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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 10. Preußen und die orientalische Frage.
ausgetauscht wurden, hatte man in den Tuilerien den alten Wahn, daß
Frankreich ein starkes Deutschland nicht ertragen könne, noch mit nichten
überwunden; dies lehrte das verdeckte Spiel der französischen Diplo-
matie gegen Preußens Handelspolitik. Sobald sich die Gefahr des Krieges
zeigte, erscholl in der französischen Presse sofort wieder der alte Ruf
nach der Rheingrenze. In der Kammer sprach General Sebastiani,
der Vertraute des Herzogs von Orleans den begehrlichen Gedanken offen
aus, ähnlich redete Chateaubriand vor aller Welt in seinen Salons
zu Rom. General Richemont predigte in einer prahlerischen Flugschrift
"über die politische Lage Europas" den Krieg gegen Frankreichs wahre
Feinde, England und Oesterreich; dann sollte der Czar in Konstantinopel
einziehen, Holland durch Hannover vergrößert werden, Preußen aber, das
mit der äußersten Geringschätzung behandelt wurde, "unseren Rhein"
herausgeben und dafür auf Oesterreichs Kosten irgendwo eine Entschädi-
gung erhalten. Auch die diplomatische Welt war solchen Gedanken nicht
ganz fremd. Als Bernstorff im Sommer 1828 seinen alten Congreß-
genossen Caraman in Teplitz traf, deutete ihm der Franzose leise an,
im Falle der Theilung der Türkei müsse sich Frankreich seinen Antheil
in der Nähe suchen; noch unzweideutiger äußerte sich Fürst Polignac
in London zu dem Gesandten v. Bülow. Das Alles waren nur Privat-
ansichten; aber auch der Gesandte Graf Montemart in Petersburg erör-
terte vor dem Czaren ausführlich die Nothwendigkeit eines großen Län-
dertausches, und Pozzo di Borgo schrieb aus Paris, man müsse Preußen
an den Gedanken gewöhnen, daß Frankreich eine mäßige Entschädigung
zu fordern habe, falls Preußen sich vergrößere. Czar Nikolaus fühlte
jedoch, daß Offenheit hier die höchste Klugheit war; er hatte gerade jetzt
dringende Gründe, sich die Freundschaft seines Schwiegervaters zu er-
halten und fragte in Berlin ehrlich an, wie denn der König selber über
solche Tauschpläne denke. Die Antwort lautete unbedingt ablehnend:
der König halte seinen gegenwärtigen Besitzstand für eine Gewähr des
europäischen Friedens und fühle sich mit seinen Rheinländern durch
gegenseitige Gefühle der Liebe und des Vertrauens von Jahr zu Jahr
enger verbunden. Von Seiten des französischen Cabinets wurde nie-
mals auch nur eine Andeutung beim Berliner Hofe gewagt. Der vor-
sichtige Werther blieb noch nach Jahren fest davon überzeugt, daß die
französischen Minister an diesen Zettelungen nie theilgenommen hätten,
und für die Zeit des Ministeriums Martignac mochte seine Vermuthung
vielleicht zutreffen.*) Fuhr aber das Schwert aus der Scheide, dann
war voraussichtlich selbst ein gemäßigtes Cabinet nicht mehr im Stande,

*) So ergiebt sich der Sachverhalt aus einer Reihe vertraulicher Mittheilungen,
welche Bernstorff und Werther im Jahre 1830 mit einander austauschten. (Bernstorff
an Werther, 3. Jan., 5. April. Werther's Bericht, 23. Jan. 1830.) --

III. 10. Preußen und die orientaliſche Frage.
ausgetauſcht wurden, hatte man in den Tuilerien den alten Wahn, daß
Frankreich ein ſtarkes Deutſchland nicht ertragen könne, noch mit nichten
überwunden; dies lehrte das verdeckte Spiel der franzöſiſchen Diplo-
matie gegen Preußens Handelspolitik. Sobald ſich die Gefahr des Krieges
zeigte, erſcholl in der franzöſiſchen Preſſe ſofort wieder der alte Ruf
nach der Rheingrenze. In der Kammer ſprach General Sebaſtiani,
der Vertraute des Herzogs von Orleans den begehrlichen Gedanken offen
aus, ähnlich redete Chateaubriand vor aller Welt in ſeinen Salons
zu Rom. General Richemont predigte in einer prahleriſchen Flugſchrift
„über die politiſche Lage Europas“ den Krieg gegen Frankreichs wahre
Feinde, England und Oeſterreich; dann ſollte der Czar in Konſtantinopel
einziehen, Holland durch Hannover vergrößert werden, Preußen aber, das
mit der äußerſten Geringſchätzung behandelt wurde, „unſeren Rhein„
herausgeben und dafür auf Oeſterreichs Koſten irgendwo eine Entſchädi-
gung erhalten. Auch die diplomatiſche Welt war ſolchen Gedanken nicht
ganz fremd. Als Bernſtorff im Sommer 1828 ſeinen alten Congreß-
genoſſen Caraman in Teplitz traf, deutete ihm der Franzoſe leiſe an,
im Falle der Theilung der Türkei müſſe ſich Frankreich ſeinen Antheil
in der Nähe ſuchen; noch unzweideutiger äußerte ſich Fürſt Polignac
in London zu dem Geſandten v. Bülow. Das Alles waren nur Privat-
anſichten; aber auch der Geſandte Graf Montemart in Petersburg erör-
terte vor dem Czaren ausführlich die Nothwendigkeit eines großen Län-
dertauſches, und Pozzo di Borgo ſchrieb aus Paris, man müſſe Preußen
an den Gedanken gewöhnen, daß Frankreich eine mäßige Entſchädigung
zu fordern habe, falls Preußen ſich vergrößere. Czar Nikolaus fühlte
jedoch, daß Offenheit hier die höchſte Klugheit war; er hatte gerade jetzt
dringende Gründe, ſich die Freundſchaft ſeines Schwiegervaters zu er-
halten und fragte in Berlin ehrlich an, wie denn der König ſelber über
ſolche Tauſchpläne denke. Die Antwort lautete unbedingt ablehnend:
der König halte ſeinen gegenwärtigen Beſitzſtand für eine Gewähr des
europäiſchen Friedens und fühle ſich mit ſeinen Rheinländern durch
gegenſeitige Gefühle der Liebe und des Vertrauens von Jahr zu Jahr
enger verbunden. Von Seiten des franzöſiſchen Cabinets wurde nie-
mals auch nur eine Andeutung beim Berliner Hofe gewagt. Der vor-
ſichtige Werther blieb noch nach Jahren feſt davon überzeugt, daß die
franzöſiſchen Miniſter an dieſen Zettelungen nie theilgenommen hätten,
und für die Zeit des Miniſteriums Martignac mochte ſeine Vermuthung
vielleicht zutreffen.*) Fuhr aber das Schwert aus der Scheide, dann
war vorausſichtlich ſelbſt ein gemäßigtes Cabinet nicht mehr im Stande,

*) So ergiebt ſich der Sachverhalt aus einer Reihe vertraulicher Mittheilungen,
welche Bernſtorff und Werther im Jahre 1830 mit einander austauſchten. (Bernſtorff
an Werther, 3. Jan., 5. April. Werther’s Bericht, 23. Jan. 1830.) —
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[740/0756] III. 10. Preußen und die orientaliſche Frage. ausgetauſcht wurden, hatte man in den Tuilerien den alten Wahn, daß Frankreich ein ſtarkes Deutſchland nicht ertragen könne, noch mit nichten überwunden; dies lehrte das verdeckte Spiel der franzöſiſchen Diplo- matie gegen Preußens Handelspolitik. Sobald ſich die Gefahr des Krieges zeigte, erſcholl in der franzöſiſchen Preſſe ſofort wieder der alte Ruf nach der Rheingrenze. In der Kammer ſprach General Sebaſtiani, der Vertraute des Herzogs von Orleans den begehrlichen Gedanken offen aus, ähnlich redete Chateaubriand vor aller Welt in ſeinen Salons zu Rom. General Richemont predigte in einer prahleriſchen Flugſchrift „über die politiſche Lage Europas“ den Krieg gegen Frankreichs wahre Feinde, England und Oeſterreich; dann ſollte der Czar in Konſtantinopel einziehen, Holland durch Hannover vergrößert werden, Preußen aber, das mit der äußerſten Geringſchätzung behandelt wurde, „unſeren Rhein„ herausgeben und dafür auf Oeſterreichs Koſten irgendwo eine Entſchädi- gung erhalten. Auch die diplomatiſche Welt war ſolchen Gedanken nicht ganz fremd. Als Bernſtorff im Sommer 1828 ſeinen alten Congreß- genoſſen Caraman in Teplitz traf, deutete ihm der Franzoſe leiſe an, im Falle der Theilung der Türkei müſſe ſich Frankreich ſeinen Antheil in der Nähe ſuchen; noch unzweideutiger äußerte ſich Fürſt Polignac in London zu dem Geſandten v. Bülow. Das Alles waren nur Privat- anſichten; aber auch der Geſandte Graf Montemart in Petersburg erör- terte vor dem Czaren ausführlich die Nothwendigkeit eines großen Län- dertauſches, und Pozzo di Borgo ſchrieb aus Paris, man müſſe Preußen an den Gedanken gewöhnen, daß Frankreich eine mäßige Entſchädigung zu fordern habe, falls Preußen ſich vergrößere. Czar Nikolaus fühlte jedoch, daß Offenheit hier die höchſte Klugheit war; er hatte gerade jetzt dringende Gründe, ſich die Freundſchaft ſeines Schwiegervaters zu er- halten und fragte in Berlin ehrlich an, wie denn der König ſelber über ſolche Tauſchpläne denke. Die Antwort lautete unbedingt ablehnend: der König halte ſeinen gegenwärtigen Beſitzſtand für eine Gewähr des europäiſchen Friedens und fühle ſich mit ſeinen Rheinländern durch gegenſeitige Gefühle der Liebe und des Vertrauens von Jahr zu Jahr enger verbunden. Von Seiten des franzöſiſchen Cabinets wurde nie- mals auch nur eine Andeutung beim Berliner Hofe gewagt. Der vor- ſichtige Werther blieb noch nach Jahren feſt davon überzeugt, daß die franzöſiſchen Miniſter an dieſen Zettelungen nie theilgenommen hätten, und für die Zeit des Miniſteriums Martignac mochte ſeine Vermuthung vielleicht zutreffen. *) Fuhr aber das Schwert aus der Scheide, dann war vorausſichtlich ſelbſt ein gemäßigtes Cabinet nicht mehr im Stande, *) So ergiebt ſich der Sachverhalt aus einer Reihe vertraulicher Mittheilungen, welche Bernſtorff und Werther im Jahre 1830 mit einander austauſchten. (Bernſtorff an Werther, 3. Jan., 5. April. Werther’s Bericht, 23. Jan. 1830.) —

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 740. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/756>, abgerufen am 29.04.2024.