Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Ansehn hatten in der That so günstig für ihn gewirkt,
daß bei der Auflösung des deutschen Reichs, als den
vormaligen Reichsunmittelbaren nur zweierlei Loose blie¬
ben, entweder zur Oberherrlichkeit erhöht in den Rhein¬
bund zu treten, oder zu Unterthanen solcher Begünstig¬
ten hinabgedrückt zu werden, es sich in der Meinung
sehr natürlich darbot, dem Grafen von Bentheim könne
nur das erstere Loos beschieden sein. Die Eröffnungen
hierzu von Seiten Frankreichs hatten wirklich Statt
gefunden, Verhandlungen mit dem Minister Talleyrand
waren dem Abschlusse nah, Karten des künftigen, durch
zu mediatisirende Nachbarn sehr vergrößerten Gebietes
waren schon gezeichnet, die Oberherrlichkeit des Grafen
so gut wie anerkannt, als plötzlich eine andre Ansicht
in Paris alles bisher Eingeleitete verwarf, und diese
Verhältnisse in drückender Unsicherheit stocken ließ. Der
Graf war sogleich nach Paris gereist, um seine Gerecht¬
same zu vertheidigen, seine Ansprüche geltend zu machen.
Hier wurde er am Hofe Napoleon's mit allen Ehren
aufgenommen, und persönlich als ein regierender Herr
behandelt, während seine sachlichen Ansprüche immer
weniger Rücksicht erfuhren, und die französischen Be¬
hörden in seinem Lande immer entschiedener eingriffen.
Je ungünstiger seine Verhältnisse daheim sich stellten,
je weniger mochte der Graf zurückkehren, sondern blieb
in Paris, als dem einzigen Orte, wo er noch als regie¬
rend galt, und wo er Hoffnung hatte, es auch wieder

Anſehn hatten in der That ſo guͤnſtig fuͤr ihn gewirkt,
daß bei der Aufloͤſung des deutſchen Reichs, als den
vormaligen Reichsunmittelbaren nur zweierlei Looſe blie¬
ben, entweder zur Oberherrlichkeit erhoͤht in den Rhein¬
bund zu treten, oder zu Unterthanen ſolcher Beguͤnſtig¬
ten hinabgedruͤckt zu werden, es ſich in der Meinung
ſehr natuͤrlich darbot, dem Grafen von Bentheim koͤnne
nur das erſtere Loos beſchieden ſein. Die Eroͤffnungen
hierzu von Seiten Frankreichs hatten wirklich Statt
gefunden, Verhandlungen mit dem Miniſter Talleyrand
waren dem Abſchluſſe nah, Karten des kuͤnftigen, durch
zu mediatiſirende Nachbarn ſehr vergroͤßerten Gebietes
waren ſchon gezeichnet, die Oberherrlichkeit des Grafen
ſo gut wie anerkannt, als ploͤtzlich eine andre Anſicht
in Paris alles bisher Eingeleitete verwarf, und dieſe
Verhaͤltniſſe in druͤckender Unſicherheit ſtocken ließ. Der
Graf war ſogleich nach Paris gereiſt, um ſeine Gerecht¬
ſame zu vertheidigen, ſeine Anſpruͤche geltend zu machen.
Hier wurde er am Hofe Napoleon's mit allen Ehren
aufgenommen, und perſoͤnlich als ein regierender Herr
behandelt, waͤhrend ſeine ſachlichen Anſpruͤche immer
weniger Ruͤckſicht erfuhren, und die franzoͤſiſchen Be¬
hoͤrden in ſeinem Lande immer entſchiedener eingriffen.
Je unguͤnſtiger ſeine Verhaͤltniſſe daheim ſich ſtellten,
je weniger mochte der Graf zuruͤckkehren, ſondern blieb
in Paris, als dem einzigen Orte, wo er noch als regie¬
rend galt, und wo er Hoffnung hatte, es auch wieder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0144" n="132"/>
An&#x017F;ehn hatten in der That &#x017F;o gu&#x0364;n&#x017F;tig fu&#x0364;r ihn gewirkt,<lb/>
daß bei der Auflo&#x0364;&#x017F;ung des deut&#x017F;chen Reichs, als den<lb/>
vormaligen Reichsunmittelbaren nur zweierlei Loo&#x017F;e blie¬<lb/>
ben, entweder zur Oberherrlichkeit erho&#x0364;ht in den Rhein¬<lb/>
bund zu treten, oder zu Unterthanen &#x017F;olcher Begu&#x0364;n&#x017F;tig¬<lb/>
ten hinabgedru&#x0364;ckt zu werden, es &#x017F;ich in der Meinung<lb/>
&#x017F;ehr natu&#x0364;rlich darbot, dem Grafen von Bentheim ko&#x0364;nne<lb/>
nur das er&#x017F;tere Loos be&#x017F;chieden &#x017F;ein. Die Ero&#x0364;ffnungen<lb/>
hierzu von Seiten Frankreichs hatten wirklich Statt<lb/>
gefunden, Verhandlungen mit dem Mini&#x017F;ter Talleyrand<lb/>
waren dem Ab&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e nah, Karten des ku&#x0364;nftigen, durch<lb/>
zu mediati&#x017F;irende Nachbarn &#x017F;ehr vergro&#x0364;ßerten Gebietes<lb/>
waren &#x017F;chon gezeichnet, die Oberherrlichkeit des Grafen<lb/>
&#x017F;o gut wie anerkannt, als plo&#x0364;tzlich eine andre An&#x017F;icht<lb/>
in Paris alles bisher Eingeleitete verwarf, und die&#x017F;e<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e in dru&#x0364;ckender Un&#x017F;icherheit &#x017F;tocken ließ. Der<lb/>
Graf war &#x017F;ogleich nach Paris gerei&#x017F;t, um &#x017F;eine Gerecht¬<lb/>
&#x017F;ame zu vertheidigen, &#x017F;eine An&#x017F;pru&#x0364;che geltend zu machen.<lb/>
Hier wurde er am Hofe Napoleon's mit allen Ehren<lb/>
aufgenommen, und per&#x017F;o&#x0364;nlich als ein regierender Herr<lb/>
behandelt, wa&#x0364;hrend &#x017F;eine &#x017F;achlichen An&#x017F;pru&#x0364;che immer<lb/>
weniger Ru&#x0364;ck&#x017F;icht erfuhren, und die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Be¬<lb/>
ho&#x0364;rden in &#x017F;einem Lande immer ent&#x017F;chiedener eingriffen.<lb/>
Je ungu&#x0364;n&#x017F;tiger &#x017F;eine Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e daheim &#x017F;ich &#x017F;tellten,<lb/>
je weniger mochte der Graf zuru&#x0364;ckkehren, &#x017F;ondern blieb<lb/>
in Paris, als dem einzigen Orte, wo er noch als regie¬<lb/>
rend galt, und wo er Hoffnung hatte, es auch wieder<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0144] Anſehn hatten in der That ſo guͤnſtig fuͤr ihn gewirkt, daß bei der Aufloͤſung des deutſchen Reichs, als den vormaligen Reichsunmittelbaren nur zweierlei Looſe blie¬ ben, entweder zur Oberherrlichkeit erhoͤht in den Rhein¬ bund zu treten, oder zu Unterthanen ſolcher Beguͤnſtig¬ ten hinabgedruͤckt zu werden, es ſich in der Meinung ſehr natuͤrlich darbot, dem Grafen von Bentheim koͤnne nur das erſtere Loos beſchieden ſein. Die Eroͤffnungen hierzu von Seiten Frankreichs hatten wirklich Statt gefunden, Verhandlungen mit dem Miniſter Talleyrand waren dem Abſchluſſe nah, Karten des kuͤnftigen, durch zu mediatiſirende Nachbarn ſehr vergroͤßerten Gebietes waren ſchon gezeichnet, die Oberherrlichkeit des Grafen ſo gut wie anerkannt, als ploͤtzlich eine andre Anſicht in Paris alles bisher Eingeleitete verwarf, und dieſe Verhaͤltniſſe in druͤckender Unſicherheit ſtocken ließ. Der Graf war ſogleich nach Paris gereiſt, um ſeine Gerecht¬ ſame zu vertheidigen, ſeine Anſpruͤche geltend zu machen. Hier wurde er am Hofe Napoleon's mit allen Ehren aufgenommen, und perſoͤnlich als ein regierender Herr behandelt, waͤhrend ſeine ſachlichen Anſpruͤche immer weniger Ruͤckſicht erfuhren, und die franzoͤſiſchen Be¬ hoͤrden in ſeinem Lande immer entſchiedener eingriffen. Je unguͤnſtiger ſeine Verhaͤltniſſe daheim ſich ſtellten, je weniger mochte der Graf zuruͤckkehren, ſondern blieb in Paris, als dem einzigen Orte, wo er noch als regie¬ rend galt, und wo er Hoffnung hatte, es auch wieder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/144
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/144>, abgerufen am 05.05.2024.