Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

daß er zu seinen stillen Naturstudien zurückekehrt: längst sagte
er ja, Geschichte sei nur ein Stück Natur. Adieu.

Lieber Willisen, ich muß wenigstens meine Einsicht bei
Ihnen retten! In der Welt hasse ich nichts so, als unansehn-
liche, unelegante Briefe. Aber ich leide sehr an Rheumatism
auf den Nerven. Kann davon meist nicht, und immer schwer
die Feder führen, des Kritzens wegen. Kann nicht auf dün-
nem Papier schreiben, und thue es doch; habe nie eine Feder,
da ich mit V.s schönen nicht zu schreiben vermag, und mir
keine schneiden kann. Heute schnitt meine Jungfer immer ein
bischen mit der Scheere dran. V. muß dicke Tinte haben:
ich kann sie nicht gebrauchen. So entstand der Klecks: und
endlich hab' ich auch den Bogen falsch umgewandt, und diese
Seite leer gelassen; und das Ende des ganzen Briefs deßfalls
übereilt. Sein Sie nur durchdrungen davon, daß mir der
Brief so sehr mißfällt, als Ihnen, und daß ich betreten dar-
über bin. -- Mannheim gefiele mir außerordentlich, wenn es
mehr Bäume in seiner Nähe und in seinen Mauern hätte.
Wir sind nur manchmal hier. Ich kenne Breslau. -- Hören
Sie nichts von Tieck? Können Sie ihn von mir grüßen las-
sen? Wie gerne schrieb' ich ihm. Ich lieb' ihn wie nur sehr
wenige Menschen. Der müßte gesund sein: und doch alles
so wissen. Adieu.




29 *

daß er zu ſeinen ſtillen Naturſtudien zurückekehrt: längſt ſagte
er ja, Geſchichte ſei nur ein Stück Natur. Adieu.

Lieber Williſen, ich muß wenigſtens meine Einſicht bei
Ihnen retten! In der Welt haſſe ich nichts ſo, als unanſehn-
liche, unelegante Briefe. Aber ich leide ſehr an Rheumatism
auf den Nerven. Kann davon meiſt nicht, und immer ſchwer
die Feder führen, des Kritzens wegen. Kann nicht auf dün-
nem Papier ſchreiben, und thue es doch; habe nie eine Feder,
da ich mit V.s ſchönen nicht zu ſchreiben vermag, und mir
keine ſchneiden kann. Heute ſchnitt meine Jungfer immer ein
bischen mit der Scheere dran. V. muß dicke Tinte haben:
ich kann ſie nicht gebrauchen. So entſtand der Klecks: und
endlich hab’ ich auch den Bogen falſch umgewandt, und dieſe
Seite leer gelaſſen; und das Ende des ganzen Briefs deßfalls
übereilt. Sein Sie nur durchdrungen davon, daß mir der
Brief ſo ſehr mißfällt, als Ihnen, und daß ich betreten dar-
über bin. — Mannheim gefiele mir außerordentlich, wenn es
mehr Bäume in ſeiner Nähe und in ſeinen Mauern hätte.
Wir ſind nur manchmal hier. Ich kenne Breslau. — Hören
Sie nichts von Tieck? Können Sie ihn von mir grüßen laſ-
ſen? Wie gerne ſchrieb’ ich ihm. Ich lieb’ ihn wie nur ſehr
wenige Menſchen. Der müßte geſund ſein: und doch alles
ſo wiſſen. Adieu.




29 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0459" n="451"/>
daß er zu &#x017F;einen &#x017F;tillen Natur&#x017F;tudien zurückekehrt: läng&#x017F;t &#x017F;agte<lb/>
er ja, Ge&#x017F;chichte &#x017F;ei nur ein Stück Natur. Adieu.</p><lb/>
          <p>Lieber Willi&#x017F;en, ich muß wenig&#x017F;tens meine Ein&#x017F;icht bei<lb/>
Ihnen retten! In der Welt ha&#x017F;&#x017F;e ich nichts &#x017F;o, als unan&#x017F;ehn-<lb/>
liche, unelegante Briefe. Aber ich leide <hi rendition="#g">&#x017F;ehr</hi> an Rheumatism<lb/>
auf den Nerven. Kann davon mei&#x017F;t nicht, und immer &#x017F;chwer<lb/>
die <hi rendition="#g">Feder</hi> führen, des Kritzens wegen. Kann nicht auf dün-<lb/>
nem Papier &#x017F;chreiben, und thue es doch; habe <hi rendition="#g">nie</hi> eine Feder,<lb/>
da ich mit V.s &#x017F;chönen nicht zu &#x017F;chreiben vermag, und mir<lb/>
keine &#x017F;chneiden kann. Heute &#x017F;chnitt meine Jungfer immer ein<lb/>
bischen mit der Scheere dran. V. muß dicke Tinte haben:<lb/>
ich kann &#x017F;ie nicht gebrauchen. So ent&#x017F;tand der Klecks: und<lb/>
endlich hab&#x2019; ich auch den Bogen fal&#x017F;ch umgewandt, und die&#x017F;e<lb/>
Seite leer gela&#x017F;&#x017F;en; und das Ende des ganzen Briefs deßfalls<lb/>
übereilt. Sein Sie nur durchdrungen davon, daß mir der<lb/>
Brief &#x017F;o &#x017F;ehr mißfällt, als Ihnen, und daß ich betreten dar-<lb/>
über bin. &#x2014; Mannheim gefiele mir außerordentlich, wenn es<lb/>
mehr Bäume in &#x017F;einer Nähe und in &#x017F;einen Mauern hätte.<lb/>
Wir &#x017F;ind nur manchmal hier. Ich kenne Breslau. &#x2014; Hören<lb/>
Sie nichts von <hi rendition="#g">Tieck</hi>? Können Sie ihn von mir grüßen la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en? Wie gerne &#x017F;chrieb&#x2019; ich ihm. Ich lieb&#x2019; ihn wie nur <hi rendition="#g">&#x017F;ehr</hi><lb/>
wenige Men&#x017F;chen. Der müßte <hi rendition="#g">ge&#x017F;und</hi> &#x017F;ein: und doch alles<lb/>
&#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en. Adieu.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="sig">29 *</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[451/0459] daß er zu ſeinen ſtillen Naturſtudien zurückekehrt: längſt ſagte er ja, Geſchichte ſei nur ein Stück Natur. Adieu. Lieber Williſen, ich muß wenigſtens meine Einſicht bei Ihnen retten! In der Welt haſſe ich nichts ſo, als unanſehn- liche, unelegante Briefe. Aber ich leide ſehr an Rheumatism auf den Nerven. Kann davon meiſt nicht, und immer ſchwer die Feder führen, des Kritzens wegen. Kann nicht auf dün- nem Papier ſchreiben, und thue es doch; habe nie eine Feder, da ich mit V.s ſchönen nicht zu ſchreiben vermag, und mir keine ſchneiden kann. Heute ſchnitt meine Jungfer immer ein bischen mit der Scheere dran. V. muß dicke Tinte haben: ich kann ſie nicht gebrauchen. So entſtand der Klecks: und endlich hab’ ich auch den Bogen falſch umgewandt, und dieſe Seite leer gelaſſen; und das Ende des ganzen Briefs deßfalls übereilt. Sein Sie nur durchdrungen davon, daß mir der Brief ſo ſehr mißfällt, als Ihnen, und daß ich betreten dar- über bin. — Mannheim gefiele mir außerordentlich, wenn es mehr Bäume in ſeiner Nähe und in ſeinen Mauern hätte. Wir ſind nur manchmal hier. Ich kenne Breslau. — Hören Sie nichts von Tieck? Können Sie ihn von mir grüßen laſ- ſen? Wie gerne ſchrieb’ ich ihm. Ich lieb’ ihn wie nur ſehr wenige Menſchen. Der müßte geſund ſein: und doch alles ſo wiſſen. Adieu. 29 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/459
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/459>, abgerufen am 27.04.2024.