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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Universität München.
bairischen Weizengrafen den Gelehrten doch gar zu nahe, auch hemmte noch
überall der alte halbgeistliche Unterrichtszwang. Der König gewährte ihr
jetzt die unbeschränkte norddeutsche Lehr- und Lernfreiheit, die er einst als
Student in Göttingen schätzen gelernt hatte. Er hoffte, indem er sie mit
der Münchener Akademie verband, die Bildung der Jugend durch eine an-
regende Umgebung zu fördern und zugleich die Hauptstadt mit einer Fülle
geistiger Kräfte zu bereichern; sein München sollte für das wissenschaft-
liche Leben des katholischen Deutschlands ein Brennpunkt werden wie
Berlin für den protestantischen Norden.

Von den zahlreichen Neuberufenen lehnten Tieck, Thibaut, Raumer
und mehrere Andere ab, die Meisten weil sie die berüchtigte bajuvarische
Ungastlichkeit fürchteten. Aber Schelling kam, und seine reiche Lehrthätig-
keit gab der umgestalteten Hochschule auf lange hinaus das Gepräge. Er
lebte jetzt in dem geheimnißvollen Ideenkreise seiner längst angekündigten
Theosophie und gab die Losung zum Kampfe gegen Hegel. Dieser Gegen-
satz zu der Berliner Philosophenschule trat auch in den Vorlesungen des
Mystikers Baader, des frommen Naturphilosophen Schubert, der jungen
Docenten Stahl, Puchta, Döllinger überall hervor; am schärfsten aber
in den phantasiereichen Vorträgen von Görres, dessen Berufung auf die
seltsame katholisch-liberale Gesinnung König Ludwig's ein grelles Schlag-
licht warf. Jene salbungsvolle Ansprache des Kurfürsten Maximilian
empfing also ihren Lohn, und der dankbare Wittelsbacher ließ sich auch
nicht beirren, als die preußische Regierung, auf ausdrücklichen Befehl
König Friedrich Wilhelm's, die ängstliche Anfrage stellte, ob diese Beru-
fung, ohne Rücksprache mit den preußischen Behörden, nach Bundesrecht
statthaft sei.*) Zum Lehrer war Görres verdorben. Die mystische Bilder-
pracht seiner Rhetorik zog zwar Schaaren von Zuhörern an, aber sie trugen
nur den Rausch einer unbestimmten Begeisterung davon; was sollten sie
auch lernen, wenn er ein ganzes Semester brauchte um den Gang der
Weltgeschichte bis zur Sindfluth darzustellen? Um so mächtiger wirkte er
als Parteihaupt, als Vorkämpfer der streitbaren Kirche; sein Haß gegen
Preußen wurde allmählich durch die confessionelle und die persönliche Er-
bitterung bis zum Fanatismus gesteigert. Der Heiligenschein des politi-
schen Martyriums kam ihm zu statten; die Clericalen sprachen von dem
alten Görres mit derselben Ehrfurcht wie die Liberalen von dem alten
Arndt und dem alten Jahn. Auch Oken erhielt einen Lehrstuhl, gerieth
aber nach seiner Gewohnheit bald wieder in Händel; auch der biderbe
Maßmann, der Bücherverbrenner von der Wartburg, durfte zugleich ger-
manistische Vorlesungen halten und auf dem Turnplatze seine Teutonen
schulen.

Die Münchener Hochschule besaß an Thiersch einen trefflichen Er-

*) Cabinetsordre an Altenstein, 25. Decbr. 1827.
39*

Univerſität München.
bairiſchen Weizengrafen den Gelehrten doch gar zu nahe, auch hemmte noch
überall der alte halbgeiſtliche Unterrichtszwang. Der König gewährte ihr
jetzt die unbeſchränkte norddeutſche Lehr- und Lernfreiheit, die er einſt als
Student in Göttingen ſchätzen gelernt hatte. Er hoffte, indem er ſie mit
der Münchener Akademie verband, die Bildung der Jugend durch eine an-
regende Umgebung zu fördern und zugleich die Hauptſtadt mit einer Fülle
geiſtiger Kräfte zu bereichern; ſein München ſollte für das wiſſenſchaft-
liche Leben des katholiſchen Deutſchlands ein Brennpunkt werden wie
Berlin für den proteſtantiſchen Norden.

Von den zahlreichen Neuberufenen lehnten Tieck, Thibaut, Raumer
und mehrere Andere ab, die Meiſten weil ſie die berüchtigte bajuvariſche
Ungaſtlichkeit fürchteten. Aber Schelling kam, und ſeine reiche Lehrthätig-
keit gab der umgeſtalteten Hochſchule auf lange hinaus das Gepräge. Er
lebte jetzt in dem geheimnißvollen Ideenkreiſe ſeiner längſt angekündigten
Theoſophie und gab die Loſung zum Kampfe gegen Hegel. Dieſer Gegen-
ſatz zu der Berliner Philoſophenſchule trat auch in den Vorleſungen des
Myſtikers Baader, des frommen Naturphiloſophen Schubert, der jungen
Docenten Stahl, Puchta, Döllinger überall hervor; am ſchärfſten aber
in den phantaſiereichen Vorträgen von Görres, deſſen Berufung auf die
ſeltſame katholiſch-liberale Geſinnung König Ludwig’s ein grelles Schlag-
licht warf. Jene ſalbungsvolle Anſprache des Kurfürſten Maximilian
empfing alſo ihren Lohn, und der dankbare Wittelsbacher ließ ſich auch
nicht beirren, als die preußiſche Regierung, auf ausdrücklichen Befehl
König Friedrich Wilhelm’s, die ängſtliche Anfrage ſtellte, ob dieſe Beru-
fung, ohne Rückſprache mit den preußiſchen Behörden, nach Bundesrecht
ſtatthaft ſei.*) Zum Lehrer war Görres verdorben. Die myſtiſche Bilder-
pracht ſeiner Rhetorik zog zwar Schaaren von Zuhörern an, aber ſie trugen
nur den Rauſch einer unbeſtimmten Begeiſterung davon; was ſollten ſie
auch lernen, wenn er ein ganzes Semeſter brauchte um den Gang der
Weltgeſchichte bis zur Sindfluth darzuſtellen? Um ſo mächtiger wirkte er
als Parteihaupt, als Vorkämpfer der ſtreitbaren Kirche; ſein Haß gegen
Preußen wurde allmählich durch die confeſſionelle und die perſönliche Er-
bitterung bis zum Fanatismus geſteigert. Der Heiligenſchein des politi-
ſchen Martyriums kam ihm zu ſtatten; die Clericalen ſprachen von dem
alten Görres mit derſelben Ehrfurcht wie die Liberalen von dem alten
Arndt und dem alten Jahn. Auch Oken erhielt einen Lehrſtuhl, gerieth
aber nach ſeiner Gewohnheit bald wieder in Händel; auch der biderbe
Maßmann, der Bücherverbrenner von der Wartburg, durfte zugleich ger-
maniſtiſche Vorleſungen halten und auf dem Turnplatze ſeine Teutonen
ſchulen.

Die Münchener Hochſchule beſaß an Thierſch einen trefflichen Er-

*) Cabinetsordre an Altenſtein, 25. Decbr. 1827.
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[611/0627] Univerſität München. bairiſchen Weizengrafen den Gelehrten doch gar zu nahe, auch hemmte noch überall der alte halbgeiſtliche Unterrichtszwang. Der König gewährte ihr jetzt die unbeſchränkte norddeutſche Lehr- und Lernfreiheit, die er einſt als Student in Göttingen ſchätzen gelernt hatte. Er hoffte, indem er ſie mit der Münchener Akademie verband, die Bildung der Jugend durch eine an- regende Umgebung zu fördern und zugleich die Hauptſtadt mit einer Fülle geiſtiger Kräfte zu bereichern; ſein München ſollte für das wiſſenſchaft- liche Leben des katholiſchen Deutſchlands ein Brennpunkt werden wie Berlin für den proteſtantiſchen Norden. Von den zahlreichen Neuberufenen lehnten Tieck, Thibaut, Raumer und mehrere Andere ab, die Meiſten weil ſie die berüchtigte bajuvariſche Ungaſtlichkeit fürchteten. Aber Schelling kam, und ſeine reiche Lehrthätig- keit gab der umgeſtalteten Hochſchule auf lange hinaus das Gepräge. Er lebte jetzt in dem geheimnißvollen Ideenkreiſe ſeiner längſt angekündigten Theoſophie und gab die Loſung zum Kampfe gegen Hegel. Dieſer Gegen- ſatz zu der Berliner Philoſophenſchule trat auch in den Vorleſungen des Myſtikers Baader, des frommen Naturphiloſophen Schubert, der jungen Docenten Stahl, Puchta, Döllinger überall hervor; am ſchärfſten aber in den phantaſiereichen Vorträgen von Görres, deſſen Berufung auf die ſeltſame katholiſch-liberale Geſinnung König Ludwig’s ein grelles Schlag- licht warf. Jene ſalbungsvolle Anſprache des Kurfürſten Maximilian empfing alſo ihren Lohn, und der dankbare Wittelsbacher ließ ſich auch nicht beirren, als die preußiſche Regierung, auf ausdrücklichen Befehl König Friedrich Wilhelm’s, die ängſtliche Anfrage ſtellte, ob dieſe Beru- fung, ohne Rückſprache mit den preußiſchen Behörden, nach Bundesrecht ſtatthaft ſei. *) Zum Lehrer war Görres verdorben. Die myſtiſche Bilder- pracht ſeiner Rhetorik zog zwar Schaaren von Zuhörern an, aber ſie trugen nur den Rauſch einer unbeſtimmten Begeiſterung davon; was ſollten ſie auch lernen, wenn er ein ganzes Semeſter brauchte um den Gang der Weltgeſchichte bis zur Sindfluth darzuſtellen? Um ſo mächtiger wirkte er als Parteihaupt, als Vorkämpfer der ſtreitbaren Kirche; ſein Haß gegen Preußen wurde allmählich durch die confeſſionelle und die perſönliche Er- bitterung bis zum Fanatismus geſteigert. Der Heiligenſchein des politi- ſchen Martyriums kam ihm zu ſtatten; die Clericalen ſprachen von dem alten Görres mit derſelben Ehrfurcht wie die Liberalen von dem alten Arndt und dem alten Jahn. Auch Oken erhielt einen Lehrſtuhl, gerieth aber nach ſeiner Gewohnheit bald wieder in Händel; auch der biderbe Maßmann, der Bücherverbrenner von der Wartburg, durfte zugleich ger- maniſtiſche Vorleſungen halten und auf dem Turnplatze ſeine Teutonen ſchulen. Die Münchener Hochſchule beſaß an Thierſch einen trefflichen Er- *) Cabinetsordre an Altenſtein, 25. Decbr. 1827. 39*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/627>, abgerufen am 14.05.2024.