Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

was wirklich verbraucht worden ist. Eine allgemeine
Unzufriedenheit äußerte sich laut und heftig gegen diese
Unordnung. Gegen einzelne Personen wurden Beschul¬
digungen ausgesprochen, welche zwar grundlos, aber
darum nicht minder gefahrvoll waren. Besonders ver¬
dächtigte man die wieder eingetretenen Mitglieder des
Senats, welche auch unter den Franzosen Aemter ge¬
führt hatten. Für Tettenborn's Verhältniß und Lage
war dies alles höchst beschwerlich und nachtheilig.

Am 14. Mai glaubten die Vorposten bei anbre¬
chendem Tage durch den Nebel große Massen französi¬
schen Fußvolks auf der Feddel zu sehn, die gegen das
Ufer marschirten, um sich einzuschiffen, sogar Kanonen
meinte man zu erkennen, und als diese Meldung sich
in der Stadt rasch verbreitete, hielten die Einwohner
jetzt den nachdrücklichsten Angriff auf den Grasbrook,
der kaum noch zu vertheidigen schien, für gewiß, ja
die Wälle der Stadt selbst sah man schon in den Hän¬
den des Feindes. Die Sturmglocken und Trommeln
riefen die Einwohner zu den Waffen, während das
Flüchten der Wehrlosen nach Altona und auf das Land
das Getümmel vermehrte. Die Batterieen der Bürger
auf dem Grasbrook donnerten unaufhörlich, und grau¬
senvolle Ungewißheit, ob der Feind schon gelandet sei,
ob er vordringe, machte den Zustand der Einwohner
verzweiflungsvoll. Die Allarmplätze waren jedoch mehr
als jemals von Bewaffneten erfüllt, indem auch solche,

was wirklich verbraucht worden iſt. Eine allgemeine
Unzufriedenheit aͤußerte ſich laut und heftig gegen dieſe
Unordnung. Gegen einzelne Perſonen wurden Beſchul¬
digungen ausgeſprochen, welche zwar grundlos, aber
darum nicht minder gefahrvoll waren. Beſonders ver¬
daͤchtigte man die wieder eingetretenen Mitglieder des
Senats, welche auch unter den Franzoſen Aemter ge¬
fuͤhrt hatten. Fuͤr Tettenborn's Verhaͤltniß und Lage
war dies alles hoͤchſt beſchwerlich und nachtheilig.

Am 14. Mai glaubten die Vorpoſten bei anbre¬
chendem Tage durch den Nebel große Maſſen franzoͤſi¬
ſchen Fußvolks auf der Feddel zu ſehn, die gegen das
Ufer marſchirten, um ſich einzuſchiffen, ſogar Kanonen
meinte man zu erkennen, und als dieſe Meldung ſich
in der Stadt raſch verbreitete, hielten die Einwohner
jetzt den nachdruͤcklichſten Angriff auf den Grasbrook,
der kaum noch zu vertheidigen ſchien, fuͤr gewiß, ja
die Waͤlle der Stadt ſelbſt ſah man ſchon in den Haͤn¬
den des Feindes. Die Sturmglocken und Trommeln
riefen die Einwohner zu den Waffen, waͤhrend das
Fluͤchten der Wehrloſen nach Altona und auf das Land
das Getuͤmmel vermehrte. Die Batterieen der Buͤrger
auf dem Grasbrook donnerten unaufhoͤrlich, und grau¬
ſenvolle Ungewißheit, ob der Feind ſchon gelandet ſei,
ob er vordringe, machte den Zuſtand der Einwohner
verzweiflungsvoll. Die Allarmplaͤtze waren jedoch mehr
als jemals von Bewaffneten erfuͤllt, indem auch ſolche,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0369" n="357"/>
was wirklich verbraucht worden i&#x017F;t. Eine allgemeine<lb/>
Unzufriedenheit a&#x0364;ußerte &#x017F;ich laut und heftig gegen die&#x017F;e<lb/>
Unordnung. Gegen einzelne Per&#x017F;onen wurden Be&#x017F;chul¬<lb/>
digungen ausge&#x017F;prochen, welche zwar grundlos, aber<lb/>
darum nicht minder gefahrvoll waren. Be&#x017F;onders ver¬<lb/>
da&#x0364;chtigte man die wieder eingetretenen Mitglieder des<lb/>
Senats, welche auch unter den Franzo&#x017F;en Aemter ge¬<lb/>
fu&#x0364;hrt hatten. Fu&#x0364;r Tettenborn's Verha&#x0364;ltniß und Lage<lb/>
war dies alles ho&#x0364;ch&#x017F;t be&#x017F;chwerlich und nachtheilig.</p><lb/>
        <p>Am <hi rendition="#b">14.</hi> Mai glaubten die Vorpo&#x017F;ten bei anbre¬<lb/>
chendem Tage durch den Nebel große Ma&#x017F;&#x017F;en franzo&#x0364;&#x017F;<lb/>
&#x017F;chen Fußvolks auf der Feddel zu &#x017F;ehn, die gegen das<lb/>
Ufer mar&#x017F;chirten, um &#x017F;ich einzu&#x017F;chiffen, &#x017F;ogar Kanonen<lb/>
meinte man zu erkennen, und als die&#x017F;e Meldung &#x017F;ich<lb/>
in der Stadt ra&#x017F;ch verbreitete, hielten die Einwohner<lb/>
jetzt den nachdru&#x0364;cklich&#x017F;ten Angriff auf den Grasbrook,<lb/>
der kaum noch zu vertheidigen &#x017F;chien, fu&#x0364;r gewiß, ja<lb/>
die Wa&#x0364;lle der Stadt &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ah man &#x017F;chon in den Ha&#x0364;<lb/>
den des Feindes. Die Sturmglocken und Trommeln<lb/>
riefen die Einwohner zu den Waffen, wa&#x0364;hrend das<lb/>
Flu&#x0364;chten der Wehrlo&#x017F;en nach Altona und auf das Land<lb/>
das Getu&#x0364;mmel vermehrte. Die Batterieen der Bu&#x0364;rger<lb/>
auf dem Grasbrook donnerten unaufho&#x0364;rlich, und grau¬<lb/>
&#x017F;envolle Ungewißheit, ob der Feind &#x017F;chon gelandet &#x017F;ei,<lb/>
ob er vordringe, machte den Zu&#x017F;tand der Einwohner<lb/>
verzweiflungsvoll. Die Allarmpla&#x0364;tze waren jedoch mehr<lb/>
als jemals von Bewaffneten erfu&#x0364;llt, indem auch &#x017F;olche,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0369] was wirklich verbraucht worden iſt. Eine allgemeine Unzufriedenheit aͤußerte ſich laut und heftig gegen dieſe Unordnung. Gegen einzelne Perſonen wurden Beſchul¬ digungen ausgeſprochen, welche zwar grundlos, aber darum nicht minder gefahrvoll waren. Beſonders ver¬ daͤchtigte man die wieder eingetretenen Mitglieder des Senats, welche auch unter den Franzoſen Aemter ge¬ fuͤhrt hatten. Fuͤr Tettenborn's Verhaͤltniß und Lage war dies alles hoͤchſt beſchwerlich und nachtheilig. Am 14. Mai glaubten die Vorpoſten bei anbre¬ chendem Tage durch den Nebel große Maſſen franzoͤſi¬ ſchen Fußvolks auf der Feddel zu ſehn, die gegen das Ufer marſchirten, um ſich einzuſchiffen, ſogar Kanonen meinte man zu erkennen, und als dieſe Meldung ſich in der Stadt raſch verbreitete, hielten die Einwohner jetzt den nachdruͤcklichſten Angriff auf den Grasbrook, der kaum noch zu vertheidigen ſchien, fuͤr gewiß, ja die Waͤlle der Stadt ſelbſt ſah man ſchon in den Haͤn¬ den des Feindes. Die Sturmglocken und Trommeln riefen die Einwohner zu den Waffen, waͤhrend das Fluͤchten der Wehrloſen nach Altona und auf das Land das Getuͤmmel vermehrte. Die Batterieen der Buͤrger auf dem Grasbrook donnerten unaufhoͤrlich, und grau¬ ſenvolle Ungewißheit, ob der Feind ſchon gelandet ſei, ob er vordringe, machte den Zuſtand der Einwohner verzweiflungsvoll. Die Allarmplaͤtze waren jedoch mehr als jemals von Bewaffneten erfuͤllt, indem auch ſolche,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/369
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/369>, abgerufen am 16.05.2024.