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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822.

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lernen artikulirte Töne nachsprechen. Allein
immer bleibt die Zahl der Worte, die für sie
Bedeutung erhalten, oder die sie nachzuahmen
fähig sind, sehr gering. Möglich und selbst
wahrscheinlich ist es indess, dass es Töne giebt,
wofür nicht unsere Hörwerkzeuge, wohl aber
die einiger Thiere Empfänglichkeit besitzen,
und die Wirkung solcher Töne auf sie kann
sie zu Handlungen veranlassen, deren Grund
für uns verborgen ist. Bey allen den chemi-
schen und physischen Veränderungen, die un-
aufhörlich in jeder Materie vor sich gehen,
finden ohne Zweifel auch schwingende Bewe-
gungen statt. Diese sind viel zu schwach für
unser Ohr. Es lässt sich aber die Möglichkeit
denken, dass es weit schärfere Hörwerkzeuge
als die unsrigen gäbe, welche dieselben wahr-
zunehmen vermöchten. Einem Wesen, das ein
so feines Gehör besässe, würde jeder Gegen-
stand erklingen, und dieser Sinn würde ihm
die Stelle des Gesichts ersetzen können. Ein
solcher Ersatz würde sich bey geblendeten
Fledermäusen annehmen lassen, die sich, nach
Spallanzani's bekannten Versuchen o), eben
so benehmen, als hätten sie noch den Gebrauch

der
o) In dessen Lettere sopra il sospetto d' un nuovo
senso nei Pipistrelli 1794. Gren's Journal der Physik.
B. 1. S. 399.
VI. Bd. Y

lernen artikulirte Töne nachsprechen. Allein
immer bleibt die Zahl der Worte, die für sie
Bedeutung erhalten, oder die sie nachzuahmen
fähig sind, sehr gering. Möglich und selbst
wahrscheinlich ist es indeſs, daſs es Töne giebt,
wofür nicht unsere Hörwerkzeuge, wohl aber
die einiger Thiere Empfänglichkeit besitzen,
und die Wirkung solcher Töne auf sie kann
sie zu Handlungen veranlassen, deren Grund
für uns verborgen ist. Bey allen den chemi-
schen und physischen Veränderungen, die un-
aufhörlich in jeder Materie vor sich gehen,
finden ohne Zweifel auch schwingende Bewe-
gungen statt. Diese sind viel zu schwach für
unser Ohr. Es läſst sich aber die Möglichkeit
denken, daſs es weit schärfere Hörwerkzeuge
als die unsrigen gäbe, welche dieselben wahr-
zunehmen vermöchten. Einem Wesen, das ein
so feines Gehör besäſse, würde jeder Gegen-
stand erklingen, und dieser Sinn würde ihm
die Stelle des Gesichts ersetzen können. Ein
solcher Ersatz würde sich bey geblendeten
Fledermäusen annehmen lassen, die sich, nach
Spallanzani’s bekannten Versuchen o), eben
so benehmen, als hätten sie noch den Gebrauch

der
o) In dessen Lettere sopra il sospetto d’ un nuovo
senso nei Pipistrelli 1794. Gren’s Journal der Physik.
B. 1. S. 399.
VI. Bd. Y
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[331/0349] lernen artikulirte Töne nachsprechen. Allein immer bleibt die Zahl der Worte, die für sie Bedeutung erhalten, oder die sie nachzuahmen fähig sind, sehr gering. Möglich und selbst wahrscheinlich ist es indeſs, daſs es Töne giebt, wofür nicht unsere Hörwerkzeuge, wohl aber die einiger Thiere Empfänglichkeit besitzen, und die Wirkung solcher Töne auf sie kann sie zu Handlungen veranlassen, deren Grund für uns verborgen ist. Bey allen den chemi- schen und physischen Veränderungen, die un- aufhörlich in jeder Materie vor sich gehen, finden ohne Zweifel auch schwingende Bewe- gungen statt. Diese sind viel zu schwach für unser Ohr. Es läſst sich aber die Möglichkeit denken, daſs es weit schärfere Hörwerkzeuge als die unsrigen gäbe, welche dieselben wahr- zunehmen vermöchten. Einem Wesen, das ein so feines Gehör besäſse, würde jeder Gegen- stand erklingen, und dieser Sinn würde ihm die Stelle des Gesichts ersetzen können. Ein solcher Ersatz würde sich bey geblendeten Fledermäusen annehmen lassen, die sich, nach Spallanzani’s bekannten Versuchen o), eben so benehmen, als hätten sie noch den Gebrauch der o) In dessen Lettere sopra il sospetto d’ un nuovo senso nei Pipistrelli 1794. Gren’s Journal der Physik. B. 1. S. 399. VI. Bd. Y

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/349>, abgerufen am 17.06.2024.