Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Briefe.
wieder weg zu seinen Pferden, ohne weiter zu lesen, ohne
was zu sagen. Nun! rief sein Herr ihm zu; was ists?
was giebts neues, Hanns? Nichts! - - Wie? nichts? - -
Nein! nichts! es ist eine alte Historie von Jerusalem! ant-
wortete der Kutscher frostig, und fuhr immer seiner We-
ge. Doch ich habe Jhnen etwas erzehlen wollen; ich ha-
be es versprochen? Aber - - Sie werden meine Erzehlung
dießmal nicht bekommen. Jch bin durch die gemachten
Einwürfe ganz ausser meiner Fassung gekommen. Als ein
anderer Fontaine,

Der ehmals Hymens Heimlichkeiten
Und ieden losen Streich, den Amor ihm gespielt,
Jn seine scherzgewohnten Saiten
So reizend sang, daß wer nur menschlich fühlt,
Nach Hymens Freuden diebisch schielt;

wollte ich Jhnen erzehlen, wie der vorgedachte Athenien-
ser die Gewohnheit gehabt, sein artiges Weibchen auf
spartanisch zu lieben; und durch unbehutsame Entde-
ckung dieses Geheimnisses einen lüsternen Freund veran-
lasset habe, ihn mittelst dieser Mummerey zum Hahnrey
zu machen. Denn es ist ein allzugroßes Künsteln, wie
in allen Sachen, also insonderheit im Ehestande gefähr-
lich; und man handelt als ein Thor, wenn man die la-
chende Anmuth des Frühlings dem fruchtbarn Herbst ge-
ben zu wollen, sich einfallen läßt. Mit wie vielem Ver-
gnügen würde ich mit Jhnen über diese und tausend an-
dere Dinge plaudern, wenn ich Jhrer gütigen Einladung
mich gebrauchen und Sie besuchen könnte! Aber das hie-
sige Commissions-Geschäft ist geendiget; und ich werde
zu Haus erwartet. Morgen reise ich von hier ab. Jch
verharre etc.

An

Briefe.
wieder weg zu ſeinen Pferden, ohne weiter zu leſen, ohne
was zu ſagen. Nun! rief ſein Herr ihm zu; was iſts?
was giebts neues, Hanns? Nichts! ‒ ‒ Wie? nichts? ‒ ‒
Nein! nichts! es iſt eine alte Hiſtorie von Jeruſalem! ant-
wortete der Kutſcher froſtig, und fuhr immer ſeiner We-
ge. Doch ich habe Jhnen etwas erzehlen wollen; ich ha-
be es verſprochen? Aber ‒ ‒ Sie werden meine Erzehlung
dießmal nicht bekommen. Jch bin durch die gemachten
Einwuͤrfe ganz auſſer meiner Faſſung gekommen. Als ein
anderer Fontaine,

Der ehmals Hymens Heimlichkeiten
Und ieden loſen Streich, den Amor ihm geſpielt,
Jn ſeine ſcherzgewohnten Saiten
So reizend ſang, daß wer nur menſchlich fuͤhlt,
Nach Hymens Freuden diebiſch ſchielt;

wollte ich Jhnen erzehlen, wie der vorgedachte Athenien-
ſer die Gewohnheit gehabt, ſein artiges Weibchen auf
ſpartaniſch zu lieben; und durch unbehutſame Entde-
ckung dieſes Geheimniſſes einen luͤſternen Freund veran-
laſſet habe, ihn mittelſt dieſer Mummerey zum Hahnrey
zu machen. Denn es iſt ein allzugroßes Kuͤnſteln, wie
in allen Sachen, alſo inſonderheit im Eheſtande gefaͤhr-
lich; und man handelt als ein Thor, wenn man die la-
chende Anmuth des Fruͤhlings dem fruchtbarn Herbſt ge-
ben zu wollen, ſich einfallen laͤßt. Mit wie vielem Ver-
gnuͤgen wuͤrde ich mit Jhnen uͤber dieſe und tauſend an-
dere Dinge plaudern, wenn ich Jhrer guͤtigen Einladung
mich gebrauchen und Sie beſuchen koͤnnte! Aber das hie-
ſige Commiſſions-Geſchaͤft iſt geendiget; und ich werde
zu Haus erwartet. Morgen reiſe ich von hier ab. Jch
verharre ꝛc.

An
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0242" n="228"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Briefe.</hi></fw><lb/>
wieder weg zu &#x017F;einen Pferden, ohne weiter zu le&#x017F;en, ohne<lb/>
was zu &#x017F;agen. Nun! rief &#x017F;ein Herr ihm zu; was i&#x017F;ts?<lb/>
was giebts neues, Hanns? Nichts! &#x2012; &#x2012; Wie? nichts? &#x2012; &#x2012;<lb/>
Nein! nichts! es i&#x017F;t eine alte Hi&#x017F;torie von Jeru&#x017F;alem! ant-<lb/>
wortete der Kut&#x017F;cher fro&#x017F;tig, und fuhr immer &#x017F;einer We-<lb/>
ge. Doch ich habe Jhnen etwas erzehlen wollen; ich ha-<lb/>
be es ver&#x017F;prochen? Aber &#x2012; &#x2012; Sie werden meine Erzehlung<lb/>
dießmal nicht bekommen. Jch bin durch die gemachten<lb/>
Einwu&#x0364;rfe ganz au&#x017F;&#x017F;er meiner Fa&#x017F;&#x017F;ung gekommen. Als ein<lb/>
anderer Fontaine,</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Der ehmals Hymens Heimlichkeiten</l><lb/>
            <l>Und ieden lo&#x017F;en Streich, den Amor ihm ge&#x017F;pielt,</l><lb/>
            <l>Jn &#x017F;eine &#x017F;cherzgewohnten Saiten</l><lb/>
            <l>So reizend &#x017F;ang, daß wer nur men&#x017F;chlich fu&#x0364;hlt,</l><lb/>
            <l>Nach Hymens Freuden diebi&#x017F;ch &#x017F;chielt;</l>
          </lg><lb/>
          <p>wollte ich Jhnen erzehlen, wie der vorgedachte Athenien-<lb/>
&#x017F;er die Gewohnheit gehabt, &#x017F;ein artiges Weibchen auf<lb/>
&#x017F;partani&#x017F;ch zu lieben; und durch unbehut&#x017F;ame Entde-<lb/>
ckung die&#x017F;es Geheimni&#x017F;&#x017F;es einen lu&#x0364;&#x017F;ternen Freund veran-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;et habe, ihn mittel&#x017F;t die&#x017F;er Mummerey zum Hahnrey<lb/>
zu machen. Denn es i&#x017F;t ein allzugroßes Ku&#x0364;n&#x017F;teln, wie<lb/>
in allen Sachen, al&#x017F;o in&#x017F;onderheit im Ehe&#x017F;tande gefa&#x0364;hr-<lb/>
lich; und man handelt als ein Thor, wenn man die la-<lb/>
chende Anmuth des Fru&#x0364;hlings dem fruchtbarn Herb&#x017F;t ge-<lb/>
ben zu wollen, &#x017F;ich einfallen la&#x0364;ßt. Mit wie vielem Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen wu&#x0364;rde ich mit Jhnen u&#x0364;ber die&#x017F;e und tau&#x017F;end an-<lb/>
dere Dinge plaudern, wenn ich Jhrer gu&#x0364;tigen Einladung<lb/>
mich gebrauchen und Sie be&#x017F;uchen ko&#x0364;nnte! Aber das hie-<lb/>
&#x017F;ige Commi&#x017F;&#x017F;ions-Ge&#x017F;cha&#x0364;ft i&#x017F;t geendiget; und ich werde<lb/>
zu Haus erwartet. Morgen rei&#x017F;e ich von hier ab. Jch<lb/>
verharre &#xA75B;c.</p>
          <dateline>Ro&#x0364;mhild 1753.</dateline>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">An</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0242] Briefe. wieder weg zu ſeinen Pferden, ohne weiter zu leſen, ohne was zu ſagen. Nun! rief ſein Herr ihm zu; was iſts? was giebts neues, Hanns? Nichts! ‒ ‒ Wie? nichts? ‒ ‒ Nein! nichts! es iſt eine alte Hiſtorie von Jeruſalem! ant- wortete der Kutſcher froſtig, und fuhr immer ſeiner We- ge. Doch ich habe Jhnen etwas erzehlen wollen; ich ha- be es verſprochen? Aber ‒ ‒ Sie werden meine Erzehlung dießmal nicht bekommen. Jch bin durch die gemachten Einwuͤrfe ganz auſſer meiner Faſſung gekommen. Als ein anderer Fontaine, Der ehmals Hymens Heimlichkeiten Und ieden loſen Streich, den Amor ihm geſpielt, Jn ſeine ſcherzgewohnten Saiten So reizend ſang, daß wer nur menſchlich fuͤhlt, Nach Hymens Freuden diebiſch ſchielt; wollte ich Jhnen erzehlen, wie der vorgedachte Athenien- ſer die Gewohnheit gehabt, ſein artiges Weibchen auf ſpartaniſch zu lieben; und durch unbehutſame Entde- ckung dieſes Geheimniſſes einen luͤſternen Freund veran- laſſet habe, ihn mittelſt dieſer Mummerey zum Hahnrey zu machen. Denn es iſt ein allzugroßes Kuͤnſteln, wie in allen Sachen, alſo inſonderheit im Eheſtande gefaͤhr- lich; und man handelt als ein Thor, wenn man die la- chende Anmuth des Fruͤhlings dem fruchtbarn Herbſt ge- ben zu wollen, ſich einfallen laͤßt. Mit wie vielem Ver- gnuͤgen wuͤrde ich mit Jhnen uͤber dieſe und tauſend an- dere Dinge plaudern, wenn ich Jhrer guͤtigen Einladung mich gebrauchen und Sie beſuchen koͤnnte! Aber das hie- ſige Commiſſions-Geſchaͤft iſt geendiget; und ich werde zu Haus erwartet. Morgen reiſe ich von hier ab. Jch verharre ꝛc. Roͤmhild 1753. An

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/242
Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/242>, abgerufen am 15.05.2024.