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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Die Wolff'schen Körper.
und sich dann in zwei gesonderte Organe spalte, oder ob sie von
einer Urmasse jederseits ausgehe und so beide von Anfang an ge-
trennt und geschieden werden. 1. Bei den Vögeln hatte Rathke
ihre ursprüngliche Einfachheit behauptet, v. Bär und Joh. Müller
dagegen bezweifelt. Zu einem sicheren und über allen Zweifel
erhobnen Resultate zu gelangen, wollte mir bis jetzt noch nicht
gelingen. Ich glaube aber durch eine nicht geringe Zahl feiner,
von mir gemachter und unter dem Plösslschen Instrumente mög-
lichst genau untersuchter Querdurchschnitte von in kohlensaue-
rem Kali erhärteten Hühnerembryonen vom dritten bis zum sechs-
ten Tage mich mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit
überzeugt zu haben, dass das Verhältniss folgendes sey. Zu jeder
Seite des Ursprunges des unteren inneren Centralrohres, d. h.
dicht neben der der Bauchseite hinzugekehrten Oberfläche der
Wirbelsäule, geht (von dem serösen Blatte also) eine Massenpro-
duction aus. Der Antheil des serösen Blattes ist daher bestimmt
von Anfang an zweifach. Nicht so der des Gefässblattes; denn
dieses wird in der Mittellinie nicht bloss zur Bildung der Aorte
verwandt, sondern es bleibt von ihr ausserdem noch ein Theil
übrig, welcher wahrscheinlich in die Bildung der Wolff'schen
Körper eingeht. Die Trennung schreitet aber hier von der Bauch-
nach der Rückenseite vor sich. Es ist daher gar nichts Seltenes,
aus dem dritten oder vierten Tage (denn gerade in dieser frühen
Zeit variirt die Entwickelung am meisten, und jede Zeitangabe
muss um so ungewisser und willkührlicher sein, je jünger der
Embryo ist) Durchschnitte zu erhalten, in welchen das untere in-
nere, noch durchaus nicht vollkommen geschlossene Centralrohr
folgendes Aussehen darbietet: Unterhalb der Rückensaite liegt
in der Mittellinie eine Partie des serösen Blattes, die künftige
der Bauchfläche zugekehrte Abtheilung der Wirbelsäule, zum
Theil den Wirbelkörpern entsprechend. Von dieser geht jeder-
seits eine Leiste aus, welche beide sich aber an der vorderen
Fläche noch nicht erreichen. Es sind dieses die Bauchplatten,
die sich aber schon zu ihrer Umschlagung in das wahre Am-
nion anschicken. An der gegen den Rücken gekehrten inneren
Oberfläche der beiden Bauchplatten sieht man eine mit ihnen ver-
schmolzene Masse, welche sich nach allen Charakteren als zu
dem serösen Blatte gehörig ausweist. Sie ist aber in der Mitte
geschieden, und zwar durch eine sich einlegende Produktion des

Die Wolff’schen Körper.
und sich dann in zwei gesonderte Organe spalte, oder ob sie von
einer Urmasse jederseits ausgehe und so beide von Anfang an ge-
trennt und geschieden werden. 1. Bei den Vögeln hatte Rathke
ihre ursprüngliche Einfachheit behauptet, v. Bär und Joh. Müller
dagegen bezweifelt. Zu einem sicheren und über allen Zweifel
erhobnen Resultate zu gelangen, wollte mir bis jetzt noch nicht
gelingen. Ich glaube aber durch eine nicht geringe Zahl feiner,
von mir gemachter und unter dem Plöſslschen Instrumente mög-
lichst genau untersuchter Querdurchschnitte von in kohlensaue-
rem Kali erhärteten Hühnerembryonen vom dritten bis zum sechs-
ten Tage mich mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit
überzeugt zu haben, daſs das Verhältniſs folgendes sey. Zu jeder
Seite des Ursprunges des unteren inneren Centralrohres, d. h.
dicht neben der der Bauchseite hinzugekehrten Oberfläche der
Wirbelsäule, geht (von dem serösen Blatte also) eine Massenpro-
duction aus. Der Antheil des serösen Blattes ist daher bestimmt
von Anfang an zweifach. Nicht so der des Gefäſsblattes; denn
dieses wird in der Mittellinie nicht bloſs zur Bildung der Aorte
verwandt, sondern es bleibt von ihr auſserdem noch ein Theil
übrig, welcher wahrscheinlich in die Bildung der Wolff’schen
Körper eingeht. Die Trennung schreitet aber hier von der Bauch-
nach der Rückenseite vor sich. Es ist daher gar nichts Seltenes,
aus dem dritten oder vierten Tage (denn gerade in dieser frühen
Zeit variirt die Entwickelung am meisten, und jede Zeitangabe
muſs um so ungewisser und willkührlicher sein, je jünger der
Embryo ist) Durchschnitte zu erhalten, in welchen das untere in-
nere, noch durchaus nicht vollkommen geschlossene Centralrohr
folgendes Aussehen darbietet: Unterhalb der Rückensaite liegt
in der Mittellinie eine Partie des serösen Blattes, die künftige
der Bauchfläche zugekehrte Abtheilung der Wirbelsäule, zum
Theil den Wirbelkörpern entsprechend. Von dieser geht jeder-
seits eine Leiste aus, welche beide sich aber an der vorderen
Fläche noch nicht erreichen. Es sind dieses die Bauchplatten,
die sich aber schon zu ihrer Umschlagung in das wahre Am-
nion anschicken. An der gegen den Rücken gekehrten inneren
Oberfläche der beiden Bauchplatten sieht man eine mit ihnen ver-
schmolzene Masse, welche sich nach allen Charakteren als zu
dem serösen Blatte gehörig ausweist. Sie ist aber in der Mitte
geschieden, und zwar durch eine sich einlegende Produktion des

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[377/0405] Die Wolff’schen Körper. und sich dann in zwei gesonderte Organe spalte, oder ob sie von einer Urmasse jederseits ausgehe und so beide von Anfang an ge- trennt und geschieden werden. 1. Bei den Vögeln hatte Rathke ihre ursprüngliche Einfachheit behauptet, v. Bär und Joh. Müller dagegen bezweifelt. Zu einem sicheren und über allen Zweifel erhobnen Resultate zu gelangen, wollte mir bis jetzt noch nicht gelingen. Ich glaube aber durch eine nicht geringe Zahl feiner, von mir gemachter und unter dem Plöſslschen Instrumente mög- lichst genau untersuchter Querdurchschnitte von in kohlensaue- rem Kali erhärteten Hühnerembryonen vom dritten bis zum sechs- ten Tage mich mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit überzeugt zu haben, daſs das Verhältniſs folgendes sey. Zu jeder Seite des Ursprunges des unteren inneren Centralrohres, d. h. dicht neben der der Bauchseite hinzugekehrten Oberfläche der Wirbelsäule, geht (von dem serösen Blatte also) eine Massenpro- duction aus. Der Antheil des serösen Blattes ist daher bestimmt von Anfang an zweifach. Nicht so der des Gefäſsblattes; denn dieses wird in der Mittellinie nicht bloſs zur Bildung der Aorte verwandt, sondern es bleibt von ihr auſserdem noch ein Theil übrig, welcher wahrscheinlich in die Bildung der Wolff’schen Körper eingeht. Die Trennung schreitet aber hier von der Bauch- nach der Rückenseite vor sich. Es ist daher gar nichts Seltenes, aus dem dritten oder vierten Tage (denn gerade in dieser frühen Zeit variirt die Entwickelung am meisten, und jede Zeitangabe muſs um so ungewisser und willkührlicher sein, je jünger der Embryo ist) Durchschnitte zu erhalten, in welchen das untere in- nere, noch durchaus nicht vollkommen geschlossene Centralrohr folgendes Aussehen darbietet: Unterhalb der Rückensaite liegt in der Mittellinie eine Partie des serösen Blattes, die künftige der Bauchfläche zugekehrte Abtheilung der Wirbelsäule, zum Theil den Wirbelkörpern entsprechend. Von dieser geht jeder- seits eine Leiste aus, welche beide sich aber an der vorderen Fläche noch nicht erreichen. Es sind dieses die Bauchplatten, die sich aber schon zu ihrer Umschlagung in das wahre Am- nion anschicken. An der gegen den Rücken gekehrten inneren Oberfläche der beiden Bauchplatten sieht man eine mit ihnen ver- schmolzene Masse, welche sich nach allen Charakteren als zu dem serösen Blatte gehörig ausweist. Sie ist aber in der Mitte geschieden, und zwar durch eine sich einlegende Produktion des

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/405>, abgerufen am 07.05.2024.