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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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mitlebender Zusammenhang für die ganze Natur, überall ori-
ginale und naive Geistes- und Sinnesäußerungen, großartig
durch Unschuld und durch Klugheit, und dabei in Worten
wie in Handlungen die rascheste, gewandteste, zutreffendste
Gegenwart. Dies alles war durchwärmt von der reinsten
Güte, der schönsten, stets regen und thätigen Menschenliebe,
der lebhaftesten Theilnahme für fremdes Wohl und Weh.
Die Vorzüge menschlicher Erscheinung, die mir bisher einzeln
begegnet waren, fand ich hier beisammen, Geist und Witz,
Tiefsinn und Wahrheitsliebe, Einbildungskraft und Laune,
verbunden zu einer Folge von raschen, leisen, graziösen Lebens-
bewegungen, welche, gleich Goethe's Worten, ganz dicht an
der Sache sich halten, ja diese selber sind, und mit der ganzen
Macht ihres tiefsten Gehaltes augenblicklich wirken. Neben
allem Großen und Scharfen quoll aber auch immerfort die
weibliche Milde und Anmuth hervor, welche besonders den
Augen und dem edlen Munde den lieblichsten Ausdruck gab,
ohne den starken der gewaltigsten Leidenschaft und des hef-
tigstens Aufwallens zu verhindern."

"Ob man sich in dieser Mischung von entgegenstehenden
Gaben und streitigen Elementen, wie ich sie anzudeuten ver-
sucht habe, sogleich zurechtfinden wird, bezweifle ich fast.
Mir wenigstens war es beschieden, erst vermittelst mancher
Ungewißheit und manches Irrthums auf die rechte Bahn zu
kommen, indem ich nur in Einem auf der Stelle bestimmt
und auf immer fest war, daß mir der außerordentlichste und
werthvollste Gegenstand vor Augen sei. Irgend ein Vor-
urtheil, wie das mißfällige Gerede der Leute aus den ver-

mitlebender Zuſammenhang für die ganze Natur, überall ori-
ginale und naive Geiſtes- und Sinnesäußerungen, großartig
durch Unſchuld und durch Klugheit, und dabei in Worten
wie in Handlungen die raſcheſte, gewandteſte, zutreffendſte
Gegenwart. Dies alles war durchwärmt von der reinſten
Güte, der ſchönſten, ſtets regen und thätigen Menſchenliebe,
der lebhafteſten Theilnahme für fremdes Wohl und Weh.
Die Vorzüge menſchlicher Erſcheinung, die mir bisher einzeln
begegnet waren, fand ich hier beiſammen, Geiſt und Witz,
Tiefſinn und Wahrheitsliebe, Einbildungskraft und Laune,
verbunden zu einer Folge von raſchen, leiſen, graziöſen Lebens-
bewegungen, welche, gleich Goethe’s Worten, ganz dicht an
der Sache ſich halten, ja dieſe ſelber ſind, und mit der ganzen
Macht ihres tiefſten Gehaltes augenblicklich wirken. Neben
allem Großen und Scharfen quoll aber auch immerfort die
weibliche Milde und Anmuth hervor, welche beſonders den
Augen und dem edlen Munde den lieblichſten Ausdruck gab,
ohne den ſtarken der gewaltigſten Leidenſchaft und des hef-
tigſtens Aufwallens zu verhindern.“

„Ob man ſich in dieſer Miſchung von entgegenſtehenden
Gaben und ſtreitigen Elementen, wie ich ſie anzudeuten ver-
ſucht habe, ſogleich zurechtfinden wird, bezweifle ich faſt.
Mir wenigſtens war es beſchieden, erſt vermittelſt mancher
Ungewißheit und manches Irrthums auf die rechte Bahn zu
kommen, indem ich nur in Einem auf der Stelle beſtimmt
und auf immer feſt war, daß mir der außerordentlichſte und
werthvollſte Gegenſtand vor Augen ſei. Irgend ein Vor-
urtheil, wie das mißfällige Gerede der Leute aus den ver-

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[13/0027] mitlebender Zuſammenhang für die ganze Natur, überall ori- ginale und naive Geiſtes- und Sinnesäußerungen, großartig durch Unſchuld und durch Klugheit, und dabei in Worten wie in Handlungen die raſcheſte, gewandteſte, zutreffendſte Gegenwart. Dies alles war durchwärmt von der reinſten Güte, der ſchönſten, ſtets regen und thätigen Menſchenliebe, der lebhafteſten Theilnahme für fremdes Wohl und Weh. Die Vorzüge menſchlicher Erſcheinung, die mir bisher einzeln begegnet waren, fand ich hier beiſammen, Geiſt und Witz, Tiefſinn und Wahrheitsliebe, Einbildungskraft und Laune, verbunden zu einer Folge von raſchen, leiſen, graziöſen Lebens- bewegungen, welche, gleich Goethe’s Worten, ganz dicht an der Sache ſich halten, ja dieſe ſelber ſind, und mit der ganzen Macht ihres tiefſten Gehaltes augenblicklich wirken. Neben allem Großen und Scharfen quoll aber auch immerfort die weibliche Milde und Anmuth hervor, welche beſonders den Augen und dem edlen Munde den lieblichſten Ausdruck gab, ohne den ſtarken der gewaltigſten Leidenſchaft und des hef- tigſtens Aufwallens zu verhindern.“ „Ob man ſich in dieſer Miſchung von entgegenſtehenden Gaben und ſtreitigen Elementen, wie ich ſie anzudeuten ver- ſucht habe, ſogleich zurechtfinden wird, bezweifle ich faſt. Mir wenigſtens war es beſchieden, erſt vermittelſt mancher Ungewißheit und manches Irrthums auf die rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf der Stelle beſtimmt und auf immer feſt war, daß mir der außerordentlichſte und werthvollſte Gegenſtand vor Augen ſei. Irgend ein Vor- urtheil, wie das mißfällige Gerede der Leute aus den ver-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/27>, abgerufen am 29.04.2024.