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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Baiern und die Karlsbader Beschlüsse.
es ist nicht richtig, daß Preußen damals lediglich eine Macht des Beharrens war und
die politische Bewegung der deutschen Nation sich allein auf die constitutionellen Mittel-
staaten beschränkte; vielmehr hat die preußische Krone gerade in diesen verrufenen Jahren
den festen Grund gelegt für die militärische und die wirthschaftliche Einheit unseres
Vaterlandes, während die constitutionellen Staaten ihrerseits an den Karlsbader Be-
schlüssen und den anderen verhängnißvollen Mißgriffen der beiden Großmächte mitschuldig
sind. Dies Urtheil ergab sich mir ungesucht, zu meiner eigenen Ueberraschung -- habe
ich doch selbst vor zwanzig Jahren, als ich den Thatbestand noch nicht genau kannte,
die allgemeine Ansicht im Wesentlichen getheilt -- und da politische Legenden eine sehr
zähe Lebenskraft zu besitzen pflegen, so mußte ich auf lebhaften Widerspruch gefaßt sein.
Das konnte ich freilich nicht erwarten, daß einige norddeutsche Liberale, geärgert durch
die Zerstörung tief eingewurzelter Parteimärchen, die landsmannschaftliche Empfindlich-
keit der Oberdeutschen gegen mein Buch aufzustacheln suchen würden. Weil die Pflicht
der historischen Wahrhaftigkeit mich zu dem Nachweise zwang, daß die vielverläumdete
preußische Politik jener Tage weit besser war als ihr Ruf und die constitutionellen Höfe
manchen der ihnen von liberalen Historikern gespendeten Lobsprüche nicht verdienen,
darum beschuldigt man mich der Gehässigkeit gegen die Süd- und Mitteldeutschen, denen
ich selber durch Geburt und Erziehung angehöre.

Zu meinem Bedauern ist Herr v. Lerchenfeld diesen Einflüsterungen nicht ganz
unzugänglich geblieben. Er spricht zwar maßvoll und würdig, wie ich das von ihm
nicht anders erwarten konnte, und der ruhige Ton seiner Rede beweist mir zu meiner
Freude abermals, daß meine oberdeutschen Landsleute meine Arbeit ungleich freundlicher
aufgenommen haben als ihre unberufenen norddeutschen Anwälte. Doch hätte er das
Buch ganz unbefangen mit seinen gesunden bairischen Augen, nicht durch die trübe Brille
der norddeutschen Gelehrten der Allgemeinen Zeitung betrachtet, so würde er weder Ge-
danken herauslesen, die nicht drin stehen, noch Urtheile bekämpfen, die mit seinen eigenen
vollkommen zusammen stimmen. Er zeiht mich der Unbilligkeit gegenüber der bairischen
Rheinbundspolitik und hält mir zu meiner Besserung das Beispiel Hardenberg's vor,
der gerechtermaßen anerkannt habe, daß Baierns Verbindung mit Frankreich gutentheils
durch Preußens Schwäche verschuldet war. Wer mein Buch nicht gelesen hat, muß also
annehmen, daß mein Urtheil diesem Ausspruche Hardenberg's gradeswegs zuwiderlaufe.
Wie steht es damit in Wahrheit? Ich kann es mir nicht versagen, die beiden Stellen
hier neben einander abzudrucken, weil diese Zusammenstellung den Lesern, die sich in
unseren grilligen Tagen noch ein wenig gute Laune bewahrt haben, vielleicht eine kleine
Ergötzung bereiten wird.

[Spaltenumbruch]

Hardenberg sagt (bei Lerchenfeld S. 6):

"Es ist wahr, Baiern verdankte Preußen
seine Erhaltung, und der Kurfürst ins-
besondere dem König persönlich Freund-
schaft, Schutz und Zuflucht im Unglück;
aber es war zu entschuldigen, daß es seine
Politik nicht an die preußische kettete, weil
diese so schwach war und so wenig Schutz
gewährte."

[Spaltenumbruch]

Ich sage (Deutsche Gesch. II. 334):

"Nicht aus Vorliebe für Frankreich
hatte Montgelas einst das Bündniß mit
Preußen aufgegeben, sondern weil er einsah,
daß die bairische Vergrößerungslust vor-
läufig von Preußens Schwäche nichts, von
Bonaparte's Thatkraft Alles erwarten
konnte."

Ich meine, diese beiden Aeußerungen stimmen beinah wörtlich überein, und bei dem
Wohlwollen, das mir die liberale Presse widmet, muß ich fast befürchten, es werde noch
einmal ein gesinnungstüchtiger Recensent auftreten und mich des Plagiats an Harden-
berg beschuldigen. Einen ehrlichen Kritiker wie Herrn v. Lerchenfeld darf ich aber wohl
fragen: redet er eigentlich im Ernst oder im Scherz, wenn er mir also meine eigenen
Urtheile mahnend entgegenhält als ob ich sie bestritten hätte?

Nicht besser steht es um die anderen Vorwürfe, die er in seinem einleitenden Capitel
auf meine Deutsche Geschichte herabschüttet; trotz der höflichen Form läuft doch Alles

Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe.
es iſt nicht richtig, daß Preußen damals lediglich eine Macht des Beharrens war und
die politiſche Bewegung der deutſchen Nation ſich allein auf die conſtitutionellen Mittel-
ſtaaten beſchränkte; vielmehr hat die preußiſche Krone gerade in dieſen verrufenen Jahren
den feſten Grund gelegt für die militäriſche und die wirthſchaftliche Einheit unſeres
Vaterlandes, während die conſtitutionellen Staaten ihrerſeits an den Karlsbader Be-
ſchlüſſen und den anderen verhängnißvollen Mißgriffen der beiden Großmächte mitſchuldig
ſind. Dies Urtheil ergab ſich mir ungeſucht, zu meiner eigenen Ueberraſchung — habe
ich doch ſelbſt vor zwanzig Jahren, als ich den Thatbeſtand noch nicht genau kannte,
die allgemeine Anſicht im Weſentlichen getheilt — und da politiſche Legenden eine ſehr
zähe Lebenskraft zu beſitzen pflegen, ſo mußte ich auf lebhaften Widerſpruch gefaßt ſein.
Das konnte ich freilich nicht erwarten, daß einige norddeutſche Liberale, geärgert durch
die Zerſtörung tief eingewurzelter Parteimärchen, die landsmannſchaftliche Empfindlich-
keit der Oberdeutſchen gegen mein Buch aufzuſtacheln ſuchen würden. Weil die Pflicht
der hiſtoriſchen Wahrhaftigkeit mich zu dem Nachweiſe zwang, daß die vielverläumdete
preußiſche Politik jener Tage weit beſſer war als ihr Ruf und die conſtitutionellen Höfe
manchen der ihnen von liberalen Hiſtorikern geſpendeten Lobſprüche nicht verdienen,
darum beſchuldigt man mich der Gehäſſigkeit gegen die Süd- und Mitteldeutſchen, denen
ich ſelber durch Geburt und Erziehung angehöre.

Zu meinem Bedauern iſt Herr v. Lerchenfeld dieſen Einflüſterungen nicht ganz
unzugänglich geblieben. Er ſpricht zwar maßvoll und würdig, wie ich das von ihm
nicht anders erwarten konnte, und der ruhige Ton ſeiner Rede beweiſt mir zu meiner
Freude abermals, daß meine oberdeutſchen Landsleute meine Arbeit ungleich freundlicher
aufgenommen haben als ihre unberufenen norddeutſchen Anwälte. Doch hätte er das
Buch ganz unbefangen mit ſeinen geſunden bairiſchen Augen, nicht durch die trübe Brille
der norddeutſchen Gelehrten der Allgemeinen Zeitung betrachtet, ſo würde er weder Ge-
danken herausleſen, die nicht drin ſtehen, noch Urtheile bekämpfen, die mit ſeinen eigenen
vollkommen zuſammen ſtimmen. Er zeiht mich der Unbilligkeit gegenüber der bairiſchen
Rheinbundspolitik und hält mir zu meiner Beſſerung das Beiſpiel Hardenberg’s vor,
der gerechtermaßen anerkannt habe, daß Baierns Verbindung mit Frankreich gutentheils
durch Preußens Schwäche verſchuldet war. Wer mein Buch nicht geleſen hat, muß alſo
annehmen, daß mein Urtheil dieſem Ausſpruche Hardenberg’s gradeswegs zuwiderlaufe.
Wie ſteht es damit in Wahrheit? Ich kann es mir nicht verſagen, die beiden Stellen
hier neben einander abzudrucken, weil dieſe Zuſammenſtellung den Leſern, die ſich in
unſeren grilligen Tagen noch ein wenig gute Laune bewahrt haben, vielleicht eine kleine
Ergötzung bereiten wird.

[Spaltenumbruch]

Hardenberg ſagt (bei Lerchenfeld S. 6):

„Es iſt wahr, Baiern verdankte Preußen
ſeine Erhaltung, und der Kurfürſt ins-
beſondere dem König perſönlich Freund-
ſchaft, Schutz und Zuflucht im Unglück;
aber es war zu entſchuldigen, daß es ſeine
Politik nicht an die preußiſche kettete, weil
dieſe ſo ſchwach war und ſo wenig Schutz
gewährte.“

[Spaltenumbruch]

Ich ſage (Deutſche Geſch. II. 334):

„Nicht aus Vorliebe für Frankreich
hatte Montgelas einſt das Bündniß mit
Preußen aufgegeben, ſondern weil er einſah,
daß die bairiſche Vergrößerungsluſt vor-
läufig von Preußens Schwäche nichts, von
Bonaparte’s Thatkraft Alles erwarten
konnte.“

Ich meine, dieſe beiden Aeußerungen ſtimmen beinah wörtlich überein, und bei dem
Wohlwollen, das mir die liberale Preſſe widmet, muß ich faſt befürchten, es werde noch
einmal ein geſinnungstüchtiger Recenſent auftreten und mich des Plagiats an Harden-
berg beſchuldigen. Einen ehrlichen Kritiker wie Herrn v. Lerchenfeld darf ich aber wohl
fragen: redet er eigentlich im Ernſt oder im Scherz, wenn er mir alſo meine eigenen
Urtheile mahnend entgegenhält als ob ich ſie beſtritten hätte?

Nicht beſſer ſteht es um die anderen Vorwürfe, die er in ſeinem einleitenden Capitel
auf meine Deutſche Geſchichte herabſchüttet; trotz der höflichen Form läuft doch Alles

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[762/0778] Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe. es iſt nicht richtig, daß Preußen damals lediglich eine Macht des Beharrens war und die politiſche Bewegung der deutſchen Nation ſich allein auf die conſtitutionellen Mittel- ſtaaten beſchränkte; vielmehr hat die preußiſche Krone gerade in dieſen verrufenen Jahren den feſten Grund gelegt für die militäriſche und die wirthſchaftliche Einheit unſeres Vaterlandes, während die conſtitutionellen Staaten ihrerſeits an den Karlsbader Be- ſchlüſſen und den anderen verhängnißvollen Mißgriffen der beiden Großmächte mitſchuldig ſind. Dies Urtheil ergab ſich mir ungeſucht, zu meiner eigenen Ueberraſchung — habe ich doch ſelbſt vor zwanzig Jahren, als ich den Thatbeſtand noch nicht genau kannte, die allgemeine Anſicht im Weſentlichen getheilt — und da politiſche Legenden eine ſehr zähe Lebenskraft zu beſitzen pflegen, ſo mußte ich auf lebhaften Widerſpruch gefaßt ſein. Das konnte ich freilich nicht erwarten, daß einige norddeutſche Liberale, geärgert durch die Zerſtörung tief eingewurzelter Parteimärchen, die landsmannſchaftliche Empfindlich- keit der Oberdeutſchen gegen mein Buch aufzuſtacheln ſuchen würden. Weil die Pflicht der hiſtoriſchen Wahrhaftigkeit mich zu dem Nachweiſe zwang, daß die vielverläumdete preußiſche Politik jener Tage weit beſſer war als ihr Ruf und die conſtitutionellen Höfe manchen der ihnen von liberalen Hiſtorikern geſpendeten Lobſprüche nicht verdienen, darum beſchuldigt man mich der Gehäſſigkeit gegen die Süd- und Mitteldeutſchen, denen ich ſelber durch Geburt und Erziehung angehöre. Zu meinem Bedauern iſt Herr v. Lerchenfeld dieſen Einflüſterungen nicht ganz unzugänglich geblieben. Er ſpricht zwar maßvoll und würdig, wie ich das von ihm nicht anders erwarten konnte, und der ruhige Ton ſeiner Rede beweiſt mir zu meiner Freude abermals, daß meine oberdeutſchen Landsleute meine Arbeit ungleich freundlicher aufgenommen haben als ihre unberufenen norddeutſchen Anwälte. Doch hätte er das Buch ganz unbefangen mit ſeinen geſunden bairiſchen Augen, nicht durch die trübe Brille der norddeutſchen Gelehrten der Allgemeinen Zeitung betrachtet, ſo würde er weder Ge- danken herausleſen, die nicht drin ſtehen, noch Urtheile bekämpfen, die mit ſeinen eigenen vollkommen zuſammen ſtimmen. Er zeiht mich der Unbilligkeit gegenüber der bairiſchen Rheinbundspolitik und hält mir zu meiner Beſſerung das Beiſpiel Hardenberg’s vor, der gerechtermaßen anerkannt habe, daß Baierns Verbindung mit Frankreich gutentheils durch Preußens Schwäche verſchuldet war. Wer mein Buch nicht geleſen hat, muß alſo annehmen, daß mein Urtheil dieſem Ausſpruche Hardenberg’s gradeswegs zuwiderlaufe. Wie ſteht es damit in Wahrheit? Ich kann es mir nicht verſagen, die beiden Stellen hier neben einander abzudrucken, weil dieſe Zuſammenſtellung den Leſern, die ſich in unſeren grilligen Tagen noch ein wenig gute Laune bewahrt haben, vielleicht eine kleine Ergötzung bereiten wird. Hardenberg ſagt (bei Lerchenfeld S. 6): „Es iſt wahr, Baiern verdankte Preußen ſeine Erhaltung, und der Kurfürſt ins- beſondere dem König perſönlich Freund- ſchaft, Schutz und Zuflucht im Unglück; aber es war zu entſchuldigen, daß es ſeine Politik nicht an die preußiſche kettete, weil dieſe ſo ſchwach war und ſo wenig Schutz gewährte.“ Ich ſage (Deutſche Geſch. II. 334): „Nicht aus Vorliebe für Frankreich hatte Montgelas einſt das Bündniß mit Preußen aufgegeben, ſondern weil er einſah, daß die bairiſche Vergrößerungsluſt vor- läufig von Preußens Schwäche nichts, von Bonaparte’s Thatkraft Alles erwarten konnte.“ Ich meine, dieſe beiden Aeußerungen ſtimmen beinah wörtlich überein, und bei dem Wohlwollen, das mir die liberale Preſſe widmet, muß ich faſt befürchten, es werde noch einmal ein geſinnungstüchtiger Recenſent auftreten und mich des Plagiats an Harden- berg beſchuldigen. Einen ehrlichen Kritiker wie Herrn v. Lerchenfeld darf ich aber wohl fragen: redet er eigentlich im Ernſt oder im Scherz, wenn er mir alſo meine eigenen Urtheile mahnend entgegenhält als ob ich ſie beſtritten hätte? Nicht beſſer ſteht es um die anderen Vorwürfe, die er in ſeinem einleitenden Capitel auf meine Deutſche Geſchichte herabſchüttet; trotz der höflichen Form läuft doch Alles

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 762. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/778>, abgerufen am 27.04.2024.