar geschehen, der König will aber den
Schein tragen, als unterwerfe er sich der Gewalt."

Alle Höfe ohne Ausnahme theilten diese Ansicht. In Weimar richtete
König Wilhelm nichts aus; auch der bairische Ministerrath verwarf die
Vorschläge Württembergs, nachdem Wrede, unzweifelhaft im Auftrage
König Max Joseph's, sich entschieden für die Politik der Bundestreue
ausgesprochen hatte. Sämmtliche Mitglieder der Conferenz verpflichteten
sich schriftlich, nicht eher auseinanderzugehen, als bis die Schlußakte end-
giltig festgestellt sei, auch keine wiederholte Berathung am Bundestage zu
dulden. Oesterreich aber nahm es auf sich, den widerspänstigen Hof an
die Wand zu drücken, wie Bernstorff sich ausdrückte.*) Kaiser Franz und
Metternich schrieben Beide nach Stuttgart und erklärten sehr nachdrück-
lich, eine Revision ihrer Vereinbarungen würde die Conferenz dem Bun-
destage niemals gestatten; auch sei der Wiener Hof keineswegs gesonnen
die Wiener Beschlüsse wieder wie die Karlsbader durch eine Präsidialpro-
position an den Bund zu bringen, denn er wolle nicht als alleiniger Gesetz-
geber erscheinen, da alle Bundesglieder an dem Werke gleichen Theil ge-
habt hätten. Diese Sprache wirkte. In einer geschmeidigen Antwort
(14. April) erklärte Wintzingerode seine Zustimmung zu den Ansichten der
Conferenz und versuchte den ganzen Streit als ein Mißverständniß dar-
zustellen. Um dem geschlagenen Feinde eine goldene Brücke zu bauen,

*) Bernstorff's Berichte, 2., 3. April 1820.

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
geſchehen, war der verſpätete Proteſt nur ein frivoles Spiel mit dem
Buchſtaben der Bundesverfaſſung, und die wiederholte Hinweiſung auf
den Einſpruch des Auslandes ließ das Verfahren des Stuttgarter Hofes
nur noch zweideutiger erſcheinen. Sollte der Jammer der Wiener Ver-
handlungen wirklich in Frankfurt von vorn beginnen? Sollten dieſelben
Fürſten, die ſoeben durch ihre Miniſter den Grundzügen der Bundesver-
faſſung die längſt verheißene Ausbildung gegeben und dabei die Stimm-
ordnung des Bundestags gewiſſenhaft eingehalten hatten, nunmehr das
vollendete Werk durch ihre eigenen Bundesgeſandten prüfen und vielleicht
umgeſtalten laſſen? Gewiß litt die Würde des Bundestags, wenn man
ihn nöthigte, die Wiener Beſchlüſſe unbeſehen anzunehmen; aber was
ward aus der Würde der deutſchen Souveräne, wenn dieſer Geſandten-
congreß, der doch allein von den Inſtruktionen ſeiner Auftraggeber abhing,
wie eine höhere Inſtanz über eine freie Vereinbarung der ſämmtlichen
deutſchen Regierungen entſcheiden ſollte? Welchen Erfolg verſprach eine
erneute Berathung in Frankfurt? Doch nur den einen, daß Wangen-
heim, vielleicht unterſtützt von den Rednern der ſüddeutſchen Kammern, die
Beſchlüſſe der Conferenz einer boshaften Kritik unterwarf und ſchließlich,
nach erreichtem Aergerniß, ſich wehmüthig der Mehrheit anſchloß. Met-
ternich ſchaute ſeinem Gegner in Herz und Nieren, als er an Kaiſer
Franz ſchrieb: „die Sache ſoll zwar geſchehen, der König will aber den
Schein tragen, als unterwerfe er ſich der Gewalt.“

Alle Höfe ohne Ausnahme theilten dieſe Anſicht. In Weimar richtete
König Wilhelm nichts aus; auch der bairiſche Miniſterrath verwarf die
Vorſchläge Württembergs, nachdem Wrede, unzweifelhaft im Auftrage
König Max Joſeph’s, ſich entſchieden für die Politik der Bundestreue
ausgeſprochen hatte. Sämmtliche Mitglieder der Conferenz verpflichteten
ſich ſchriftlich, nicht eher auseinanderzugehen, als bis die Schlußakte end-
giltig feſtgeſtellt ſei, auch keine wiederholte Berathung am Bundestage zu
dulden. Oeſterreich aber nahm es auf ſich, den widerſpänſtigen Hof an
die Wand zu drücken, wie Bernſtorff ſich ausdrückte.*) Kaiſer Franz und
Metternich ſchrieben Beide nach Stuttgart und erklärten ſehr nachdrück-
lich, eine Reviſion ihrer Vereinbarungen würde die Conferenz dem Bun-
destage niemals geſtatten; auch ſei der Wiener Hof keineswegs geſonnen
die Wiener Beſchlüſſe wieder wie die Karlsbader durch eine Präſidialpro-
poſition an den Bund zu bringen, denn er wolle nicht als alleiniger Geſetz-
geber erſcheinen, da alle Bundesglieder an dem Werke gleichen Theil ge-
habt hätten. Dieſe Sprache wirkte. In einer geſchmeidigen Antwort
(14. April) erklärte Wintzingerode ſeine Zuſtimmung zu den Anſichten der
Conferenz und verſuchte den ganzen Streit als ein Mißverſtändniß dar-
zuſtellen. Um dem geſchlagenen Feinde eine goldene Brücke zu bauen,

*) Bernſtorff’s Berichte, 2., 3. April 1820.
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[26/0042] III. 1. Die Wiener Conferenzen. geſchehen, war der verſpätete Proteſt nur ein frivoles Spiel mit dem Buchſtaben der Bundesverfaſſung, und die wiederholte Hinweiſung auf den Einſpruch des Auslandes ließ das Verfahren des Stuttgarter Hofes nur noch zweideutiger erſcheinen. Sollte der Jammer der Wiener Ver- handlungen wirklich in Frankfurt von vorn beginnen? Sollten dieſelben Fürſten, die ſoeben durch ihre Miniſter den Grundzügen der Bundesver- faſſung die längſt verheißene Ausbildung gegeben und dabei die Stimm- ordnung des Bundestags gewiſſenhaft eingehalten hatten, nunmehr das vollendete Werk durch ihre eigenen Bundesgeſandten prüfen und vielleicht umgeſtalten laſſen? Gewiß litt die Würde des Bundestags, wenn man ihn nöthigte, die Wiener Beſchlüſſe unbeſehen anzunehmen; aber was ward aus der Würde der deutſchen Souveräne, wenn dieſer Geſandten- congreß, der doch allein von den Inſtruktionen ſeiner Auftraggeber abhing, wie eine höhere Inſtanz über eine freie Vereinbarung der ſämmtlichen deutſchen Regierungen entſcheiden ſollte? Welchen Erfolg verſprach eine erneute Berathung in Frankfurt? Doch nur den einen, daß Wangen- heim, vielleicht unterſtützt von den Rednern der ſüddeutſchen Kammern, die Beſchlüſſe der Conferenz einer boshaften Kritik unterwarf und ſchließlich, nach erreichtem Aergerniß, ſich wehmüthig der Mehrheit anſchloß. Met- ternich ſchaute ſeinem Gegner in Herz und Nieren, als er an Kaiſer Franz ſchrieb: „die Sache ſoll zwar geſchehen, der König will aber den Schein tragen, als unterwerfe er ſich der Gewalt.“ Alle Höfe ohne Ausnahme theilten dieſe Anſicht. In Weimar richtete König Wilhelm nichts aus; auch der bairiſche Miniſterrath verwarf die Vorſchläge Württembergs, nachdem Wrede, unzweifelhaft im Auftrage König Max Joſeph’s, ſich entſchieden für die Politik der Bundestreue ausgeſprochen hatte. Sämmtliche Mitglieder der Conferenz verpflichteten ſich ſchriftlich, nicht eher auseinanderzugehen, als bis die Schlußakte end- giltig feſtgeſtellt ſei, auch keine wiederholte Berathung am Bundestage zu dulden. Oeſterreich aber nahm es auf ſich, den widerſpänſtigen Hof an die Wand zu drücken, wie Bernſtorff ſich ausdrückte. *) Kaiſer Franz und Metternich ſchrieben Beide nach Stuttgart und erklärten ſehr nachdrück- lich, eine Reviſion ihrer Vereinbarungen würde die Conferenz dem Bun- destage niemals geſtatten; auch ſei der Wiener Hof keineswegs geſonnen die Wiener Beſchlüſſe wieder wie die Karlsbader durch eine Präſidialpro- poſition an den Bund zu bringen, denn er wolle nicht als alleiniger Geſetz- geber erſcheinen, da alle Bundesglieder an dem Werke gleichen Theil ge- habt hätten. Dieſe Sprache wirkte. In einer geſchmeidigen Antwort (14. April) erklärte Wintzingerode ſeine Zuſtimmung zu den Anſichten der Conferenz und verſuchte den ganzen Streit als ein Mißverſtändniß dar- zuſtellen. Um dem geſchlagenen Feinde eine goldene Brücke zu bauen, *) Bernſtorff’s Berichte, 2., 3. April 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/42>, abgerufen am 28.03.2024.