Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

recht glauben, so wenig wie sie früher an die Siege
der Franzosen hatten glauben mögen, bis die Einsetzung
französischer Behörden begreiflich machte, daß das Mün¬
sterland wenigstens für jetzt der fremden Herrschaft
unterworfen sei; doch zweifelte keiner, daß über kurz
oder lang endlich dennoch Anton Viktor kommen und
als Fürst in seine Rechte treten würde; dieser öster¬
reichische Erzherzog war nämlich noch zuletzt, als schon
die Stürme der Zeit das Land ergriffen hatten, zum
Fürstbischof von Münster gewählt worden, und das Volk
hoffte auf ihn wie auf einen Verheißenen, und nannte
seinen Namen öfter und bedeutsamer, als es vielleicht
geschehen wäre, wenn er wirklich regiert hätte.

Im Frühjahr, als ich Steinfurt von Böhmen aus
besuchte, hatte ich mir nicht träumen lassen, daß ich
im Herbste wiederum dort einsprechen würde, und zwar
von der entgegengesetzten Seite; mir war aber diese
Wiederkehr nicht unlieb, und ich hoffte die Muße der
nächsten Monate für mancherlei Arbeiten wohl anzu¬
wenden.

Steinfurt, oder Burgsteinfurt, wie der Name eigent¬
lich heißt, bis dahin der Hauptort der gleichnamigen
Grafschaft, war jetzt ein französisches Städtchen, das
seinen Maire hatte, dem die frühere Landesherrschaft
eigentlich wie die übrigen Einwohner untergeordnet war.
Allein die willkürliche Verfügung hatte die tausendfachen
Sach- und Namensbezüge des auf Jahrhunderte gegrün¬

recht glauben, ſo wenig wie ſie fruͤher an die Siege
der Franzoſen hatten glauben moͤgen, bis die Einſetzung
franzoͤſiſcher Behoͤrden begreiflich machte, daß das Muͤn¬
ſterland wenigſtens fuͤr jetzt der fremden Herrſchaft
unterworfen ſei; doch zweifelte keiner, daß uͤber kurz
oder lang endlich dennoch Anton Viktor kommen und
als Fuͤrſt in ſeine Rechte treten wuͤrde; dieſer oͤſter¬
reichiſche Erzherzog war naͤmlich noch zuletzt, als ſchon
die Stuͤrme der Zeit das Land ergriffen hatten, zum
Fuͤrſtbiſchof von Muͤnſter gewaͤhlt worden, und das Volk
hoffte auf ihn wie auf einen Verheißenen, und nannte
ſeinen Namen oͤfter und bedeutſamer, als es vielleicht
geſchehen waͤre, wenn er wirklich regiert haͤtte.

Im Fruͤhjahr, als ich Steinfurt von Boͤhmen aus
beſuchte, hatte ich mir nicht traͤumen laſſen, daß ich
im Herbſte wiederum dort einſprechen wuͤrde, und zwar
von der entgegengeſetzten Seite; mir war aber dieſe
Wiederkehr nicht unlieb, und ich hoffte die Muße der
naͤchſten Monate fuͤr mancherlei Arbeiten wohl anzu¬
wenden.

Steinfurt, oder Burgſteinfurt, wie der Name eigent¬
lich heißt, bis dahin der Hauptort der gleichnamigen
Grafſchaft, war jetzt ein franzoͤſiſches Staͤdtchen, das
ſeinen Maire hatte, dem die fruͤhere Landesherrſchaft
eigentlich wie die uͤbrigen Einwohner untergeordnet war.
Allein die willkuͤrliche Verfuͤgung hatte die tauſendfachen
Sach- und Namensbezuͤge des auf Jahrhunderte gegruͤn¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0140" n="128"/>
recht glauben, &#x017F;o wenig wie &#x017F;ie fru&#x0364;her an die Siege<lb/>
der Franzo&#x017F;en hatten glauben mo&#x0364;gen, bis die Ein&#x017F;etzung<lb/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;cher Beho&#x0364;rden begreiflich machte, daß das Mu&#x0364;<lb/>
&#x017F;terland wenig&#x017F;tens fu&#x0364;r jetzt der fremden Herr&#x017F;chaft<lb/>
unterworfen &#x017F;ei; doch zweifelte keiner, daß u&#x0364;ber kurz<lb/>
oder lang endlich dennoch Anton Viktor kommen und<lb/>
als Fu&#x0364;r&#x017F;t in &#x017F;eine Rechte treten wu&#x0364;rde; die&#x017F;er o&#x0364;&#x017F;ter¬<lb/>
reichi&#x017F;che Erzherzog war na&#x0364;mlich noch zuletzt, als &#x017F;chon<lb/>
die Stu&#x0364;rme der Zeit das Land ergriffen hatten, zum<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;tbi&#x017F;chof von Mu&#x0364;n&#x017F;ter gewa&#x0364;hlt worden, und das Volk<lb/>
hoffte auf ihn wie auf einen Verheißenen, und nannte<lb/>
&#x017F;einen Namen o&#x0364;fter und bedeut&#x017F;amer, als es vielleicht<lb/>
ge&#x017F;chehen wa&#x0364;re, wenn er wirklich regiert ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Im Fru&#x0364;hjahr, als ich Steinfurt von Bo&#x0364;hmen aus<lb/>
be&#x017F;uchte, hatte ich mir nicht tra&#x0364;umen la&#x017F;&#x017F;en, daß ich<lb/>
im Herb&#x017F;te wiederum dort ein&#x017F;prechen wu&#x0364;rde, und zwar<lb/>
von der entgegenge&#x017F;etzten Seite; mir war aber die&#x017F;e<lb/>
Wiederkehr nicht unlieb, und ich hoffte die Muße der<lb/>
na&#x0364;ch&#x017F;ten Monate fu&#x0364;r mancherlei Arbeiten wohl anzu¬<lb/>
wenden.</p><lb/>
        <p>Steinfurt, oder Burg&#x017F;teinfurt, wie der Name eigent¬<lb/>
lich heißt, bis dahin der Hauptort der gleichnamigen<lb/>
Graf&#x017F;chaft, war jetzt ein franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ches Sta&#x0364;dtchen, das<lb/>
&#x017F;einen Maire hatte, dem die fru&#x0364;here Landesherr&#x017F;chaft<lb/>
eigentlich wie die u&#x0364;brigen Einwohner untergeordnet war.<lb/>
Allein die willku&#x0364;rliche Verfu&#x0364;gung hatte die tau&#x017F;endfachen<lb/>
Sach- und Namensbezu&#x0364;ge des auf Jahrhunderte gegru&#x0364;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0140] recht glauben, ſo wenig wie ſie fruͤher an die Siege der Franzoſen hatten glauben moͤgen, bis die Einſetzung franzoͤſiſcher Behoͤrden begreiflich machte, daß das Muͤn¬ ſterland wenigſtens fuͤr jetzt der fremden Herrſchaft unterworfen ſei; doch zweifelte keiner, daß uͤber kurz oder lang endlich dennoch Anton Viktor kommen und als Fuͤrſt in ſeine Rechte treten wuͤrde; dieſer oͤſter¬ reichiſche Erzherzog war naͤmlich noch zuletzt, als ſchon die Stuͤrme der Zeit das Land ergriffen hatten, zum Fuͤrſtbiſchof von Muͤnſter gewaͤhlt worden, und das Volk hoffte auf ihn wie auf einen Verheißenen, und nannte ſeinen Namen oͤfter und bedeutſamer, als es vielleicht geſchehen waͤre, wenn er wirklich regiert haͤtte. Im Fruͤhjahr, als ich Steinfurt von Boͤhmen aus beſuchte, hatte ich mir nicht traͤumen laſſen, daß ich im Herbſte wiederum dort einſprechen wuͤrde, und zwar von der entgegengeſetzten Seite; mir war aber dieſe Wiederkehr nicht unlieb, und ich hoffte die Muße der naͤchſten Monate fuͤr mancherlei Arbeiten wohl anzu¬ wenden. Steinfurt, oder Burgſteinfurt, wie der Name eigent¬ lich heißt, bis dahin der Hauptort der gleichnamigen Grafſchaft, war jetzt ein franzoͤſiſches Staͤdtchen, das ſeinen Maire hatte, dem die fruͤhere Landesherrſchaft eigentlich wie die uͤbrigen Einwohner untergeordnet war. Allein die willkuͤrliche Verfuͤgung hatte die tauſendfachen Sach- und Namensbezuͤge des auf Jahrhunderte gegruͤn¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/140
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/140>, abgerufen am 05.05.2024.