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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Preußens Vorbehalt.
Wendung wurden ihm alle die theuren Erinnerungen des Befreiungs-
krieges wieder lebendig. "Wir dürfen", so ließ er nach Wien schreiben,
"den ersten Vertrag nicht abschwächen, durch welchen das britische Cabinet
sich offen von Frankreich getrennt und seinen Platz unter den conservativen
Mächten wieder eingenommen hat."*) Andererseits sah er wohl ein, daß
Preußen die schwerste Last würde tragen müssen falls ein allgemeiner Krieg
ausbräche. Um dies Unheil von seinem Lande abzuwenden, ließ er allen
Mächten bestimmt erklären, er halte fest an der friedlichen Politik seines
Vaters. Die Clausel, welche Bülow dem Vertrage eingefügt, genügte ihm
nicht; er verlangte vielmehr, daß seinem Staate die Neutralität feierlich
verbürgt werden müsse.**)

Mit erklärlicher Verwunderung nahmen die drei befreundeten Mächte
diese Mittheilungen entgegen. Palmerston meinte kurzweg, alle vier Mächte
seien vertragsmäßig verpflichtet, nach dem Maße ihrer Machtmittel zu-
sammenzuwirken, und ließ in Berlin anfragen, was demnach Preußen für
die gemeinsame Sache zu thun gedenke.***) Nesselrode sagte dem preußi-
schen Gesandten Liebermann, der ihm im Stillen nicht Unrecht geben
konnte, hoch entrüstet: das sei doch unerhört, daß Frankreichs zunächst
bedrohter Nachbarstaat, nachdem er sich dem Vierbunde angeschlossen, noch
neutral bleiben wolle; und der Czar warnte freundschaftlich, solche Vor-
behalte erregten in England Geringschätzung.+) Selbst Metternich konnte
nicht umhin, im August bei der Pillnitzer Zusammenkunft dem Könige
vorzustellen: eine förmliche Erklärung der Neutralität erwecke das Miß-
trauen Englands, "das wir soeben zu unserem Banner bekehrt haben";
Thiers aber würde darin ein Zeichen der Schwäche des Vierbundes
sehen.++) So geschah es auch; denn kaum hatte der französische Mi-
nister etwas erfahren, so sagte er erleichtert: also nicht ein Vierbund,
nur ein Dreibund steht uns gegenüber!+++) Mehrere Wochen hindurch
währten diese geheimen Verhandlungen; sie erweckten bei allen Höfen den
Eindruck, daß Preußens Diplomatie unter dem bescheidenen alten Regi-
ment doch weit verständiger und fester geleitet worden war als unter dem
prunkhaften neuen. Endlich ward ein Vermittlungsantrag Metternich's
angenommen und am 14. August von den vier Mächten ein geheimes
Protokoll unterzeichnet, kraft dessen Preußen sich für den Fall eines Krieges
"vollkommene Freiheit des Handelns und namentlich das Recht der streng-
sten Neutralität" vorbehielt.*+) Nun erst ratificirte Preußen den Vertrag.

*) Werther, Weisung an Maltzan, 24. Juli 1840.
**) Werther's Bericht an den König, 22. Juli; Weisung an Bülow, 4. Aug. 1840.
***) Werther's Bericht an den König, 28. Juli 1840.
+) Liebermann's Berichte, 26. 29. Sept. 1840.
++) König Friedrich Wilhelm an Werther, Pillnitz 12. Aug. 1840.
+++) Maltzan's Bericht, 26. Aug. 1840.
*+) Geheimes Protokoll der vier Mächte, London 14. Aug.; nebst Briefen von Pal-
merston, Neumann, Brunnow an Bülow, 14. Aug. 1840.

Preußens Vorbehalt.
Wendung wurden ihm alle die theuren Erinnerungen des Befreiungs-
krieges wieder lebendig. „Wir dürfen“, ſo ließ er nach Wien ſchreiben,
„den erſten Vertrag nicht abſchwächen, durch welchen das britiſche Cabinet
ſich offen von Frankreich getrennt und ſeinen Platz unter den conſervativen
Mächten wieder eingenommen hat.“*) Andererſeits ſah er wohl ein, daß
Preußen die ſchwerſte Laſt würde tragen müſſen falls ein allgemeiner Krieg
ausbräche. Um dies Unheil von ſeinem Lande abzuwenden, ließ er allen
Mächten beſtimmt erklären, er halte feſt an der friedlichen Politik ſeines
Vaters. Die Clauſel, welche Bülow dem Vertrage eingefügt, genügte ihm
nicht; er verlangte vielmehr, daß ſeinem Staate die Neutralität feierlich
verbürgt werden müſſe.**)

Mit erklärlicher Verwunderung nahmen die drei befreundeten Mächte
dieſe Mittheilungen entgegen. Palmerſton meinte kurzweg, alle vier Mächte
ſeien vertragsmäßig verpflichtet, nach dem Maße ihrer Machtmittel zu-
ſammenzuwirken, und ließ in Berlin anfragen, was demnach Preußen für
die gemeinſame Sache zu thun gedenke.***) Neſſelrode ſagte dem preußi-
ſchen Geſandten Liebermann, der ihm im Stillen nicht Unrecht geben
konnte, hoch entrüſtet: das ſei doch unerhört, daß Frankreichs zunächſt
bedrohter Nachbarſtaat, nachdem er ſich dem Vierbunde angeſchloſſen, noch
neutral bleiben wolle; und der Czar warnte freundſchaftlich, ſolche Vor-
behalte erregten in England Geringſchätzung.†) Selbſt Metternich konnte
nicht umhin, im Auguſt bei der Pillnitzer Zuſammenkunft dem Könige
vorzuſtellen: eine förmliche Erklärung der Neutralität erwecke das Miß-
trauen Englands, „das wir ſoeben zu unſerem Banner bekehrt haben“;
Thiers aber würde darin ein Zeichen der Schwäche des Vierbundes
ſehen.††) So geſchah es auch; denn kaum hatte der franzöſiſche Mi-
niſter etwas erfahren, ſo ſagte er erleichtert: alſo nicht ein Vierbund,
nur ein Dreibund ſteht uns gegenüber!†††) Mehrere Wochen hindurch
währten dieſe geheimen Verhandlungen; ſie erweckten bei allen Höfen den
Eindruck, daß Preußens Diplomatie unter dem beſcheidenen alten Regi-
ment doch weit verſtändiger und feſter geleitet worden war als unter dem
prunkhaften neuen. Endlich ward ein Vermittlungsantrag Metternich’s
angenommen und am 14. Auguſt von den vier Mächten ein geheimes
Protokoll unterzeichnet, kraft deſſen Preußen ſich für den Fall eines Krieges
„vollkommene Freiheit des Handelns und namentlich das Recht der ſtreng-
ſten Neutralität“ vorbehielt.*†) Nun erſt ratificirte Preußen den Vertrag.

*) Werther, Weiſung an Maltzan, 24. Juli 1840.
**) Werther’s Bericht an den König, 22. Juli; Weiſung an Bülow, 4. Aug. 1840.
***) Werther’s Bericht an den König, 28. Juli 1840.
†) Liebermann’s Berichte, 26. 29. Sept. 1840.
††) König Friedrich Wilhelm an Werther, Pillnitz 12. Aug. 1840.
†††) Maltzan’s Bericht, 26. Aug. 1840.
*†) Geheimes Protokoll der vier Mächte, London 14. Aug.; nebſt Briefen von Pal-
merſton, Neumann, Brunnow an Bülow, 14. Aug. 1840.
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[79/0093] Preußens Vorbehalt. Wendung wurden ihm alle die theuren Erinnerungen des Befreiungs- krieges wieder lebendig. „Wir dürfen“, ſo ließ er nach Wien ſchreiben, „den erſten Vertrag nicht abſchwächen, durch welchen das britiſche Cabinet ſich offen von Frankreich getrennt und ſeinen Platz unter den conſervativen Mächten wieder eingenommen hat.“ *) Andererſeits ſah er wohl ein, daß Preußen die ſchwerſte Laſt würde tragen müſſen falls ein allgemeiner Krieg ausbräche. Um dies Unheil von ſeinem Lande abzuwenden, ließ er allen Mächten beſtimmt erklären, er halte feſt an der friedlichen Politik ſeines Vaters. Die Clauſel, welche Bülow dem Vertrage eingefügt, genügte ihm nicht; er verlangte vielmehr, daß ſeinem Staate die Neutralität feierlich verbürgt werden müſſe. **) Mit erklärlicher Verwunderung nahmen die drei befreundeten Mächte dieſe Mittheilungen entgegen. Palmerſton meinte kurzweg, alle vier Mächte ſeien vertragsmäßig verpflichtet, nach dem Maße ihrer Machtmittel zu- ſammenzuwirken, und ließ in Berlin anfragen, was demnach Preußen für die gemeinſame Sache zu thun gedenke. ***) Neſſelrode ſagte dem preußi- ſchen Geſandten Liebermann, der ihm im Stillen nicht Unrecht geben konnte, hoch entrüſtet: das ſei doch unerhört, daß Frankreichs zunächſt bedrohter Nachbarſtaat, nachdem er ſich dem Vierbunde angeſchloſſen, noch neutral bleiben wolle; und der Czar warnte freundſchaftlich, ſolche Vor- behalte erregten in England Geringſchätzung. †) Selbſt Metternich konnte nicht umhin, im Auguſt bei der Pillnitzer Zuſammenkunft dem Könige vorzuſtellen: eine förmliche Erklärung der Neutralität erwecke das Miß- trauen Englands, „das wir ſoeben zu unſerem Banner bekehrt haben“; Thiers aber würde darin ein Zeichen der Schwäche des Vierbundes ſehen. ††) So geſchah es auch; denn kaum hatte der franzöſiſche Mi- niſter etwas erfahren, ſo ſagte er erleichtert: alſo nicht ein Vierbund, nur ein Dreibund ſteht uns gegenüber! †††) Mehrere Wochen hindurch währten dieſe geheimen Verhandlungen; ſie erweckten bei allen Höfen den Eindruck, daß Preußens Diplomatie unter dem beſcheidenen alten Regi- ment doch weit verſtändiger und feſter geleitet worden war als unter dem prunkhaften neuen. Endlich ward ein Vermittlungsantrag Metternich’s angenommen und am 14. Auguſt von den vier Mächten ein geheimes Protokoll unterzeichnet, kraft deſſen Preußen ſich für den Fall eines Krieges „vollkommene Freiheit des Handelns und namentlich das Recht der ſtreng- ſten Neutralität“ vorbehielt. *†) Nun erſt ratificirte Preußen den Vertrag. *) Werther, Weiſung an Maltzan, 24. Juli 1840. **) Werther’s Bericht an den König, 22. Juli; Weiſung an Bülow, 4. Aug. 1840. ***) Werther’s Bericht an den König, 28. Juli 1840. †) Liebermann’s Berichte, 26. 29. Sept. 1840. ††) König Friedrich Wilhelm an Werther, Pillnitz 12. Aug. 1840. †††) Maltzan’s Bericht, 26. Aug. 1840. *†) Geheimes Protokoll der vier Mächte, London 14. Aug.; nebſt Briefen von Pal- merſton, Neumann, Brunnow an Bülow, 14. Aug. 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/93>, abgerufen am 29.04.2024.