Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Motz über die kurhessische Handelspolitik.
war nicht geeignet den Kurfürsten zu gewinnen. Natzmer wurde mit un-
geschliffener Grobheit heimgeschickt, und auch Leopold Kühne, der zur Un-
terstützung des Generals nach Cassel und nebenbei nach Braunschweig
ging, richtete an beiden Orten nichts aus. In solcher Laune, tobend gegen
seine Gemahlin wie gegen Alles, was den preußischen Namen trug, war
der hessische Despot bereit, den Weisungen Oesterreichs blindlings zu folgen.

Die Hofburg wollte nicht blos die Erweiterung des preußischen Zoll-
systems verhindern, sie dachte das System selber zu zerstören, den müh-
sam errungenen ersten Anfang deutscher Handelseinheit zu vernichten; und
grade bei den norddeutschen Höfen, welche durch alle ihre natürlichen In-
teressen auf Preußen angewiesen waren, fand diese Absicht Anklang. Der
dynastische Haß des sächsischen Hofes, der Welfenstolz Hannovers, der
Grimm des Kurfürsten gegen seinen königlichen Schwager, die Großmanns-
sucht des Nassauer Herzogs, die gedankenlose Aengstlichkeit der kleinsten
Höfe -- alle niederträchtigen und alle schwächlichen Elemente des nord-
deutschen Kleinfürstenthums vereinigten sich in tiefster Stille zum Kampfe
gegen Preußen. Gestützt auf Oesterreich, begünstigt durch den Handels-
neid Englands, Frankreichs und Hollands, kam der mitteldeutsche Handels-
verein zu Stande -- eine der bösartigsten und unnatürlichsten Verschwö-
rungen gegen das Vaterland -- gleich dem Rheinbunde ein Zeugniß, wessen
das deutsche Kleinfürstenthum fähig war.


Nirgends erweckte der preußisch-hessische Vertrag schwerere Besorg-
nisse als am Dresdner Hofe. Wie hatte man sich dort so behaglich ein-
gelebt in den alten Privilegienwust, wie war es so süß, am Bundestage
über die deutsche Handelseinheit und die Bundeszölle salbungsvoll zu
reden -- in der frohen Erwartung, daß gar nichts zu Stande komme,
daß man jedes ernsten Entschlusses, jeder heilsamen Reform allezeit über-
hoben bleibe! Jetzt erstanden plötzlich dicht an Sachsens Grenzen zwei
Zollverbände. Wie nun, wenn die augenblickliche Verstimmung des Königs
von Baiern verflog, wenn die beiden Vereine, die in ihren handelspoli-
tischen Grundsätzen einander so nahe standen, sich zu einem verschmolzen:
wenn sie auch Thüringen gewannen, und also dem Leipziger Handel der
Weg zur See ringsum durch Zollstellen versperrt wurde? Lauter und
lauter erklangen die Klagen der Fabrikanten des Erzgebirges; zweimal im
Jahre 1828 liefen Petitionen ein, die den König beschworen: der Anschluß
an Preußen, oder auch an den süddeutschen Verein, irgend ein Entschluß,
der aus der vereinsamten Stellung hinausführe, sei unvermeidlich. Der
Minister Graf Einsiedel, der als Eisenwerksbesitzer der Großindustrie näher
stand, begann irre zu werden an dem alten Systeme. Einer der tüch-
tigsten jüngeren Beamten, Wietersheim, schilderte in einer beredten Denk-

Motz über die kurheſſiſche Handelspolitik.
war nicht geeignet den Kurfürſten zu gewinnen. Natzmer wurde mit un-
geſchliffener Grobheit heimgeſchickt, und auch Leopold Kühne, der zur Un-
terſtützung des Generals nach Caſſel und nebenbei nach Braunſchweig
ging, richtete an beiden Orten nichts aus. In ſolcher Laune, tobend gegen
ſeine Gemahlin wie gegen Alles, was den preußiſchen Namen trug, war
der heſſiſche Despot bereit, den Weiſungen Oeſterreichs blindlings zu folgen.

Die Hofburg wollte nicht blos die Erweiterung des preußiſchen Zoll-
ſyſtems verhindern, ſie dachte das Syſtem ſelber zu zerſtören, den müh-
ſam errungenen erſten Anfang deutſcher Handelseinheit zu vernichten; und
grade bei den norddeutſchen Höfen, welche durch alle ihre natürlichen In-
tereſſen auf Preußen angewieſen waren, fand dieſe Abſicht Anklang. Der
dynaſtiſche Haß des ſächſiſchen Hofes, der Welfenſtolz Hannovers, der
Grimm des Kurfürſten gegen ſeinen königlichen Schwager, die Großmanns-
ſucht des Naſſauer Herzogs, die gedankenloſe Aengſtlichkeit der kleinſten
Höfe — alle niederträchtigen und alle ſchwächlichen Elemente des nord-
deutſchen Kleinfürſtenthums vereinigten ſich in tiefſter Stille zum Kampfe
gegen Preußen. Geſtützt auf Oeſterreich, begünſtigt durch den Handels-
neid Englands, Frankreichs und Hollands, kam der mitteldeutſche Handels-
verein zu Stande — eine der bösartigſten und unnatürlichſten Verſchwö-
rungen gegen das Vaterland — gleich dem Rheinbunde ein Zeugniß, weſſen
das deutſche Kleinfürſtenthum fähig war.


Nirgends erweckte der preußiſch-heſſiſche Vertrag ſchwerere Beſorg-
niſſe als am Dresdner Hofe. Wie hatte man ſich dort ſo behaglich ein-
gelebt in den alten Privilegienwuſt, wie war es ſo ſüß, am Bundestage
über die deutſche Handelseinheit und die Bundeszölle ſalbungsvoll zu
reden — in der frohen Erwartung, daß gar nichts zu Stande komme,
daß man jedes ernſten Entſchluſſes, jeder heilſamen Reform allezeit über-
hoben bleibe! Jetzt erſtanden plötzlich dicht an Sachſens Grenzen zwei
Zollverbände. Wie nun, wenn die augenblickliche Verſtimmung des Königs
von Baiern verflog, wenn die beiden Vereine, die in ihren handelspoli-
tiſchen Grundſätzen einander ſo nahe ſtanden, ſich zu einem verſchmolzen:
wenn ſie auch Thüringen gewannen, und alſo dem Leipziger Handel der
Weg zur See ringsum durch Zollſtellen verſperrt wurde? Lauter und
lauter erklangen die Klagen der Fabrikanten des Erzgebirges; zweimal im
Jahre 1828 liefen Petitionen ein, die den König beſchworen: der Anſchluß
an Preußen, oder auch an den ſüddeutſchen Verein, irgend ein Entſchluß,
der aus der vereinſamten Stellung hinausführe, ſei unvermeidlich. Der
Miniſter Graf Einſiedel, der als Eiſenwerksbeſitzer der Großinduſtrie näher
ſtand, begann irre zu werden an dem alten Syſteme. Einer der tüch-
tigſten jüngeren Beamten, Wietersheim, ſchilderte in einer beredten Denk-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0665" n="649"/><fw place="top" type="header">Motz über die kurhe&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Handelspolitik.</fw><lb/>
war nicht geeignet den Kurfür&#x017F;ten zu gewinnen. Natzmer wurde mit un-<lb/>
ge&#x017F;chliffener Grobheit heimge&#x017F;chickt, und auch Leopold Kühne, der zur Un-<lb/>
ter&#x017F;tützung des Generals nach Ca&#x017F;&#x017F;el und nebenbei nach Braun&#x017F;chweig<lb/>
ging, richtete an beiden Orten nichts aus. In &#x017F;olcher Laune, tobend gegen<lb/>
&#x017F;eine Gemahlin wie gegen Alles, was den preußi&#x017F;chen Namen trug, war<lb/>
der he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Despot bereit, den Wei&#x017F;ungen Oe&#x017F;terreichs blindlings zu folgen.</p><lb/>
          <p>Die Hofburg wollte nicht blos die Erweiterung des preußi&#x017F;chen Zoll-<lb/>
&#x017F;y&#x017F;tems verhindern, &#x017F;ie dachte das Sy&#x017F;tem &#x017F;elber zu zer&#x017F;tören, den müh-<lb/>
&#x017F;am errungenen er&#x017F;ten Anfang deut&#x017F;cher Handelseinheit zu vernichten; und<lb/>
grade bei den norddeut&#x017F;chen Höfen, welche durch alle ihre natürlichen In-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;en auf Preußen angewie&#x017F;en waren, fand die&#x017F;e Ab&#x017F;icht Anklang. Der<lb/>
dyna&#x017F;ti&#x017F;che Haß des &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Hofes, der Welfen&#x017F;tolz Hannovers, der<lb/>
Grimm des Kurfür&#x017F;ten gegen &#x017F;einen königlichen Schwager, die Großmanns-<lb/>
&#x017F;ucht des Na&#x017F;&#x017F;auer Herzogs, die gedankenlo&#x017F;e Aeng&#x017F;tlichkeit der klein&#x017F;ten<lb/>
Höfe &#x2014; alle niederträchtigen und alle &#x017F;chwächlichen Elemente des nord-<lb/>
deut&#x017F;chen Kleinfür&#x017F;tenthums vereinigten &#x017F;ich in tief&#x017F;ter Stille zum Kampfe<lb/>
gegen Preußen. Ge&#x017F;tützt auf Oe&#x017F;terreich, begün&#x017F;tigt durch den Handels-<lb/>
neid Englands, Frankreichs und Hollands, kam der mitteldeut&#x017F;che Handels-<lb/>
verein zu Stande &#x2014; eine der bösartig&#x017F;ten und unnatürlich&#x017F;ten Ver&#x017F;chwö-<lb/>
rungen gegen das Vaterland &#x2014; gleich dem Rheinbunde ein Zeugniß, we&#x017F;&#x017F;en<lb/>
das deut&#x017F;che Kleinfür&#x017F;tenthum fähig war.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Nirgends erweckte der preußi&#x017F;ch-he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Vertrag &#x017F;chwerere Be&#x017F;org-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e als am Dresdner Hofe. Wie hatte man &#x017F;ich dort &#x017F;o behaglich ein-<lb/>
gelebt in den alten Privilegienwu&#x017F;t, wie war es &#x017F;o &#x017F;üß, am Bundestage<lb/>
über die deut&#x017F;che Handelseinheit und die Bundeszölle &#x017F;albungsvoll zu<lb/>
reden &#x2014; in der frohen Erwartung, daß gar nichts zu Stande komme,<lb/>
daß man jedes ern&#x017F;ten Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es, jeder heil&#x017F;amen Reform allezeit über-<lb/>
hoben bleibe! Jetzt er&#x017F;tanden plötzlich dicht an Sach&#x017F;ens Grenzen zwei<lb/>
Zollverbände. Wie nun, wenn die augenblickliche Ver&#x017F;timmung des Königs<lb/>
von Baiern verflog, wenn die beiden Vereine, die in ihren handelspoli-<lb/>
ti&#x017F;chen Grund&#x017F;ätzen einander &#x017F;o nahe &#x017F;tanden, &#x017F;ich zu einem ver&#x017F;chmolzen:<lb/>
wenn &#x017F;ie auch Thüringen gewannen, und al&#x017F;o dem Leipziger Handel der<lb/>
Weg zur See ringsum durch Zoll&#x017F;tellen ver&#x017F;perrt wurde? Lauter und<lb/>
lauter erklangen die Klagen der Fabrikanten des Erzgebirges; zweimal im<lb/>
Jahre 1828 liefen Petitionen ein, die den König be&#x017F;chworen: der An&#x017F;chluß<lb/>
an Preußen, oder auch an den &#x017F;üddeut&#x017F;chen Verein, irgend ein Ent&#x017F;chluß,<lb/>
der aus der verein&#x017F;amten Stellung hinausführe, &#x017F;ei unvermeidlich. Der<lb/>
Mini&#x017F;ter Graf Ein&#x017F;iedel, der als Ei&#x017F;enwerksbe&#x017F;itzer der Großindu&#x017F;trie näher<lb/>
&#x017F;tand, begann irre zu werden an dem alten Sy&#x017F;teme. Einer der tüch-<lb/>
tig&#x017F;ten jüngeren Beamten, Wietersheim, &#x017F;childerte in einer beredten Denk-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[649/0665] Motz über die kurheſſiſche Handelspolitik. war nicht geeignet den Kurfürſten zu gewinnen. Natzmer wurde mit un- geſchliffener Grobheit heimgeſchickt, und auch Leopold Kühne, der zur Un- terſtützung des Generals nach Caſſel und nebenbei nach Braunſchweig ging, richtete an beiden Orten nichts aus. In ſolcher Laune, tobend gegen ſeine Gemahlin wie gegen Alles, was den preußiſchen Namen trug, war der heſſiſche Despot bereit, den Weiſungen Oeſterreichs blindlings zu folgen. Die Hofburg wollte nicht blos die Erweiterung des preußiſchen Zoll- ſyſtems verhindern, ſie dachte das Syſtem ſelber zu zerſtören, den müh- ſam errungenen erſten Anfang deutſcher Handelseinheit zu vernichten; und grade bei den norddeutſchen Höfen, welche durch alle ihre natürlichen In- tereſſen auf Preußen angewieſen waren, fand dieſe Abſicht Anklang. Der dynaſtiſche Haß des ſächſiſchen Hofes, der Welfenſtolz Hannovers, der Grimm des Kurfürſten gegen ſeinen königlichen Schwager, die Großmanns- ſucht des Naſſauer Herzogs, die gedankenloſe Aengſtlichkeit der kleinſten Höfe — alle niederträchtigen und alle ſchwächlichen Elemente des nord- deutſchen Kleinfürſtenthums vereinigten ſich in tiefſter Stille zum Kampfe gegen Preußen. Geſtützt auf Oeſterreich, begünſtigt durch den Handels- neid Englands, Frankreichs und Hollands, kam der mitteldeutſche Handels- verein zu Stande — eine der bösartigſten und unnatürlichſten Verſchwö- rungen gegen das Vaterland — gleich dem Rheinbunde ein Zeugniß, weſſen das deutſche Kleinfürſtenthum fähig war. Nirgends erweckte der preußiſch-heſſiſche Vertrag ſchwerere Beſorg- niſſe als am Dresdner Hofe. Wie hatte man ſich dort ſo behaglich ein- gelebt in den alten Privilegienwuſt, wie war es ſo ſüß, am Bundestage über die deutſche Handelseinheit und die Bundeszölle ſalbungsvoll zu reden — in der frohen Erwartung, daß gar nichts zu Stande komme, daß man jedes ernſten Entſchluſſes, jeder heilſamen Reform allezeit über- hoben bleibe! Jetzt erſtanden plötzlich dicht an Sachſens Grenzen zwei Zollverbände. Wie nun, wenn die augenblickliche Verſtimmung des Königs von Baiern verflog, wenn die beiden Vereine, die in ihren handelspoli- tiſchen Grundſätzen einander ſo nahe ſtanden, ſich zu einem verſchmolzen: wenn ſie auch Thüringen gewannen, und alſo dem Leipziger Handel der Weg zur See ringsum durch Zollſtellen verſperrt wurde? Lauter und lauter erklangen die Klagen der Fabrikanten des Erzgebirges; zweimal im Jahre 1828 liefen Petitionen ein, die den König beſchworen: der Anſchluß an Preußen, oder auch an den ſüddeutſchen Verein, irgend ein Entſchluß, der aus der vereinſamten Stellung hinausführe, ſei unvermeidlich. Der Miniſter Graf Einſiedel, der als Eiſenwerksbeſitzer der Großinduſtrie näher ſtand, begann irre zu werden an dem alten Syſteme. Einer der tüch- tigſten jüngeren Beamten, Wietersheim, ſchilderte in einer beredten Denk-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/665
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/665>, abgerufen am 14.05.2024.