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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Russisch-türkischer Krieg.

Im April 1828 erklärte Rußland den Krieg. In seinem Kriegs-
manifest forderte der Czar Genugthuung für die türkischen Rüstungen und
die Beleidigung seiner Ehre, für die Mißhandlung seiner Unterthanen
und die Belästigung des Handels im Bosporus, endlich genaue Erfüllung
der älteren Verträge. Feierlich verwahrte er sich gegen den Verdacht der
Eroberungslust; nur vollen Ersatz der Kriegskosten müsse er verlangen.
Den großen Mächten gegenüber spielte er den Gekränkten, den schuldlos
Herausgeforderten. "Ich werde nicht der Angreifer sein, Sire, schrieb er im
Januar dem König von Preußen, aber wehe denen, die sich an Rußland
vergreifen wollen"; und dem englischen Hofe ließ er mittheilen: da der
Sultan die Gesammtheit der Muhamedaner wider ihn aufrufe, so müsse
er den Kampf aufnehmen.*) Der wahre Grund des Krieges lag in
der schwierigen Stimmung des Heeres und in dem Selbstgefühle der
Nation, die so lange der Mißhandlung ihrer Glaubensgenossen grollend
zugesehen und nun Rache nehmen wollte an dem hochmüthigen und, wie
es schien, ohnmächtigen Erbfeinde. Rußland fühlte sich als die führende
Macht im Oriente; eben jetzt wurde ein zweijähriger Krieg gegen Persien
durch einen glücklichen Friedensschluß, durch die Erwerbung wichtiger Ge-
biete südlich des Kaukasus beendigt. Die anspruchslosen Versprechungen
des Kriegsmanifestes waren nicht schlechthin unehrlich, da die Lage der
Welt einen Vernichtungskrieg nicht begünstigte, aber auch nicht frei von
Hintergedanken. Blieb das Kriegsglück dem Czaren hold, so verloren sie
jeden Werth. Czar Nikolaus war der Enkel jener Katharina, die einst
gehofft hatte, den byzantinischen Doppeladler von Moskau wieder in seinen
alten Herrschersitz zurückzuführen. Am Berliner Hofe kannte man eine
geheime russische Denkschrift, worin die hochmüthige Aeußerung stand:
sollte das Schicksal den Untergang der Türkei herbeiführen, so würden
die großen Mächte sich auch darüber leicht einigen.**) Daher war der
friedfertige König mit dem Verfahren seines Schwiegersohnes keineswegs
einverstanden. Er fand es sehr leichtsinnig diese Saite zu berühren, er
sprach dem Czaren offen aus, man hätte den Krieg vermeiden können und
sollen, und verweigerte dem Prinzen Wilhelm die Erlaubniß zur Theil-
nahme an dem Feldzuge der Russen.

Eine thatkräftige österreichische Staatskunst hätte die Dinge nie so
weit kommen lassen, dem russischen Hofe nimmermehr den Vortritt ein-
geräumt bei der unvermeidlichen Zerstörung des türkischen Reichs. Im-
merhin bot sich der Hofburg auch jetzt noch zum letzten male die so oft
schon verscherzte Gelegenheit, die kühnen Pläne des Prinzen Eugen zu ver-
wirklichen. Wenn sie ihre günstige Flankenstellung entschlossen benutzte, den

*) K. Nikolaus an K. Friedr. Wilhelm 15. Jan. Nesselrode, Weisung an Lieven.
14. Febr. 1828.
**) Witzleben's Tagebuch, 17. Jan. 1828.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 47
Ruſſiſch-türkiſcher Krieg.

Im April 1828 erklärte Rußland den Krieg. In ſeinem Kriegs-
manifeſt forderte der Czar Genugthuung für die türkiſchen Rüſtungen und
die Beleidigung ſeiner Ehre, für die Mißhandlung ſeiner Unterthanen
und die Beläſtigung des Handels im Bosporus, endlich genaue Erfüllung
der älteren Verträge. Feierlich verwahrte er ſich gegen den Verdacht der
Eroberungsluſt; nur vollen Erſatz der Kriegskoſten müſſe er verlangen.
Den großen Mächten gegenüber ſpielte er den Gekränkten, den ſchuldlos
Herausgeforderten. „Ich werde nicht der Angreifer ſein, Sire, ſchrieb er im
Januar dem König von Preußen, aber wehe denen, die ſich an Rußland
vergreifen wollen“; und dem engliſchen Hofe ließ er mittheilen: da der
Sultan die Geſammtheit der Muhamedaner wider ihn aufrufe, ſo müſſe
er den Kampf aufnehmen.*) Der wahre Grund des Krieges lag in
der ſchwierigen Stimmung des Heeres und in dem Selbſtgefühle der
Nation, die ſo lange der Mißhandlung ihrer Glaubensgenoſſen grollend
zugeſehen und nun Rache nehmen wollte an dem hochmüthigen und, wie
es ſchien, ohnmächtigen Erbfeinde. Rußland fühlte ſich als die führende
Macht im Oriente; eben jetzt wurde ein zweijähriger Krieg gegen Perſien
durch einen glücklichen Friedensſchluß, durch die Erwerbung wichtiger Ge-
biete ſüdlich des Kaukaſus beendigt. Die anſpruchsloſen Verſprechungen
des Kriegsmanifeſtes waren nicht ſchlechthin unehrlich, da die Lage der
Welt einen Vernichtungskrieg nicht begünſtigte, aber auch nicht frei von
Hintergedanken. Blieb das Kriegsglück dem Czaren hold, ſo verloren ſie
jeden Werth. Czar Nikolaus war der Enkel jener Katharina, die einſt
gehofft hatte, den byzantiniſchen Doppeladler von Moskau wieder in ſeinen
alten Herrſcherſitz zurückzuführen. Am Berliner Hofe kannte man eine
geheime ruſſiſche Denkſchrift, worin die hochmüthige Aeußerung ſtand:
ſollte das Schickſal den Untergang der Türkei herbeiführen, ſo würden
die großen Mächte ſich auch darüber leicht einigen.**) Daher war der
friedfertige König mit dem Verfahren ſeines Schwiegerſohnes keineswegs
einverſtanden. Er fand es ſehr leichtſinnig dieſe Saite zu berühren, er
ſprach dem Czaren offen aus, man hätte den Krieg vermeiden können und
ſollen, und verweigerte dem Prinzen Wilhelm die Erlaubniß zur Theil-
nahme an dem Feldzuge der Ruſſen.

Eine thatkräftige öſterreichiſche Staatskunſt hätte die Dinge nie ſo
weit kommen laſſen, dem ruſſiſchen Hofe nimmermehr den Vortritt ein-
geräumt bei der unvermeidlichen Zerſtörung des türkiſchen Reichs. Im-
merhin bot ſich der Hofburg auch jetzt noch zum letzten male die ſo oft
ſchon verſcherzte Gelegenheit, die kühnen Pläne des Prinzen Eugen zu ver-
wirklichen. Wenn ſie ihre günſtige Flankenſtellung entſchloſſen benutzte, den

*) K. Nikolaus an K. Friedr. Wilhelm 15. Jan. Neſſelrode, Weiſung an Lieven.
14. Febr. 1828.
**) Witzleben’s Tagebuch, 17. Jan. 1828.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 47
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[737/0753] Ruſſiſch-türkiſcher Krieg. Im April 1828 erklärte Rußland den Krieg. In ſeinem Kriegs- manifeſt forderte der Czar Genugthuung für die türkiſchen Rüſtungen und die Beleidigung ſeiner Ehre, für die Mißhandlung ſeiner Unterthanen und die Beläſtigung des Handels im Bosporus, endlich genaue Erfüllung der älteren Verträge. Feierlich verwahrte er ſich gegen den Verdacht der Eroberungsluſt; nur vollen Erſatz der Kriegskoſten müſſe er verlangen. Den großen Mächten gegenüber ſpielte er den Gekränkten, den ſchuldlos Herausgeforderten. „Ich werde nicht der Angreifer ſein, Sire, ſchrieb er im Januar dem König von Preußen, aber wehe denen, die ſich an Rußland vergreifen wollen“; und dem engliſchen Hofe ließ er mittheilen: da der Sultan die Geſammtheit der Muhamedaner wider ihn aufrufe, ſo müſſe er den Kampf aufnehmen. *) Der wahre Grund des Krieges lag in der ſchwierigen Stimmung des Heeres und in dem Selbſtgefühle der Nation, die ſo lange der Mißhandlung ihrer Glaubensgenoſſen grollend zugeſehen und nun Rache nehmen wollte an dem hochmüthigen und, wie es ſchien, ohnmächtigen Erbfeinde. Rußland fühlte ſich als die führende Macht im Oriente; eben jetzt wurde ein zweijähriger Krieg gegen Perſien durch einen glücklichen Friedensſchluß, durch die Erwerbung wichtiger Ge- biete ſüdlich des Kaukaſus beendigt. Die anſpruchsloſen Verſprechungen des Kriegsmanifeſtes waren nicht ſchlechthin unehrlich, da die Lage der Welt einen Vernichtungskrieg nicht begünſtigte, aber auch nicht frei von Hintergedanken. Blieb das Kriegsglück dem Czaren hold, ſo verloren ſie jeden Werth. Czar Nikolaus war der Enkel jener Katharina, die einſt gehofft hatte, den byzantiniſchen Doppeladler von Moskau wieder in ſeinen alten Herrſcherſitz zurückzuführen. Am Berliner Hofe kannte man eine geheime ruſſiſche Denkſchrift, worin die hochmüthige Aeußerung ſtand: ſollte das Schickſal den Untergang der Türkei herbeiführen, ſo würden die großen Mächte ſich auch darüber leicht einigen. **) Daher war der friedfertige König mit dem Verfahren ſeines Schwiegerſohnes keineswegs einverſtanden. Er fand es ſehr leichtſinnig dieſe Saite zu berühren, er ſprach dem Czaren offen aus, man hätte den Krieg vermeiden können und ſollen, und verweigerte dem Prinzen Wilhelm die Erlaubniß zur Theil- nahme an dem Feldzuge der Ruſſen. Eine thatkräftige öſterreichiſche Staatskunſt hätte die Dinge nie ſo weit kommen laſſen, dem ruſſiſchen Hofe nimmermehr den Vortritt ein- geräumt bei der unvermeidlichen Zerſtörung des türkiſchen Reichs. Im- merhin bot ſich der Hofburg auch jetzt noch zum letzten male die ſo oft ſchon verſcherzte Gelegenheit, die kühnen Pläne des Prinzen Eugen zu ver- wirklichen. Wenn ſie ihre günſtige Flankenſtellung entſchloſſen benutzte, den *) K. Nikolaus an K. Friedr. Wilhelm 15. Jan. Neſſelrode, Weiſung an Lieven. 14. Febr. 1828. **) Witzleben’s Tagebuch, 17. Jan. 1828. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 47

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 737. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/753>, abgerufen am 29.04.2024.