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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Nebenius und der deutsche Zollverein.
denn Preußen bot sogleich nach Erlaß des Zollgesetzes nur jenen Staaten Verkehrsfreiheit
an, welche in Zollgemeinschaft mit ihm treten wollten.

Wer hat die Bedeutung der Zollgemeinschaft für unsere politische Zukunft zuerst
erkannt? Nicht Nebenius, der über Deutschlands Verhältniß zu Oesterreich nie ins Klare
kam, sondern Motz.

Was bleibt demnach von Nebenius' Vaterrechten übrig? Nur dies Eine: er hat
im Jahre 1819, gleich vielen anderen wackeren Patrioten, an die Utopie eines Bundes-
zollwesens geglaubt, aber diesen im Ganzen verkehrten Plan im Einzelnen mit einigen
guten Gedanken ausgestattet, welche den preußischen Staatsmännern bereits bekannt
waren. Soll der Badener deshalb der Vater des Zollvereins heißen, so begeht man
eine historische Ungerechtigkeit, in erster Linie gegen den Märker König Friedrich Wilhelm,
den Rheinländer Maassen, den Franken Eichhorn und den Hessen Motz: in zweiter
Linie gegen die Hessen du Thil und Hofmann, die Baiern König Ludwig, Armansperg
und Mieg, die Schwaben König Wilhelm und Cotta, die Sachsen Lindenau und
Zeschau. Dies sind die wirklichen Väter des Zollvereins; Nebenius war nur bei den
unfruchtbaren süddeutschen Sonderbundsverhandlungen, mit geringem Glücke, thätig und
griff in die Geschichte des großen Zollvereins erst ein als das Werk schon unter Dach
war. Man sieht es handelt sich hier durchaus nicht, wie Roscher andeutet, um eine
Vertheidigung preußischen Ruhmes, sondern um die Wahrung der Verdienste von
Männern aus allen deutschen Stämmen und vor Allem um die nüchterne Feststellung des
historischen Thatbestandes. Was der preußische Staat für den Zollverein gewesen, ist
ja über allen Streit erhaben; davon beißt keine Maus einen Faden ab.

Roscher hält für denkbar, wenngleich für unwahrscheinlich, daß sich in Maassen's
oder Eichhorn's Nachlaß noch ein Zollvereinsplan finden könnte, der älter wäre als Ne-
benius' Denkschrift. Ich gestehe, daß ich eine solche Entdeckung für undenkbar halte. Sie
würde auch den staatsmännischen Ruf der beiden Männer keineswegs erhöhen. Die
Ueberlegenheit Eichhorn's und Maassen's, gegenüber den schwärmenden Patrioten draußen
im Reich, liegt ja gerade darin, daß sie verschmähten mit Unmöglichkeiten zu spielen.
Sie begnügten sich die Hälfte des nicht-österreichischen Deutschlands zu einem einigen
Marktgebiete zusammenzufassen und erklärten sich bereit auch andere Staaten in diese
Gemeinschaft aufzunehmen; mehr konnte ein praktischer Staatsmann schlechterdings nicht
thun in jenem Augenblick, da ganz Deutschland gegen das preußische Zollgesetz tobte,
und keiner der Mittelstaaten gewillt oder fähig war seine Verwaltung nach den Anfor-
derungen des preußischen Zollgesetzes umzugestalten. Wer im Jahre 1819 den Plan eines
deutschen Zollvereins entwarf, der mußte in Phantasien verfallen, und diesem Schicksale
ist selbst das Talent eines Nebenius nicht entgangen. Der Badener ging, wie alle
Wortführer der erregten öffentlichen Meinung, von einer tabula rasa aus, während die
preußischen Staatsmänner ihr bestehendes Zollgesetz erhalten und auf diesem Grunde
weiter bauen wollten. Zehn Jahre darauf war die Lage geklärt; da war es möglich,
unmittelbar auf die Handelseinheit des ganzen Deutschlands loszuschreiten, damals ent-
warf Motz seinen Plan, der in der That Hörner und Zähne hatte.

Die übertriebene Bewunderung, welche der Denkschrift von 1819 nachträglich zu
Theil geworden, erklärt sich allein aus dem Umstande, daß Nebenius unter den Staats-
männern des Zollvereins der einzige Schriftsteller war. Bei dem Mangel an archiva-
lischen Aufschlüssen sahen sich die Historiker wesentlich auf seine Aussagen angewiesen.
Nebenius' Schriften über den Zollverein, so hochverdienstlich sie sind, leiden doch an zwei
Schwächen: an einiger Selbstüberschätzung und an großer Zaghaftigkeit des Urtheils. Mein
alter Freund Karl Mathy, der freilich solche vermittelnde Naturen wenig liebte, nannte
den Mann gradezu "weich wie Wachs", und erbaulich ist es nicht, wie glatt und leise
er über alle die empörende Nichtswürdigkeit der kleinen Höfe, die sich in jenen schmach-
vollen Handelskriegen entlud, hinweggeht und immer nur von den wohlmeinenden Ab-

Nebenius und der deutſche Zollverein.
denn Preußen bot ſogleich nach Erlaß des Zollgeſetzes nur jenen Staaten Verkehrsfreiheit
an, welche in Zollgemeinſchaft mit ihm treten wollten.

Wer hat die Bedeutung der Zollgemeinſchaft für unſere politiſche Zukunft zuerſt
erkannt? Nicht Nebenius, der über Deutſchlands Verhältniß zu Oeſterreich nie ins Klare
kam, ſondern Motz.

Was bleibt demnach von Nebenius’ Vaterrechten übrig? Nur dies Eine: er hat
im Jahre 1819, gleich vielen anderen wackeren Patrioten, an die Utopie eines Bundes-
zollweſens geglaubt, aber dieſen im Ganzen verkehrten Plan im Einzelnen mit einigen
guten Gedanken ausgeſtattet, welche den preußiſchen Staatsmännern bereits bekannt
waren. Soll der Badener deshalb der Vater des Zollvereins heißen, ſo begeht man
eine hiſtoriſche Ungerechtigkeit, in erſter Linie gegen den Märker König Friedrich Wilhelm,
den Rheinländer Maaſſen, den Franken Eichhorn und den Heſſen Motz: in zweiter
Linie gegen die Heſſen du Thil und Hofmann, die Baiern König Ludwig, Armanſperg
und Mieg, die Schwaben König Wilhelm und Cotta, die Sachſen Lindenau und
Zeſchau. Dies ſind die wirklichen Väter des Zollvereins; Nebenius war nur bei den
unfruchtbaren ſüddeutſchen Sonderbundsverhandlungen, mit geringem Glücke, thätig und
griff in die Geſchichte des großen Zollvereins erſt ein als das Werk ſchon unter Dach
war. Man ſieht es handelt ſich hier durchaus nicht, wie Roſcher andeutet, um eine
Vertheidigung preußiſchen Ruhmes, ſondern um die Wahrung der Verdienſte von
Männern aus allen deutſchen Stämmen und vor Allem um die nüchterne Feſtſtellung des
hiſtoriſchen Thatbeſtandes. Was der preußiſche Staat für den Zollverein geweſen, iſt
ja über allen Streit erhaben; davon beißt keine Maus einen Faden ab.

Roſcher hält für denkbar, wenngleich für unwahrſcheinlich, daß ſich in Maaſſen’s
oder Eichhorn’s Nachlaß noch ein Zollvereinsplan finden könnte, der älter wäre als Ne-
benius’ Denkſchrift. Ich geſtehe, daß ich eine ſolche Entdeckung für undenkbar halte. Sie
würde auch den ſtaatsmänniſchen Ruf der beiden Männer keineswegs erhöhen. Die
Ueberlegenheit Eichhorn’s und Maaſſen’s, gegenüber den ſchwärmenden Patrioten draußen
im Reich, liegt ja gerade darin, daß ſie verſchmähten mit Unmöglichkeiten zu ſpielen.
Sie begnügten ſich die Hälfte des nicht-öſterreichiſchen Deutſchlands zu einem einigen
Marktgebiete zuſammenzufaſſen und erklärten ſich bereit auch andere Staaten in dieſe
Gemeinſchaft aufzunehmen; mehr konnte ein praktiſcher Staatsmann ſchlechterdings nicht
thun in jenem Augenblick, da ganz Deutſchland gegen das preußiſche Zollgeſetz tobte,
und keiner der Mittelſtaaten gewillt oder fähig war ſeine Verwaltung nach den Anfor-
derungen des preußiſchen Zollgeſetzes umzugeſtalten. Wer im Jahre 1819 den Plan eines
deutſchen Zollvereins entwarf, der mußte in Phantaſien verfallen, und dieſem Schickſale
iſt ſelbſt das Talent eines Nebenius nicht entgangen. Der Badener ging, wie alle
Wortführer der erregten öffentlichen Meinung, von einer tabula rasa aus, während die
preußiſchen Staatsmänner ihr beſtehendes Zollgeſetz erhalten und auf dieſem Grunde
weiter bauen wollten. Zehn Jahre darauf war die Lage geklärt; da war es möglich,
unmittelbar auf die Handelseinheit des ganzen Deutſchlands loszuſchreiten, damals ent-
warf Motz ſeinen Plan, der in der That Hörner und Zähne hatte.

Die übertriebene Bewunderung, welche der Denkſchrift von 1819 nachträglich zu
Theil geworden, erklärt ſich allein aus dem Umſtande, daß Nebenius unter den Staats-
männern des Zollvereins der einzige Schriftſteller war. Bei dem Mangel an archiva-
liſchen Aufſchlüſſen ſahen ſich die Hiſtoriker weſentlich auf ſeine Ausſagen angewieſen.
Nebenius’ Schriften über den Zollverein, ſo hochverdienſtlich ſie ſind, leiden doch an zwei
Schwächen: an einiger Selbſtüberſchätzung und an großer Zaghaftigkeit des Urtheils. Mein
alter Freund Karl Mathy, der freilich ſolche vermittelnde Naturen wenig liebte, nannte
den Mann gradezu „weich wie Wachs“, und erbaulich iſt es nicht, wie glatt und leiſe
er über alle die empörende Nichtswürdigkeit der kleinen Höfe, die ſich in jenen ſchmach-
vollen Handelskriegen entlud, hinweggeht und immer nur von den wohlmeinenden Ab-

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[777/0793] Nebenius und der deutſche Zollverein. denn Preußen bot ſogleich nach Erlaß des Zollgeſetzes nur jenen Staaten Verkehrsfreiheit an, welche in Zollgemeinſchaft mit ihm treten wollten. Wer hat die Bedeutung der Zollgemeinſchaft für unſere politiſche Zukunft zuerſt erkannt? Nicht Nebenius, der über Deutſchlands Verhältniß zu Oeſterreich nie ins Klare kam, ſondern Motz. Was bleibt demnach von Nebenius’ Vaterrechten übrig? Nur dies Eine: er hat im Jahre 1819, gleich vielen anderen wackeren Patrioten, an die Utopie eines Bundes- zollweſens geglaubt, aber dieſen im Ganzen verkehrten Plan im Einzelnen mit einigen guten Gedanken ausgeſtattet, welche den preußiſchen Staatsmännern bereits bekannt waren. Soll der Badener deshalb der Vater des Zollvereins heißen, ſo begeht man eine hiſtoriſche Ungerechtigkeit, in erſter Linie gegen den Märker König Friedrich Wilhelm, den Rheinländer Maaſſen, den Franken Eichhorn und den Heſſen Motz: in zweiter Linie gegen die Heſſen du Thil und Hofmann, die Baiern König Ludwig, Armanſperg und Mieg, die Schwaben König Wilhelm und Cotta, die Sachſen Lindenau und Zeſchau. Dies ſind die wirklichen Väter des Zollvereins; Nebenius war nur bei den unfruchtbaren ſüddeutſchen Sonderbundsverhandlungen, mit geringem Glücke, thätig und griff in die Geſchichte des großen Zollvereins erſt ein als das Werk ſchon unter Dach war. Man ſieht es handelt ſich hier durchaus nicht, wie Roſcher andeutet, um eine Vertheidigung preußiſchen Ruhmes, ſondern um die Wahrung der Verdienſte von Männern aus allen deutſchen Stämmen und vor Allem um die nüchterne Feſtſtellung des hiſtoriſchen Thatbeſtandes. Was der preußiſche Staat für den Zollverein geweſen, iſt ja über allen Streit erhaben; davon beißt keine Maus einen Faden ab. Roſcher hält für denkbar, wenngleich für unwahrſcheinlich, daß ſich in Maaſſen’s oder Eichhorn’s Nachlaß noch ein Zollvereinsplan finden könnte, der älter wäre als Ne- benius’ Denkſchrift. Ich geſtehe, daß ich eine ſolche Entdeckung für undenkbar halte. Sie würde auch den ſtaatsmänniſchen Ruf der beiden Männer keineswegs erhöhen. Die Ueberlegenheit Eichhorn’s und Maaſſen’s, gegenüber den ſchwärmenden Patrioten draußen im Reich, liegt ja gerade darin, daß ſie verſchmähten mit Unmöglichkeiten zu ſpielen. Sie begnügten ſich die Hälfte des nicht-öſterreichiſchen Deutſchlands zu einem einigen Marktgebiete zuſammenzufaſſen und erklärten ſich bereit auch andere Staaten in dieſe Gemeinſchaft aufzunehmen; mehr konnte ein praktiſcher Staatsmann ſchlechterdings nicht thun in jenem Augenblick, da ganz Deutſchland gegen das preußiſche Zollgeſetz tobte, und keiner der Mittelſtaaten gewillt oder fähig war ſeine Verwaltung nach den Anfor- derungen des preußiſchen Zollgeſetzes umzugeſtalten. Wer im Jahre 1819 den Plan eines deutſchen Zollvereins entwarf, der mußte in Phantaſien verfallen, und dieſem Schickſale iſt ſelbſt das Talent eines Nebenius nicht entgangen. Der Badener ging, wie alle Wortführer der erregten öffentlichen Meinung, von einer tabula rasa aus, während die preußiſchen Staatsmänner ihr beſtehendes Zollgeſetz erhalten und auf dieſem Grunde weiter bauen wollten. Zehn Jahre darauf war die Lage geklärt; da war es möglich, unmittelbar auf die Handelseinheit des ganzen Deutſchlands loszuſchreiten, damals ent- warf Motz ſeinen Plan, der in der That Hörner und Zähne hatte. Die übertriebene Bewunderung, welche der Denkſchrift von 1819 nachträglich zu Theil geworden, erklärt ſich allein aus dem Umſtande, daß Nebenius unter den Staats- männern des Zollvereins der einzige Schriftſteller war. Bei dem Mangel an archiva- liſchen Aufſchlüſſen ſahen ſich die Hiſtoriker weſentlich auf ſeine Ausſagen angewieſen. Nebenius’ Schriften über den Zollverein, ſo hochverdienſtlich ſie ſind, leiden doch an zwei Schwächen: an einiger Selbſtüberſchätzung und an großer Zaghaftigkeit des Urtheils. Mein alter Freund Karl Mathy, der freilich ſolche vermittelnde Naturen wenig liebte, nannte den Mann gradezu „weich wie Wachs“, und erbaulich iſt es nicht, wie glatt und leiſe er über alle die empörende Nichtswürdigkeit der kleinen Höfe, die ſich in jenen ſchmach- vollen Handelskriegen entlud, hinweggeht und immer nur von den wohlmeinenden Ab-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 777. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/793>, abgerufen am 29.04.2024.