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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
am Fenster des Gasthofes, mit zärtlichen Blicken nach Mannheim hin-
überwinkend.*) Auch die königliche Muse plauderte oftmals in stolpern-
den Versen die stille Sehnsucht der Wittelsbacher aus; als die Hoff-
nungen zu schwinden begannen, hauchte sie die schmelzende Klage:

Der Pfalzgraf bei Rhein,
Er wandert allein
In dem heimathlichen Land.
Wie lieb er dasselbe auch hat,
So geht er doch schweigend den Pfad
Und nicht will er werden erkannt!

Die Erwerbung der Pfalz wurde dem Könige zu einer fixen Idee,
die ihn sein tagelang nicht mehr losließ. Die unerbetenen Wohlthaten,
die er als Greis noch den pfälzischen Städten spendete, das Dalbergstand-
bild in Mannheim, das traurige Wrededenkmal in Heidelberg, bezeich-
neten das letzte elegische Austönen der in den zwanziger Jahren ange-
schlagenen Sirenenklänge. Daß die Pfälzer selber seine Gefühle theilten,
schien dem Könige zweifellos, obwohl sich in Wahrheit nur noch zu Mann-
heim vereinzelte Spuren pfalz-bairischer Gesinnung zeigten.

Der König von Preußen hatte das Erbfolgerecht der Hochberge feier-
lich anerkannt; er war nicht gewohnt, in Rechtsfragen mit sich handeln
zu lassen. Die bairischen Ansprüche galten ihm als frivoler Uebermuth;
nimmermehr wollte er ein deutsches Fürstenhaus vergewaltigen, Baden
und Württemberg vom deutschen Norden abschneiden lassen. Ebenso gut,
sagte General Witzleben zu dem badischen Gesandten Frankenberg, könnte
Preußen die ansbach-baireuthischen Lande zurückfordern. Der Kronprinz rief
in seiner aufbrausenden Weise: "mein Herr Schwager ist toll geworden,
rein toll; er will durchaus Palatin werden und bedient sich dazu sauberer
Mittel und Wege, die ganz unerhört sind!"**) Der Wiener Hof war über
die Münchener Ansprüche ebenfalls sehr ungehalten und befürwortete am
Bundestage den offenbar gegen Baiern gerichteten Vorschlag, Mannheim
zur Bundesfestung zu machen; aber er fühlte sich gebunden durch seine
eignen uneingelösten Versprechungen und gab beiden Theilen glatte Worte.

An den Höfen der Großmächte begannen die bairischen Beschwerden,
unablässig und in dem zuversichtlichen Tone gekränkten Rechtsgefühls vorge-
tragen, schließlich doch einigen Eindruck zu hinterlassen. Rußland hielt sich
zurück, obgleich sein Gesandter Anstett in Frankfurt, Badens alter Gönner,
sich unter der Hand rührig für seinen Schützling bemühte.***) Nur Preußen
stand fest auf Badens Seite. Der König ermahnte den Großherzog,
durchaus keine Zugeständnisse an Baiern zu machen. Berstett dankte in

*) Berstett, Ministerialschreiben an Frankenberg, 13. Juni 1826.
**) Frankenberg's Bericht, 15. Mai 1828.
***) Blittersdorff's Berichte, 13. Aug., 7. Nov., 12. Dec. 1826.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
am Fenſter des Gaſthofes, mit zärtlichen Blicken nach Mannheim hin-
überwinkend.*) Auch die königliche Muſe plauderte oftmals in ſtolpern-
den Verſen die ſtille Sehnſucht der Wittelsbacher aus; als die Hoff-
nungen zu ſchwinden begannen, hauchte ſie die ſchmelzende Klage:

Der Pfalzgraf bei Rhein,
Er wandert allein
In dem heimathlichen Land.
Wie lieb er daſſelbe auch hat,
So geht er doch ſchweigend den Pfad
Und nicht will er werden erkannt!

Die Erwerbung der Pfalz wurde dem Könige zu einer fixen Idee,
die ihn ſein tagelang nicht mehr losließ. Die unerbetenen Wohlthaten,
die er als Greis noch den pfälziſchen Städten ſpendete, das Dalbergſtand-
bild in Mannheim, das traurige Wrededenkmal in Heidelberg, bezeich-
neten das letzte elegiſche Austönen der in den zwanziger Jahren ange-
ſchlagenen Sirenenklänge. Daß die Pfälzer ſelber ſeine Gefühle theilten,
ſchien dem Könige zweifellos, obwohl ſich in Wahrheit nur noch zu Mann-
heim vereinzelte Spuren pfalz-bairiſcher Geſinnung zeigten.

Der König von Preußen hatte das Erbfolgerecht der Hochberge feier-
lich anerkannt; er war nicht gewohnt, in Rechtsfragen mit ſich handeln
zu laſſen. Die bairiſchen Anſprüche galten ihm als frivoler Uebermuth;
nimmermehr wollte er ein deutſches Fürſtenhaus vergewaltigen, Baden
und Württemberg vom deutſchen Norden abſchneiden laſſen. Ebenſo gut,
ſagte General Witzleben zu dem badiſchen Geſandten Frankenberg, könnte
Preußen die ansbach-baireuthiſchen Lande zurückfordern. Der Kronprinz rief
in ſeiner aufbrauſenden Weiſe: „mein Herr Schwager iſt toll geworden,
rein toll; er will durchaus Palatin werden und bedient ſich dazu ſauberer
Mittel und Wege, die ganz unerhört ſind!“**) Der Wiener Hof war über
die Münchener Anſprüche ebenfalls ſehr ungehalten und befürwortete am
Bundestage den offenbar gegen Baiern gerichteten Vorſchlag, Mannheim
zur Bundesfeſtung zu machen; aber er fühlte ſich gebunden durch ſeine
eignen uneingelöſten Verſprechungen und gab beiden Theilen glatte Worte.

An den Höfen der Großmächte begannen die bairiſchen Beſchwerden,
unabläſſig und in dem zuverſichtlichen Tone gekränkten Rechtsgefühls vorge-
tragen, ſchließlich doch einigen Eindruck zu hinterlaſſen. Rußland hielt ſich
zurück, obgleich ſein Geſandter Anſtett in Frankfurt, Badens alter Gönner,
ſich unter der Hand rührig für ſeinen Schützling bemühte.***) Nur Preußen
ſtand feſt auf Badens Seite. Der König ermahnte den Großherzog,
durchaus keine Zugeſtändniſſe an Baiern zu machen. Berſtett dankte in

*) Berſtett, Miniſterialſchreiben an Frankenberg, 13. Juni 1826.
**) Frankenberg’s Bericht, 15. Mai 1828.
***) Blittersdorff’s Berichte, 13. Aug., 7. Nov., 12. Dec. 1826.
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[622/0638] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. am Fenſter des Gaſthofes, mit zärtlichen Blicken nach Mannheim hin- überwinkend. *) Auch die königliche Muſe plauderte oftmals in ſtolpern- den Verſen die ſtille Sehnſucht der Wittelsbacher aus; als die Hoff- nungen zu ſchwinden begannen, hauchte ſie die ſchmelzende Klage: Der Pfalzgraf bei Rhein, Er wandert allein In dem heimathlichen Land. Wie lieb er daſſelbe auch hat, So geht er doch ſchweigend den Pfad Und nicht will er werden erkannt! Die Erwerbung der Pfalz wurde dem Könige zu einer fixen Idee, die ihn ſein tagelang nicht mehr losließ. Die unerbetenen Wohlthaten, die er als Greis noch den pfälziſchen Städten ſpendete, das Dalbergſtand- bild in Mannheim, das traurige Wrededenkmal in Heidelberg, bezeich- neten das letzte elegiſche Austönen der in den zwanziger Jahren ange- ſchlagenen Sirenenklänge. Daß die Pfälzer ſelber ſeine Gefühle theilten, ſchien dem Könige zweifellos, obwohl ſich in Wahrheit nur noch zu Mann- heim vereinzelte Spuren pfalz-bairiſcher Geſinnung zeigten. Der König von Preußen hatte das Erbfolgerecht der Hochberge feier- lich anerkannt; er war nicht gewohnt, in Rechtsfragen mit ſich handeln zu laſſen. Die bairiſchen Anſprüche galten ihm als frivoler Uebermuth; nimmermehr wollte er ein deutſches Fürſtenhaus vergewaltigen, Baden und Württemberg vom deutſchen Norden abſchneiden laſſen. Ebenſo gut, ſagte General Witzleben zu dem badiſchen Geſandten Frankenberg, könnte Preußen die ansbach-baireuthiſchen Lande zurückfordern. Der Kronprinz rief in ſeiner aufbrauſenden Weiſe: „mein Herr Schwager iſt toll geworden, rein toll; er will durchaus Palatin werden und bedient ſich dazu ſauberer Mittel und Wege, die ganz unerhört ſind!“ **) Der Wiener Hof war über die Münchener Anſprüche ebenfalls ſehr ungehalten und befürwortete am Bundestage den offenbar gegen Baiern gerichteten Vorſchlag, Mannheim zur Bundesfeſtung zu machen; aber er fühlte ſich gebunden durch ſeine eignen uneingelöſten Verſprechungen und gab beiden Theilen glatte Worte. An den Höfen der Großmächte begannen die bairiſchen Beſchwerden, unabläſſig und in dem zuverſichtlichen Tone gekränkten Rechtsgefühls vorge- tragen, ſchließlich doch einigen Eindruck zu hinterlaſſen. Rußland hielt ſich zurück, obgleich ſein Geſandter Anſtett in Frankfurt, Badens alter Gönner, ſich unter der Hand rührig für ſeinen Schützling bemühte. ***) Nur Preußen ſtand feſt auf Badens Seite. Der König ermahnte den Großherzog, durchaus keine Zugeſtändniſſe an Baiern zu machen. Berſtett dankte in *) Berſtett, Miniſterialſchreiben an Frankenberg, 13. Juni 1826. **) Frankenberg’s Bericht, 15. Mai 1828. ***) Blittersdorff’s Berichte, 13. Aug., 7. Nov., 12. Dec. 1826.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/638>, abgerufen am 13.05.2024.