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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Vereinfachung der Verwaltung.
natürlich durfte Ladenberg, der unerbittliche Sparer, dabei nicht fehlen.
Und noch einmal drängte sich ein Gewirr von Reformvorschlägen an den
Thron. Die altständische Partei und mehrere der Oberpräsidenten kamen
wieder auf ihren alten Lieblingsplan, auf die Provinzialminister zurück,
weil oder obgleich der greise Staatskanzler noch kurz vor seinem Tode drin-
gend vor dieser Verstärkung des Particularismus gewarnt hatte.*) Von
den Rheinländern und einzelnen strammen Bureaukraten ward die Ein-
führung des Präfektursystems empfohlen, und der unglückliche Vorschlag
gewann einmal sogar auf kurze Zeit die Mehrheit im Ministerrathe, weil
man um jeden Preis sparen wollte. Die Frage, wie die Einheit des Staats-
willens neben der freien Bewegung der Theile bestehen solle, schien in
den verwickelten Verhältnissen Preußens so schwierig, daß selbst erfahrene
und einsichtige Staatsmänner in ihrem Urtheil schwankten. Motz, der
neue Oberpräsident von Sachsen, wollte den Schwerpunkt der Verwaltung
in die Provinzialinstanz verlegen und an die Spitze jeder Provinz ein
großes Regierungscollegium stellen, das nur ausführende, abhängige Mit-
telbehörden unter sich hätte.**) Er erkannte jedoch bald, daß die Größe der
preußischen Provinzen diesen geistreichen Gedanken unausführbar machte,
und schlug nunmehr vor, die Oberpräsidenten sollten drei Monate im
Jahre zu Berlin leben, um die Bezirksregierungen mit der Centralver-
waltung im Einklang zu erhalten; so ließen sich die Vorzüge der Fach-
ministerien mit denen der Provinzialminister vereinigen.***)

Alle diese Vorschläge wurden verworfen. Die Wiedereinführung der
Provinzialminister erschien jetzt, nach der Errichtung der Provinzialstände,
schlechthin gefährlich für die Staatseinheit. Die Härte des Präfektursystems
aber war dem Könige von Haus aus widerwärtig, und wie er dachte das
Volk in den alten Provinzen; hier war die altgewohnte collegialische Verwal-
tung der Regierungen sehr tief eingewurzelt, außer den Landräthen konnten
Einzelbeamte hier niemals auf das öffentliche Vertrauen zählen. Auf den
Vorschlag der Commission befahl der König am 31. August 1824, daß die
neue Verwaltungsordnung im Wesentlichen unverändert bleiben sollte;+)
nur die Oberpräsidenten erhielten durch eine neue Instruction (31. Dec.)
abermals erweiterte Befugnisse. Im Einzelnen dagegen wurde rücksichts-
los und nicht ohne Härte aufgeräumt. Die Oberpräsidenten hatten fort-
an neben ihrem Amte auch den Vorsitz in dem Regierungscollegium der
Provinzialhauptstadt zu führen; die Stellen der Vicepräsidenten und der

*) Hardenberg, P. M. über die Verbesserung der jetzigen Organisation der Mini-
sterien und Provinzialbehörden. Sept. 1822.
**) (Daniels) F. C. A. v. Motz. Eine Biographie. Erfurt 1833. S. 187.
***) Motz, Denkschrift über die Vereinfachung der Verwaltung, Magdeburg, 9. Okt.
1823, der Immediat-Commission eingereicht.
+) Hauptbericht der Commission, 4. Juli; Cabinetsordre vom 31. Aug.; Wei-
sungen des Königs an Klewiz, Schuckmann, Altenstein, 31. Aug. 1824.
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Vereinfachung der Verwaltung.
natürlich durfte Ladenberg, der unerbittliche Sparer, dabei nicht fehlen.
Und noch einmal drängte ſich ein Gewirr von Reformvorſchlägen an den
Thron. Die altſtändiſche Partei und mehrere der Oberpräſidenten kamen
wieder auf ihren alten Lieblingsplan, auf die Provinzialminiſter zurück,
weil oder obgleich der greiſe Staatskanzler noch kurz vor ſeinem Tode drin-
gend vor dieſer Verſtärkung des Particularismus gewarnt hatte.*) Von
den Rheinländern und einzelnen ſtrammen Bureaukraten ward die Ein-
führung des Präfekturſyſtems empfohlen, und der unglückliche Vorſchlag
gewann einmal ſogar auf kurze Zeit die Mehrheit im Miniſterrathe, weil
man um jeden Preis ſparen wollte. Die Frage, wie die Einheit des Staats-
willens neben der freien Bewegung der Theile beſtehen ſolle, ſchien in
den verwickelten Verhältniſſen Preußens ſo ſchwierig, daß ſelbſt erfahrene
und einſichtige Staatsmänner in ihrem Urtheil ſchwankten. Motz, der
neue Oberpräſident von Sachſen, wollte den Schwerpunkt der Verwaltung
in die Provinzialinſtanz verlegen und an die Spitze jeder Provinz ein
großes Regierungscollegium ſtellen, das nur ausführende, abhängige Mit-
telbehörden unter ſich hätte.**) Er erkannte jedoch bald, daß die Größe der
preußiſchen Provinzen dieſen geiſtreichen Gedanken unausführbar machte,
und ſchlug nunmehr vor, die Oberpräſidenten ſollten drei Monate im
Jahre zu Berlin leben, um die Bezirksregierungen mit der Centralver-
waltung im Einklang zu erhalten; ſo ließen ſich die Vorzüge der Fach-
miniſterien mit denen der Provinzialminiſter vereinigen.***)

Alle dieſe Vorſchläge wurden verworfen. Die Wiedereinführung der
Provinzialminiſter erſchien jetzt, nach der Errichtung der Provinzialſtände,
ſchlechthin gefährlich für die Staatseinheit. Die Härte des Präfekturſyſtems
aber war dem Könige von Haus aus widerwärtig, und wie er dachte das
Volk in den alten Provinzen; hier war die altgewohnte collegialiſche Verwal-
tung der Regierungen ſehr tief eingewurzelt, außer den Landräthen konnten
Einzelbeamte hier niemals auf das öffentliche Vertrauen zählen. Auf den
Vorſchlag der Commiſſion befahl der König am 31. Auguſt 1824, daß die
neue Verwaltungsordnung im Weſentlichen unverändert bleiben ſollte;†)
nur die Oberpräſidenten erhielten durch eine neue Inſtruction (31. Dec.)
abermals erweiterte Befugniſſe. Im Einzelnen dagegen wurde rückſichts-
los und nicht ohne Härte aufgeräumt. Die Oberpräſidenten hatten fort-
an neben ihrem Amte auch den Vorſitz in dem Regierungscollegium der
Provinzialhauptſtadt zu führen; die Stellen der Vicepräſidenten und der

*) Hardenberg, P. M. über die Verbeſſerung der jetzigen Organiſation der Mini-
ſterien und Provinzialbehörden. Sept. 1822.
**) (Daniels) F. C. A. v. Motz. Eine Biographie. Erfurt 1833. S. 187.
***) Motz, Denkſchrift über die Vereinfachung der Verwaltung, Magdeburg, 9. Okt.
1823, der Immediat-Commiſſion eingereicht.
†) Hauptbericht der Commiſſion, 4. Juli; Cabinetsordre vom 31. Aug.; Wei-
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[419/0435] Vereinfachung der Verwaltung. natürlich durfte Ladenberg, der unerbittliche Sparer, dabei nicht fehlen. Und noch einmal drängte ſich ein Gewirr von Reformvorſchlägen an den Thron. Die altſtändiſche Partei und mehrere der Oberpräſidenten kamen wieder auf ihren alten Lieblingsplan, auf die Provinzialminiſter zurück, weil oder obgleich der greiſe Staatskanzler noch kurz vor ſeinem Tode drin- gend vor dieſer Verſtärkung des Particularismus gewarnt hatte. *) Von den Rheinländern und einzelnen ſtrammen Bureaukraten ward die Ein- führung des Präfekturſyſtems empfohlen, und der unglückliche Vorſchlag gewann einmal ſogar auf kurze Zeit die Mehrheit im Miniſterrathe, weil man um jeden Preis ſparen wollte. Die Frage, wie die Einheit des Staats- willens neben der freien Bewegung der Theile beſtehen ſolle, ſchien in den verwickelten Verhältniſſen Preußens ſo ſchwierig, daß ſelbſt erfahrene und einſichtige Staatsmänner in ihrem Urtheil ſchwankten. Motz, der neue Oberpräſident von Sachſen, wollte den Schwerpunkt der Verwaltung in die Provinzialinſtanz verlegen und an die Spitze jeder Provinz ein großes Regierungscollegium ſtellen, das nur ausführende, abhängige Mit- telbehörden unter ſich hätte. **) Er erkannte jedoch bald, daß die Größe der preußiſchen Provinzen dieſen geiſtreichen Gedanken unausführbar machte, und ſchlug nunmehr vor, die Oberpräſidenten ſollten drei Monate im Jahre zu Berlin leben, um die Bezirksregierungen mit der Centralver- waltung im Einklang zu erhalten; ſo ließen ſich die Vorzüge der Fach- miniſterien mit denen der Provinzialminiſter vereinigen. ***) Alle dieſe Vorſchläge wurden verworfen. Die Wiedereinführung der Provinzialminiſter erſchien jetzt, nach der Errichtung der Provinzialſtände, ſchlechthin gefährlich für die Staatseinheit. Die Härte des Präfekturſyſtems aber war dem Könige von Haus aus widerwärtig, und wie er dachte das Volk in den alten Provinzen; hier war die altgewohnte collegialiſche Verwal- tung der Regierungen ſehr tief eingewurzelt, außer den Landräthen konnten Einzelbeamte hier niemals auf das öffentliche Vertrauen zählen. Auf den Vorſchlag der Commiſſion befahl der König am 31. Auguſt 1824, daß die neue Verwaltungsordnung im Weſentlichen unverändert bleiben ſollte; †) nur die Oberpräſidenten erhielten durch eine neue Inſtruction (31. Dec.) abermals erweiterte Befugniſſe. Im Einzelnen dagegen wurde rückſichts- los und nicht ohne Härte aufgeräumt. Die Oberpräſidenten hatten fort- an neben ihrem Amte auch den Vorſitz in dem Regierungscollegium der Provinzialhauptſtadt zu führen; die Stellen der Vicepräſidenten und der *) Hardenberg, P. M. über die Verbeſſerung der jetzigen Organiſation der Mini- ſterien und Provinzialbehörden. Sept. 1822. **) (Daniels) F. C. A. v. Motz. Eine Biographie. Erfurt 1833. S. 187. ***) Motz, Denkſchrift über die Vereinfachung der Verwaltung, Magdeburg, 9. Okt. 1823, der Immediat-Commiſſion eingereicht. †) Hauptbericht der Commiſſion, 4. Juli; Cabinetsordre vom 31. Aug.; Wei- ſungen des Königs an Klewiz, Schuckmann, Altenſtein, 31. Aug. 1824. 27*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/435>, abgerufen am 24.05.2024.