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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
bey ihnen rege machet, u. s. w. Zu solchen Zeiten müssen
sogar gewisse äußere Empfindungen dem Thiere zu sinnli-
chen Reizungen werden, die es entweder sonst nicht, oder
die wohl gar sonst die gegentheiligen sind, z. E. daß ein
Anblick, ein Geruch der Geschlechtstheile, der sonst den
Sinnen entweder gleichgültig, oder gar unangenehm und
eckelhaft ist, ihnen zur sinnlichen Reizung der stärksten
Wollust der Sinne gereichen muß. Zu den Zeiten, da die
thierischen Triebe, nach der Absicht der Natur, regelmäßig
in Wirkung gesetzet sind, findet man auch immer die Ge-
legenheiten, sie zu befriedigen, vorläufig so angeleget, daß
die Befriedigung nicht leicht fehlschlagen kann. So erwa-
chet z. E. der Hunger bey Thieren, die im Winter schla-
fen, nicht eher wieder, als bis sie in den Feldern ihre Nah-
rung wiederfinden können; so wird der Trieb zur Begat-
tung bey den Männchen, der Natur nach, nicht eher re-
gelmäßig wieder rege, als bis die Weibchen brünstig sind;
so wirket der Trieb der Selbstvertheidigung, nach welchen
die Thiere die Ursachen ihres Unterganges bestreiten oder
fliehen, wenn sie sich gegen den Winter fett mästen, um
ihn durchzuhungern, wenn sie sich vor der Kälte verkrie-
chen, oder in wärmere Gegenden ziehen, nicht eher noch
später bey ihnen, als da sie noch Gelegenheit haben, ihn zu
befriedigen, sich zu mästen, zu verkriechen, zu verreisen;
und so wird der Trieb für die Jungen in den Aeltern erst
in der Brütezeit rege, und währet nicht länger, als bis die
Erhaltung derselben gesichert ist. u. s. w. Wenn endlich
die einmal erregten natürlichen Triebe auf ihre Befriedi-
gung arbeiten, so wird es schwerlich möglich seyn, sie durch
psychologische oder physiologische Hindernisse, die man zu
ihrer Entkräftung, ohne sie zu befriedigen, anwenden
möchte, zu endigen, wie man wohl andre Begierden, Ver-
abscheuungen, ja die Leidenschaften selbst entkräften kann.
Ein Hungriger, ein Verliebter, ein Rachgieriger, lassen
sich schwerlich durch irgend ein Kunststück beruhigen, son-
dern die Befriedigung ihres Triebes, die Sättigung des

Magens,

I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
bey ihnen rege machet, u. ſ. w. Zu ſolchen Zeiten muͤſſen
ſogar gewiſſe aͤußere Empfindungen dem Thiere zu ſinnli-
chen Reizungen werden, die es entweder ſonſt nicht, oder
die wohl gar ſonſt die gegentheiligen ſind, z. E. daß ein
Anblick, ein Geruch der Geſchlechtstheile, der ſonſt den
Sinnen entweder gleichguͤltig, oder gar unangenehm und
eckelhaft iſt, ihnen zur ſinnlichen Reizung der ſtaͤrkſten
Wolluſt der Sinne gereichen muß. Zu den Zeiten, da die
thieriſchen Triebe, nach der Abſicht der Natur, regelmaͤßig
in Wirkung geſetzet ſind, findet man auch immer die Ge-
legenheiten, ſie zu befriedigen, vorlaͤufig ſo angeleget, daß
die Befriedigung nicht leicht fehlſchlagen kann. So erwa-
chet z. E. der Hunger bey Thieren, die im Winter ſchla-
fen, nicht eher wieder, als bis ſie in den Feldern ihre Nah-
rung wiederfinden koͤnnen; ſo wird der Trieb zur Begat-
tung bey den Maͤnnchen, der Natur nach, nicht eher re-
gelmaͤßig wieder rege, als bis die Weibchen bruͤnſtig ſind;
ſo wirket der Trieb der Selbſtvertheidigung, nach welchen
die Thiere die Urſachen ihres Unterganges beſtreiten oder
fliehen, wenn ſie ſich gegen den Winter fett maͤſten, um
ihn durchzuhungern, wenn ſie ſich vor der Kaͤlte verkrie-
chen, oder in waͤrmere Gegenden ziehen, nicht eher noch
ſpaͤter bey ihnen, als da ſie noch Gelegenheit haben, ihn zu
befriedigen, ſich zu maͤſten, zu verkriechen, zu verreiſen;
und ſo wird der Trieb fuͤr die Jungen in den Aeltern erſt
in der Bruͤtezeit rege, und waͤhret nicht laͤnger, als bis die
Erhaltung derſelben geſichert iſt. u. ſ. w. Wenn endlich
die einmal erregten natuͤrlichen Triebe auf ihre Befriedi-
gung arbeiten, ſo wird es ſchwerlich moͤglich ſeyn, ſie durch
pſychologiſche oder phyſiologiſche Hinderniſſe, die man zu
ihrer Entkraͤftung, ohne ſie zu befriedigen, anwenden
moͤchte, zu endigen, wie man wohl andre Begierden, Ver-
abſcheuungen, ja die Leidenſchaften ſelbſt entkraͤften kann.
Ein Hungriger, ein Verliebter, ein Rachgieriger, laſſen
ſich ſchwerlich durch irgend ein Kunſtſtuͤck beruhigen, ſon-
dern die Befriedigung ihres Triebes, die Saͤttigung des

Magens,
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[244/0268] I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan. bey ihnen rege machet, u. ſ. w. Zu ſolchen Zeiten muͤſſen ſogar gewiſſe aͤußere Empfindungen dem Thiere zu ſinnli- chen Reizungen werden, die es entweder ſonſt nicht, oder die wohl gar ſonſt die gegentheiligen ſind, z. E. daß ein Anblick, ein Geruch der Geſchlechtstheile, der ſonſt den Sinnen entweder gleichguͤltig, oder gar unangenehm und eckelhaft iſt, ihnen zur ſinnlichen Reizung der ſtaͤrkſten Wolluſt der Sinne gereichen muß. Zu den Zeiten, da die thieriſchen Triebe, nach der Abſicht der Natur, regelmaͤßig in Wirkung geſetzet ſind, findet man auch immer die Ge- legenheiten, ſie zu befriedigen, vorlaͤufig ſo angeleget, daß die Befriedigung nicht leicht fehlſchlagen kann. So erwa- chet z. E. der Hunger bey Thieren, die im Winter ſchla- fen, nicht eher wieder, als bis ſie in den Feldern ihre Nah- rung wiederfinden koͤnnen; ſo wird der Trieb zur Begat- tung bey den Maͤnnchen, der Natur nach, nicht eher re- gelmaͤßig wieder rege, als bis die Weibchen bruͤnſtig ſind; ſo wirket der Trieb der Selbſtvertheidigung, nach welchen die Thiere die Urſachen ihres Unterganges beſtreiten oder fliehen, wenn ſie ſich gegen den Winter fett maͤſten, um ihn durchzuhungern, wenn ſie ſich vor der Kaͤlte verkrie- chen, oder in waͤrmere Gegenden ziehen, nicht eher noch ſpaͤter bey ihnen, als da ſie noch Gelegenheit haben, ihn zu befriedigen, ſich zu maͤſten, zu verkriechen, zu verreiſen; und ſo wird der Trieb fuͤr die Jungen in den Aeltern erſt in der Bruͤtezeit rege, und waͤhret nicht laͤnger, als bis die Erhaltung derſelben geſichert iſt. u. ſ. w. Wenn endlich die einmal erregten natuͤrlichen Triebe auf ihre Befriedi- gung arbeiten, ſo wird es ſchwerlich moͤglich ſeyn, ſie durch pſychologiſche oder phyſiologiſche Hinderniſſe, die man zu ihrer Entkraͤftung, ohne ſie zu befriedigen, anwenden moͤchte, zu endigen, wie man wohl andre Begierden, Ver- abſcheuungen, ja die Leidenſchaften ſelbſt entkraͤften kann. Ein Hungriger, ein Verliebter, ein Rachgieriger, laſſen ſich ſchwerlich durch irgend ein Kunſtſtuͤck beruhigen, ſon- dern die Befriedigung ihres Triebes, die Saͤttigung des Magens,

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/268>, abgerufen am 28.04.2024.