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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Preußens Sieg.

Preußen vollzog mit jenen zwei Verträgen nur eine That erlaubter
Kriegslist wider erklärte Gegner, und doch keinen feindseligen Schritt,
keine gehässige Retorsion. Die Niederlage des mitteldeutschen Vereins
war um so vollständiger, da Niemand das Recht hatte sich über Preußen
zu beklagen. Während sonst die Handelspolitik den Feind durch Handels-
erschwerungen zu schlagen sucht, entwaffneten Motz und Eichhorn den
Casseler Sonderbund durch die Erleichterung des deutschen Verkehrs; sie
konnten sogar den Dank der Mitteldeutschen beanspruchen für die Eröffnung
einer zollfreien Straße. Den beiden thüringischen Fürsten freilich ge-
reichte der Hergang nicht zur Ehre. Verlockt durch die Aussicht auf den
Besitz einer großen Handelsstraße wurden die Herzöge zu Verräthern an
ihren mitteldeutschen Verbündeten. Sie verletzten zwar nicht den Wort-
laut, doch den Sinn des Casseler Vertrags, der den Bundesgenossen
allerdings den Abschluß von Handelsverträgen gestattete, aber unzweifel-
haft den Zweck verfolgte, die Erweiterung des preußischen Zollsystems
zu verhindern. Das böse Beipiel weckte bald Nachahmung. Der mittel-
deutsche Verein, gegründet durch particularistische Selbstsucht, sollte ein
würdiges Ende finden; er sollte nach und nach zerbröckeln durch ein fri-
voles Spiel mit Treu' und Glauben.

Zugleich bereitete Motz in diesem thatenreichen Sommer den Mittel-
deutschen noch eine Ueberraschung, die ihrem Handel Segen, ihrem Sonder-
bunde Verderben brachte. Er verständigte sich mit den Niederlanden über
die Rheinschiffahrt und eröffnete also seinen süddeutschen Verbündeten die
Aussicht auf freien Verkehr mit der Nordsee.*) Sobald der britische
Kaufmann seine Waaren zollfrei rheinaufwärts bis nach Frankfurt und
Mannheim senden konnte, mußte England das Interesse an dem mittel-
deutschen Vereine verlieren und dem Sonderbunde war eine mächtige
Stütze entzogen. --

Nach so gründlichen Niederlagen hätten ernsthafte Staatsmänner
den Sonderbund als einen verunglückten Versuch sofort aufgeben und
eine Verständigung mit den überlegenen Zollvereinen des Südens und
des Nordens suchen müssen. Doch die unverwüstliche Zanksucht dieser
kleinen Höfe wollte nicht Frieden halten, ihr Dünkel sträubte sich gegen ein
beschämendes Geständniß. Der sächsische Gesandte in Wien Graf Schulen-
burg wußte Wunder zu berichten von den Handelserleichterungen, die Metter-
nich in allgemeinen Andeutungen dem Vereine versprach; ähnliche Zusagen,
ebenso unbestimmt gehalten, gab der französische Gesandte Graf Fenelon
dem Nassauer Hofe. In Hannover lebte ungebrochen der alte Welfen-
stolz; Graf Münster bot alle kleinen Künste auf, um den Meininger Her-
zog durch seine Schwester, die Herzogin von Clarence, von Preußen ab-
zuziehen. Im Februar 1829 war Varnhagen von Ense von der preußischen

*) S. o. III. 473.
43*
Preußens Sieg.

Preußen vollzog mit jenen zwei Verträgen nur eine That erlaubter
Kriegsliſt wider erklärte Gegner, und doch keinen feindſeligen Schritt,
keine gehäſſige Retorſion. Die Niederlage des mitteldeutſchen Vereins
war um ſo vollſtändiger, da Niemand das Recht hatte ſich über Preußen
zu beklagen. Während ſonſt die Handelspolitik den Feind durch Handels-
erſchwerungen zu ſchlagen ſucht, entwaffneten Motz und Eichhorn den
Caſſeler Sonderbund durch die Erleichterung des deutſchen Verkehrs; ſie
konnten ſogar den Dank der Mitteldeutſchen beanſpruchen für die Eröffnung
einer zollfreien Straße. Den beiden thüringiſchen Fürſten freilich ge-
reichte der Hergang nicht zur Ehre. Verlockt durch die Ausſicht auf den
Beſitz einer großen Handelsſtraße wurden die Herzöge zu Verräthern an
ihren mitteldeutſchen Verbündeten. Sie verletzten zwar nicht den Wort-
laut, doch den Sinn des Caſſeler Vertrags, der den Bundesgenoſſen
allerdings den Abſchluß von Handelsverträgen geſtattete, aber unzweifel-
haft den Zweck verfolgte, die Erweiterung des preußiſchen Zollſyſtems
zu verhindern. Das böſe Beipiel weckte bald Nachahmung. Der mittel-
deutſche Verein, gegründet durch particulariſtiſche Selbſtſucht, ſollte ein
würdiges Ende finden; er ſollte nach und nach zerbröckeln durch ein fri-
voles Spiel mit Treu’ und Glauben.

Zugleich bereitete Motz in dieſem thatenreichen Sommer den Mittel-
deutſchen noch eine Ueberraſchung, die ihrem Handel Segen, ihrem Sonder-
bunde Verderben brachte. Er verſtändigte ſich mit den Niederlanden über
die Rheinſchiffahrt und eröffnete alſo ſeinen ſüddeutſchen Verbündeten die
Ausſicht auf freien Verkehr mit der Nordſee.*) Sobald der britiſche
Kaufmann ſeine Waaren zollfrei rheinaufwärts bis nach Frankfurt und
Mannheim ſenden konnte, mußte England das Intereſſe an dem mittel-
deutſchen Vereine verlieren und dem Sonderbunde war eine mächtige
Stütze entzogen. —

Nach ſo gründlichen Niederlagen hätten ernſthafte Staatsmänner
den Sonderbund als einen verunglückten Verſuch ſofort aufgeben und
eine Verſtändigung mit den überlegenen Zollvereinen des Südens und
des Nordens ſuchen müſſen. Doch die unverwüſtliche Zankſucht dieſer
kleinen Höfe wollte nicht Frieden halten, ihr Dünkel ſträubte ſich gegen ein
beſchämendes Geſtändniß. Der ſächſiſche Geſandte in Wien Graf Schulen-
burg wußte Wunder zu berichten von den Handelserleichterungen, die Metter-
nich in allgemeinen Andeutungen dem Vereine verſprach; ähnliche Zuſagen,
ebenſo unbeſtimmt gehalten, gab der franzöſiſche Geſandte Graf Fenelon
dem Naſſauer Hofe. In Hannover lebte ungebrochen der alte Welfen-
ſtolz; Graf Münſter bot alle kleinen Künſte auf, um den Meininger Her-
zog durch ſeine Schweſter, die Herzogin von Clarence, von Preußen ab-
zuziehen. Im Februar 1829 war Varnhagen von Enſe von der preußiſchen

*) S. o. III. 473.
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[675/0691] Preußens Sieg. Preußen vollzog mit jenen zwei Verträgen nur eine That erlaubter Kriegsliſt wider erklärte Gegner, und doch keinen feindſeligen Schritt, keine gehäſſige Retorſion. Die Niederlage des mitteldeutſchen Vereins war um ſo vollſtändiger, da Niemand das Recht hatte ſich über Preußen zu beklagen. Während ſonſt die Handelspolitik den Feind durch Handels- erſchwerungen zu ſchlagen ſucht, entwaffneten Motz und Eichhorn den Caſſeler Sonderbund durch die Erleichterung des deutſchen Verkehrs; ſie konnten ſogar den Dank der Mitteldeutſchen beanſpruchen für die Eröffnung einer zollfreien Straße. Den beiden thüringiſchen Fürſten freilich ge- reichte der Hergang nicht zur Ehre. Verlockt durch die Ausſicht auf den Beſitz einer großen Handelsſtraße wurden die Herzöge zu Verräthern an ihren mitteldeutſchen Verbündeten. Sie verletzten zwar nicht den Wort- laut, doch den Sinn des Caſſeler Vertrags, der den Bundesgenoſſen allerdings den Abſchluß von Handelsverträgen geſtattete, aber unzweifel- haft den Zweck verfolgte, die Erweiterung des preußiſchen Zollſyſtems zu verhindern. Das böſe Beipiel weckte bald Nachahmung. Der mittel- deutſche Verein, gegründet durch particulariſtiſche Selbſtſucht, ſollte ein würdiges Ende finden; er ſollte nach und nach zerbröckeln durch ein fri- voles Spiel mit Treu’ und Glauben. Zugleich bereitete Motz in dieſem thatenreichen Sommer den Mittel- deutſchen noch eine Ueberraſchung, die ihrem Handel Segen, ihrem Sonder- bunde Verderben brachte. Er verſtändigte ſich mit den Niederlanden über die Rheinſchiffahrt und eröffnete alſo ſeinen ſüddeutſchen Verbündeten die Ausſicht auf freien Verkehr mit der Nordſee. *) Sobald der britiſche Kaufmann ſeine Waaren zollfrei rheinaufwärts bis nach Frankfurt und Mannheim ſenden konnte, mußte England das Intereſſe an dem mittel- deutſchen Vereine verlieren und dem Sonderbunde war eine mächtige Stütze entzogen. — Nach ſo gründlichen Niederlagen hätten ernſthafte Staatsmänner den Sonderbund als einen verunglückten Verſuch ſofort aufgeben und eine Verſtändigung mit den überlegenen Zollvereinen des Südens und des Nordens ſuchen müſſen. Doch die unverwüſtliche Zankſucht dieſer kleinen Höfe wollte nicht Frieden halten, ihr Dünkel ſträubte ſich gegen ein beſchämendes Geſtändniß. Der ſächſiſche Geſandte in Wien Graf Schulen- burg wußte Wunder zu berichten von den Handelserleichterungen, die Metter- nich in allgemeinen Andeutungen dem Vereine verſprach; ähnliche Zuſagen, ebenſo unbeſtimmt gehalten, gab der franzöſiſche Geſandte Graf Fenelon dem Naſſauer Hofe. In Hannover lebte ungebrochen der alte Welfen- ſtolz; Graf Münſter bot alle kleinen Künſte auf, um den Meininger Her- zog durch ſeine Schweſter, die Herzogin von Clarence, von Preußen ab- zuziehen. Im Februar 1829 war Varnhagen von Enſe von der preußiſchen *) S. o. III. 473. 43*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/691>, abgerufen am 14.05.2024.