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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Von dem Embryo.
Kürze des ersten Kiemenbogens, welcher von dem Gesichtsende
des Oberkiefergerüstes um ein bedeutendes entfernt ist. Erst spä-
ter, wo der erste Kiemenbogen sich verlängert und verbreitert,
um den Unterkiefer zu bilden, entsteht eine geschlossene unmit-
telbar in die Rachenhöhle übergehende Mundhöhle. (Zur Erläu-
terung des Gesagten vergleiche z. B. die Abbildungen bei Rathke
in Nov. Act. Acad. N. C. Tom. XIV. I. tab. XVII. fig. 3. 4.)
Der Theil der Höhlung, in welchen die beiden Kiemenspalten
führen, ist Rachenhöhle. Es frägt sich nun aber, in welche Ka-
tegorie die hintere Abtheilung der Höhlung des sogenannten Hal-
ses zu stellen sey. In ihrem hintersten Theile liegt das Herz.
Sie ist also gewissermassen Brusthöhle zu nennen, denn bald hin-
ter dem Herzen liegt das vordere Ende der Wolff'schen Körper
und bald darauf das Rudiment der Leber, welche unfehlbar der
Unterleibshöhle angehören. Dass die oberen Extremitäten hinter
dem Herzen liegen, kann keinen Eintrag thun, weil auch die
analogen Theile der Fische an dem Vorderende des Unterleibes
angeheftet sind. -- Nun beginnt allmählig die Schliessung der
Kiemenspalten und die weitere Fortbildung der Kiemenbogen.
Der erste derselben vergrössert sich und wird zum Unterkiefer,
wie schon oben berichtet worden. Der zweite mit dem ersten
verwachsene Kiemenbogen verlängert sich besonders mit seinem äu-
sseren Theile nach hinten. v. Bär und Rathke haben wohl nicht ganz
richtig diese Verlängerung mit dem Kiemendeckel verglichen. Sie
verlängert sich immer mehr nach hinten und verwächst und über-
wächst zum Theil die hinteren Kiemenbogen, deren Kiemenspalten
sich durch Annäherung ihrer Wandungen unterdess schliessen. Da-
durch, dass der Kiemendeckel sich nach hinten, der von den bei-
den letzten Kiemenbogen kommende Theil sich auch verlängert,
das Herz selbst mehr nach hinten sich zurückzieht und ein Raum
für das gebildete und sich vergrössernde Lungensystem entwickelt,
entsteht der wahre, von der Brusthöhle geschiedene Hals der
Vögel und der Säugethiere. -- Man sieht aus dieser allgemeinen
Darstellung, dass zwar ein gewisser Kiementypus hier realisirt,
das Kiemengerüst der Embryonen aber nichts weniger, als ein
wahres Kiemengerüst der ausgebildeten Fische sey, denn so wie
die Gefässbogen ganz einfach sind (nur der erste schickt später,
wie schon oben S. 308. berichtet wurde, die Carotis ab), so sind die
Kiemenbogen selbst durchaus glatt und ohne Leistchen oder Blätt-

Von dem Embryo.
Kürze des ersten Kiemenbogens, welcher von dem Gesichtsende
des Oberkiefergerüstes um ein bedeutendes entfernt ist. Erst spä-
ter, wo der erste Kiemenbogen sich verlängert und verbreitert,
um den Unterkiefer zu bilden, entsteht eine geschlossene unmit-
telbar in die Rachenhöhle übergehende Mundhöhle. (Zur Erläu-
terung des Gesagten vergleiche z. B. die Abbildungen bei Rathke
in Nov. Act. Acad. N. C. Tom. XIV. I. tab. XVII. fig. 3. 4.)
Der Theil der Höhlung, in welchen die beiden Kiemenspalten
führen, ist Rachenhöhle. Es frägt sich nun aber, in welche Ka-
tegorie die hintere Abtheilung der Höhlung des sogenannten Hal-
ses zu stellen sey. In ihrem hintersten Theile liegt das Herz.
Sie ist also gewissermaſsen Brusthöhle zu nennen, denn bald hin-
ter dem Herzen liegt das vordere Ende der Wolff’schen Körper
und bald darauf das Rudiment der Leber, welche unfehlbar der
Unterleibshöhle angehören. Daſs die oberen Extremitäten hinter
dem Herzen liegen, kann keinen Eintrag thun, weil auch die
analogen Theile der Fische an dem Vorderende des Unterleibes
angeheftet sind. — Nun beginnt allmählig die Schlieſsung der
Kiemenspalten und die weitere Fortbildung der Kiemenbogen.
Der erste derselben vergröſsert sich und wird zum Unterkiefer,
wie schon oben berichtet worden. Der zweite mit dem ersten
verwachsene Kiemenbogen verlängert sich besonders mit seinem äu-
ſseren Theile nach hinten. v. Bär und Rathke haben wohl nicht ganz
richtig diese Verlängerung mit dem Kiemendeckel verglichen. Sie
verlängert sich immer mehr nach hinten und verwächst und über-
wächst zum Theil die hinteren Kiemenbogen, deren Kiemenspalten
sich durch Annäherung ihrer Wandungen unterdeſs schlieſsen. Da-
durch, daſs der Kiemendeckel sich nach hinten, der von den bei-
den letzten Kiemenbogen kommende Theil sich auch verlängert,
das Herz selbst mehr nach hinten sich zurückzieht und ein Raum
für das gebildete und sich vergröſsernde Lungensystem entwickelt,
entsteht der wahre, von der Brusthöhle geschiedene Hals der
Vögel und der Säugethiere. — Man sieht aus dieser allgemeinen
Darstellung, daſs zwar ein gewisser Kiementypus hier realisirt,
das Kiemengerüst der Embryonen aber nichts weniger, als ein
wahres Kiemengerüst der ausgebildeten Fische sey, denn so wie
die Gefäſsbogen ganz einfach sind (nur der erste schickt später,
wie schon oben S. 308. berichtet wurde, die Carotis ab), so sind die
Kiemenbogen selbst durchaus glatt und ohne Leistchen oder Blätt-

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[492/0520] Von dem Embryo. Kürze des ersten Kiemenbogens, welcher von dem Gesichtsende des Oberkiefergerüstes um ein bedeutendes entfernt ist. Erst spä- ter, wo der erste Kiemenbogen sich verlängert und verbreitert, um den Unterkiefer zu bilden, entsteht eine geschlossene unmit- telbar in die Rachenhöhle übergehende Mundhöhle. (Zur Erläu- terung des Gesagten vergleiche z. B. die Abbildungen bei Rathke in Nov. Act. Acad. N. C. Tom. XIV. I. tab. XVII. fig. 3. 4.) Der Theil der Höhlung, in welchen die beiden Kiemenspalten führen, ist Rachenhöhle. Es frägt sich nun aber, in welche Ka- tegorie die hintere Abtheilung der Höhlung des sogenannten Hal- ses zu stellen sey. In ihrem hintersten Theile liegt das Herz. Sie ist also gewissermaſsen Brusthöhle zu nennen, denn bald hin- ter dem Herzen liegt das vordere Ende der Wolff’schen Körper und bald darauf das Rudiment der Leber, welche unfehlbar der Unterleibshöhle angehören. Daſs die oberen Extremitäten hinter dem Herzen liegen, kann keinen Eintrag thun, weil auch die analogen Theile der Fische an dem Vorderende des Unterleibes angeheftet sind. — Nun beginnt allmählig die Schlieſsung der Kiemenspalten und die weitere Fortbildung der Kiemenbogen. Der erste derselben vergröſsert sich und wird zum Unterkiefer, wie schon oben berichtet worden. Der zweite mit dem ersten verwachsene Kiemenbogen verlängert sich besonders mit seinem äu- ſseren Theile nach hinten. v. Bär und Rathke haben wohl nicht ganz richtig diese Verlängerung mit dem Kiemendeckel verglichen. Sie verlängert sich immer mehr nach hinten und verwächst und über- wächst zum Theil die hinteren Kiemenbogen, deren Kiemenspalten sich durch Annäherung ihrer Wandungen unterdeſs schlieſsen. Da- durch, daſs der Kiemendeckel sich nach hinten, der von den bei- den letzten Kiemenbogen kommende Theil sich auch verlängert, das Herz selbst mehr nach hinten sich zurückzieht und ein Raum für das gebildete und sich vergröſsernde Lungensystem entwickelt, entsteht der wahre, von der Brusthöhle geschiedene Hals der Vögel und der Säugethiere. — Man sieht aus dieser allgemeinen Darstellung, daſs zwar ein gewisser Kiementypus hier realisirt, das Kiemengerüst der Embryonen aber nichts weniger, als ein wahres Kiemengerüst der ausgebildeten Fische sey, denn so wie die Gefäſsbogen ganz einfach sind (nur der erste schickt später, wie schon oben S. 308. berichtet wurde, die Carotis ab), so sind die Kiemenbogen selbst durchaus glatt und ohne Leistchen oder Blätt-

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/520>, abgerufen am 30.04.2024.