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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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die Tiefen der Kunst versenken; aber er war geboren
reich an Gesang, und hatte die wunderbarste Leichtigkeit,
für welche Worte man immer wollte, aus dem Steg¬
reif angenehmen und ausdruckvollen Gesang zu finden:
nur hätte ein wahrer Künstler seine Phrasen ordnen
und verbessern, und seine Partitionen setzen müssen.
Er war von Gesicht eben so gräulich als lustiglich hä߬
lich, sehr oft langweilig, weil sein Genie ihn selten
begeisterte; aber wenn seine Gluth ihm zu Gebote stand,
machte er lachen bis zu Thränen. Er lebte arm, da
er keinen Erwerb verfolgen konnte. Seine vollkommene
Armuth machte ihm in meinem Sinn Ehre. Er war
nicht ganz ohne Vermögen geboren, aber er hätte sei¬
nen Vater des Vermögens seiner Mutter berauben müs¬
sen, und er floh den Gedanken, den Urheber seines
Lebens, der wieder geheirathet und Kinder hatte, ins
Elend zu versetzen. Er hat bei mehreren andern Gele¬
genheiten Proben von der Güte seines Herzens gegeben.
Dieser seltsame Mensch lebte leidenschaftlich für den
Ruhm, den er doch in keinem Fache erlangen konnte.
Eines Tages dachte er Dichter zu werden, um zu ver¬
suchen auf diese Weise von sich sprechen zu machen. Er
verfertigte ein Gedicht auf sich selber, das er die Ra¬
meide nannte, und das er in allen Kaffehäusern her¬
umbrachte: aber kein Mensch ging es beim Drucker zu
holen. Ich machte ihm den Scherz eine zweite Rameede
abzufassen. Der Buchhändler verkaufte sie zu seinem

die Tiefen der Kunſt verſenken; aber er war geboren
reich an Geſang, und hatte die wunderbarſte Leichtigkeit,
fuͤr welche Worte man immer wollte, aus dem Steg¬
reif angenehmen und ausdruckvollen Geſang zu finden:
nur haͤtte ein wahrer Kuͤnſtler ſeine Phraſen ordnen
und verbeſſern, und ſeine Partitionen ſetzen muͤſſen.
Er war von Geſicht eben ſo graͤulich als luſtiglich haͤ߬
lich, ſehr oft langweilig, weil ſein Genie ihn ſelten
begeiſterte; aber wenn ſeine Gluth ihm zu Gebote ſtand,
machte er lachen bis zu Thraͤnen. Er lebte arm, da
er keinen Erwerb verfolgen konnte. Seine vollkommene
Armuth machte ihm in meinem Sinn Ehre. Er war
nicht ganz ohne Vermoͤgen geboren, aber er haͤtte ſei¬
nen Vater des Vermoͤgens ſeiner Mutter berauben muͤſ¬
ſen, und er floh den Gedanken, den Urheber ſeines
Lebens, der wieder geheirathet und Kinder hatte, ins
Elend zu verſetzen. Er hat bei mehreren andern Gele¬
genheiten Proben von der Guͤte ſeines Herzens gegeben.
Dieſer ſeltſame Menſch lebte leidenſchaftlich fuͤr den
Ruhm, den er doch in keinem Fache erlangen konnte.
Eines Tages dachte er Dichter zu werden, um zu ver¬
ſuchen auf dieſe Weiſe von ſich ſprechen zu machen. Er
verfertigte ein Gedicht auf ſich ſelber, das er die Ra¬
meïde nannte, und das er in allen Kaffehaͤuſern her¬
umbrachte: aber kein Menſch ging es beim Drucker zu
holen. Ich machte ihm den Scherz eine zweite Rameëde
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[434/0448] die Tiefen der Kunſt verſenken; aber er war geboren reich an Geſang, und hatte die wunderbarſte Leichtigkeit, fuͤr welche Worte man immer wollte, aus dem Steg¬ reif angenehmen und ausdruckvollen Geſang zu finden: nur haͤtte ein wahrer Kuͤnſtler ſeine Phraſen ordnen und verbeſſern, und ſeine Partitionen ſetzen muͤſſen. Er war von Geſicht eben ſo graͤulich als luſtiglich haͤ߬ lich, ſehr oft langweilig, weil ſein Genie ihn ſelten begeiſterte; aber wenn ſeine Gluth ihm zu Gebote ſtand, machte er lachen bis zu Thraͤnen. Er lebte arm, da er keinen Erwerb verfolgen konnte. Seine vollkommene Armuth machte ihm in meinem Sinn Ehre. Er war nicht ganz ohne Vermoͤgen geboren, aber er haͤtte ſei¬ nen Vater des Vermoͤgens ſeiner Mutter berauben muͤſ¬ ſen, und er floh den Gedanken, den Urheber ſeines Lebens, der wieder geheirathet und Kinder hatte, ins Elend zu verſetzen. Er hat bei mehreren andern Gele¬ genheiten Proben von der Guͤte ſeines Herzens gegeben. Dieſer ſeltſame Menſch lebte leidenſchaftlich fuͤr den Ruhm, den er doch in keinem Fache erlangen konnte. Eines Tages dachte er Dichter zu werden, um zu ver¬ ſuchen auf dieſe Weiſe von ſich ſprechen zu machen. Er verfertigte ein Gedicht auf ſich ſelber, das er die Ra¬ meïde nannte, und das er in allen Kaffehaͤuſern her¬ umbrachte: aber kein Menſch ging es beim Drucker zu holen. Ich machte ihm den Scherz eine zweite Rameëde abzufaſſen. Der Buchhaͤndler verkaufte ſie zu ſeinem

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/448>, abgerufen am 28.04.2024.