Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe
und Willen, von Sinn und Leisten, mit höchster Anerkennung,
mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn
die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem so
günstig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr übereinstimmen
wollten. Aus diesem Gegensatz und Irrthum entstanden na-
türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen sich
späterhin traurig genug darstellten; die Sache selbst aber war
mir schon damals deutlich, und ich wollte mein Einsehen nicht
einmal sehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den
Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um
so stärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr
einen Ersatz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu
dürfen, die ihr nur allzu oft versagt wurde."

"Unser Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern
theilte ich alles mit, was ich als wichtigsten und daher auch
in mancher Art geheimsten Ertrag meines bisherigen Lebens
wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine,
wo ein so lebhafter, einsichtsvoller und wahrheitfrischer Sinn
ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für
alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß-
fallen konnt' ich auch unausgesprochen errathen; nur fühlte
ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, son-
dern eher wuchs, und bei diesem Gewinn konnte mir alles
Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir selbst gleichsam
entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen
Gebilde, welche zum Austausche sich vor mir ausbreiteten.
Mir war vergönnt, in das reichste Leben zu blicken, wie nur

in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe
und Willen, von Sinn und Leiſten, mit höchſter Anerkennung,
mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn
die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem ſo
günſtig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr übereinſtimmen
wollten. Aus dieſem Gegenſatz und Irrthum entſtanden na-
türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen ſich
ſpäterhin traurig genug darſtellten; die Sache ſelbſt aber war
mir ſchon damals deutlich, und ich wollte mein Einſehen nicht
einmal ſehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den
Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um
ſo ſtärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr
einen Erſatz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu
dürfen, die ihr nur allzu oft verſagt wurde.“

„Unſer Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern
theilte ich alles mit, was ich als wichtigſten und daher auch
in mancher Art geheimſten Ertrag meines bisherigen Lebens
wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine,
wo ein ſo lebhafter, einſichtsvoller und wahrheitfriſcher Sinn
ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für
alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß-
fallen konnt’ ich auch unausgeſprochen errathen; nur fühlte
ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, ſon-
dern eher wuchs, und bei dieſem Gewinn konnte mir alles
Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir ſelbſt gleichſam
entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen
Gebilde, welche zum Austauſche ſich vor mir ausbreiteten.
Mir war vergönnt, in das reichſte Leben zu blicken, wie nur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0032" n="18"/>
in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe<lb/>
und Willen, von Sinn und Lei&#x017F;ten, mit höch&#x017F;ter Anerkennung,<lb/>
mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn<lb/>
die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem &#x017F;o<lb/>
gün&#x017F;tig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr überein&#x017F;timmen<lb/>
wollten. Aus die&#x017F;em Gegen&#x017F;atz und Irrthum ent&#x017F;tanden na-<lb/>
türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;päterhin traurig genug dar&#x017F;tellten; die Sache &#x017F;elb&#x017F;t aber war<lb/>
mir &#x017F;chon damals deutlich, und ich wollte mein Ein&#x017F;ehen nicht<lb/>
einmal &#x017F;ehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den<lb/>
Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr<lb/>
einen Er&#x017F;atz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu<lb/>
dürfen, die ihr nur allzu oft ver&#x017F;agt wurde.&#x201C;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Un&#x017F;er Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern<lb/>
theilte ich alles mit, was ich als wichtig&#x017F;ten und daher auch<lb/>
in mancher Art geheim&#x017F;ten Ertrag meines bisherigen Lebens<lb/>
wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine,<lb/>
wo ein &#x017F;o lebhafter, ein&#x017F;ichtsvoller und wahrheitfri&#x017F;cher Sinn<lb/>
ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für<lb/>
alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß-<lb/>
fallen konnt&#x2019; ich auch unausge&#x017F;prochen errathen; nur fühlte<lb/>
ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, &#x017F;on-<lb/>
dern eher wuchs, und bei die&#x017F;em Gewinn konnte mir alles<lb/>
Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir &#x017F;elb&#x017F;t gleich&#x017F;am<lb/>
entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen<lb/>
Gebilde, welche zum Austau&#x017F;che &#x017F;ich vor mir ausbreiteten.<lb/>
Mir war vergönnt, in das reich&#x017F;te Leben zu blicken, wie nur<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0032] in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe und Willen, von Sinn und Leiſten, mit höchſter Anerkennung, mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem ſo günſtig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr übereinſtimmen wollten. Aus dieſem Gegenſatz und Irrthum entſtanden na- türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen ſich ſpäterhin traurig genug darſtellten; die Sache ſelbſt aber war mir ſchon damals deutlich, und ich wollte mein Einſehen nicht einmal ſehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um ſo ſtärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr einen Erſatz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu dürfen, die ihr nur allzu oft verſagt wurde.“ „Unſer Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern theilte ich alles mit, was ich als wichtigſten und daher auch in mancher Art geheimſten Ertrag meines bisherigen Lebens wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine, wo ein ſo lebhafter, einſichtsvoller und wahrheitfriſcher Sinn ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß- fallen konnt’ ich auch unausgeſprochen errathen; nur fühlte ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, ſon- dern eher wuchs, und bei dieſem Gewinn konnte mir alles Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir ſelbſt gleichſam entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen Gebilde, welche zum Austauſche ſich vor mir ausbreiteten. Mir war vergönnt, in das reichſte Leben zu blicken, wie nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/32
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/32>, abgerufen am 29.04.2024.