Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sich dem Walde zu bewegte, so schlossen sie das Väterchen in ihr Gebet und ersuchten die heilige Anna, den Schlitten des Reisenden vor Versinken in den Schneetriften und vor Irrefahren zu bewahren.

Es war in einer solchen dunkeln und stürmischen Nacht, als in der sogenannten Speisekammer des Klosters, einer kleinen, räucherigen und baufälligen Halle, die einen Theil des Erdgeschosses einnahm und zur Aufbewahrung einiger noch im Rohen befindlichen Speisevorräthe diente, drei Nonnen noch spät beisammensaßen. Zwei derselben saßen auf einer Holzbank dem Feuer des Ofens gegenüber, die dritte hatte sich an die schwarze glasirte Wand desselben gelehnt und schien in Schlummer gesunken. Die beiden vor der Flamme Sitzenden waren liebliche, graziöse Gestalten; man hätte sie für Schwestern halten können, ein solches gleichförmiges Ebenmaß war den feinen, zarten Gesichtern aufgedrückt, derselbe Zug von Jungfräulichkeit und Sanftmuth verschönte die wohlgeformten Züge, dieselbe feine und durchscheinende Röthe färbte die Wangen dieser kaum dem Kindesalter entwachsenen lieblichen Mädchen. Noch erkannte man, näher hinblickend, in dem Ausdruck der Einen eine höhere Reife, eine ausgeprägtere Form, es trug dieses Antlitz schon eine Geschichte zur Schau; es waren Leiden und Freuden auf den Blättern dieser weißen jungfräulichen Rose verzeichnet, ein leichter und flüchtiger Schatten war über den Spiegel dieser schönen Stirn schon hingeglitten, während aus dem klaren Auge der Schwester die volle

sich dem Walde zu bewegte, so schlossen sie das Väterchen in ihr Gebet und ersuchten die heilige Anna, den Schlitten des Reisenden vor Versinken in den Schneetriften und vor Irrefahren zu bewahren.

Es war in einer solchen dunkeln und stürmischen Nacht, als in der sogenannten Speisekammer des Klosters, einer kleinen, räucherigen und baufälligen Halle, die einen Theil des Erdgeschosses einnahm und zur Aufbewahrung einiger noch im Rohen befindlichen Speisevorräthe diente, drei Nonnen noch spät beisammensaßen. Zwei derselben saßen auf einer Holzbank dem Feuer des Ofens gegenüber, die dritte hatte sich an die schwarze glasirte Wand desselben gelehnt und schien in Schlummer gesunken. Die beiden vor der Flamme Sitzenden waren liebliche, graziöse Gestalten; man hätte sie für Schwestern halten können, ein solches gleichförmiges Ebenmaß war den feinen, zarten Gesichtern aufgedrückt, derselbe Zug von Jungfräulichkeit und Sanftmuth verschönte die wohlgeformten Züge, dieselbe feine und durchscheinende Röthe färbte die Wangen dieser kaum dem Kindesalter entwachsenen lieblichen Mädchen. Noch erkannte man, näher hinblickend, in dem Ausdruck der Einen eine höhere Reife, eine ausgeprägtere Form, es trug dieses Antlitz schon eine Geschichte zur Schau; es waren Leiden und Freuden auf den Blättern dieser weißen jungfräulichen Rose verzeichnet, ein leichter und flüchtiger Schatten war über den Spiegel dieser schönen Stirn schon hingeglitten, während aus dem klaren Auge der Schwester die volle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017"/>
sich dem Walde zu bewegte, so                schlossen sie das Väterchen in ihr Gebet und ersuchten die heilige Anna, den                Schlitten des Reisenden vor Versinken in den Schneetriften und vor Irrefahren zu                bewahren.</p><lb/>
        <p>Es war in einer solchen dunkeln und stürmischen Nacht, als in der sogenannten                Speisekammer des Klosters, einer kleinen, räucherigen und baufälligen Halle, die                einen Theil des Erdgeschosses einnahm und zur Aufbewahrung einiger noch im Rohen                befindlichen Speisevorräthe diente, drei Nonnen noch spät beisammensaßen. Zwei                derselben saßen auf einer Holzbank dem Feuer des Ofens gegenüber, die dritte hatte                sich an die schwarze glasirte Wand desselben gelehnt und schien in Schlummer                gesunken. Die beiden vor der Flamme Sitzenden waren liebliche, graziöse Gestalten;                man hätte sie für Schwestern halten können, ein solches gleichförmiges Ebenmaß war                den feinen, zarten Gesichtern aufgedrückt, derselbe Zug von Jungfräulichkeit und                Sanftmuth verschönte die wohlgeformten Züge, dieselbe feine und durchscheinende Röthe                färbte die Wangen dieser kaum dem Kindesalter entwachsenen lieblichen Mädchen. Noch                erkannte man, näher hinblickend, in dem Ausdruck der Einen eine höhere Reife, eine                ausgeprägtere Form, es trug dieses Antlitz schon eine Geschichte zur Schau; es waren                Leiden und Freuden auf den Blättern dieser weißen jungfräulichen Rose verzeichnet,                ein leichter und flüchtiger Schatten war über den Spiegel dieser schönen Stirn schon                hingeglitten, während aus dem klaren Auge der Schwester die volle<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] sich dem Walde zu bewegte, so schlossen sie das Väterchen in ihr Gebet und ersuchten die heilige Anna, den Schlitten des Reisenden vor Versinken in den Schneetriften und vor Irrefahren zu bewahren. Es war in einer solchen dunkeln und stürmischen Nacht, als in der sogenannten Speisekammer des Klosters, einer kleinen, räucherigen und baufälligen Halle, die einen Theil des Erdgeschosses einnahm und zur Aufbewahrung einiger noch im Rohen befindlichen Speisevorräthe diente, drei Nonnen noch spät beisammensaßen. Zwei derselben saßen auf einer Holzbank dem Feuer des Ofens gegenüber, die dritte hatte sich an die schwarze glasirte Wand desselben gelehnt und schien in Schlummer gesunken. Die beiden vor der Flamme Sitzenden waren liebliche, graziöse Gestalten; man hätte sie für Schwestern halten können, ein solches gleichförmiges Ebenmaß war den feinen, zarten Gesichtern aufgedrückt, derselbe Zug von Jungfräulichkeit und Sanftmuth verschönte die wohlgeformten Züge, dieselbe feine und durchscheinende Röthe färbte die Wangen dieser kaum dem Kindesalter entwachsenen lieblichen Mädchen. Noch erkannte man, näher hinblickend, in dem Ausdruck der Einen eine höhere Reife, eine ausgeprägtere Form, es trug dieses Antlitz schon eine Geschichte zur Schau; es waren Leiden und Freuden auf den Blättern dieser weißen jungfräulichen Rose verzeichnet, ein leichter und flüchtiger Schatten war über den Spiegel dieser schönen Stirn schon hingeglitten, während aus dem klaren Auge der Schwester die volle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/17
Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/17>, abgerufen am 28.04.2024.