Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

zeigen: Gott hatte es so beschlossen, wie es ist. Drum wollen
wir uns noch sehen, so lang wir lebendig sind. Sie, die Kou-
sine, Gualtieri, Prinz Louis, mein junger Freund Marwitz,
ein Engel, Zinnow, Pierre Lombard, die Bethmann, die Dok-
torin Lemos; Quast, Möllendorf, Schack, alles alles ist weg,
fort, todt. Righini, Fleck, todt, die Marchetti weg, Brinck-
mann weg, alles todt und weg. Wie eine Ernte. Ich so oft
dem Tod in den Klauen, alle Kräfte mußte ich ihm lassen.
Ich mache schon lange keine Musik mehr; mich schwindlen die
Noten, die Töne dröhnen mir in den Nerven! -- So ist's,
Rose. Und dabei gönnen sie einem nichts in der Jugend;
beschränken, tadlen einen. Man ist arm. Ich war Jüdin,
nicht hübsch, ignorant, ohne grace, sans talents et sans instruc-
tion: ah ma soeur, c'est fini; c'est fini avant la fin reelle.

Nichts hätte ich anders machen können. Mündlich. Schreib
du mir unterdeß von deinem Leben. Du wohnst doch gut
im Haag. Es ist ein Spazir-Ort. Bist du denn nie in
Brüssel? Und warum nicht? Line ist bei Moritz, ich geb' ihr
aber doch ihr Lohn. Ich habe ein Mädchen und einen Be-
dienten, esse aus dem Wirthshaus, bin schlecht eingerichtet.
Ohne Silber, ohne Porzelaine. In jedem Zimmer ein Sopha:
vier Sopha's hab' ich. Gute Luft. Weiter nichts: und Bü-
cher in Fülle. Das liebt Varnhagen. Lebe wohl, liebes Kind.
Grüße Karl millionenmal von mir: und Louis. Friedrich
Schlegel ist beim Bundestag angestellt, ich habe sie viel in
Frankfurt gesehen, und noch im Herbst: sie ist vortrefflich, wie
sie war, und besser: sie ist fromme Katholikin. Ja! sprech
du mit! Kein Fragen hilft zur Auskunft. Adieu, adieu.

zeigen: Gott hatte es ſo beſchloſſen, wie es iſt. Drum wollen
wir uns noch ſehen, ſo lang wir lebendig ſind. Sie, die Kou-
ſine, Gualtieri, Prinz Louis, mein junger Freund Marwitz,
ein Engel, Zinnow, Pierre Lombard, die Bethmann, die Dok-
torin Lemos; Quaſt, Möllendorf, Schack, alles alles iſt weg,
fort, todt. Righini, Fleck, todt, die Marchetti weg, Brinck-
mann weg, alles todt und weg. Wie eine Ernte. Ich ſo oft
dem Tod in den Klauen, alle Kräfte mußte ich ihm laſſen.
Ich mache ſchon lange keine Muſik mehr; mich ſchwindlen die
Noten, die Töne dröhnen mir in den Nerven! — So iſt’s,
Roſe. Und dabei gönnen ſie einem nichts in der Jugend;
beſchränken, tadlen einen. Man iſt arm. Ich war Jüdin,
nicht hübſch, ignorant, ohne grâce, sans talents et sans instruc-
tion: ah ma soeur, c’est fini; c’est fini avant la fin réelle.

Nichts hätte ich anders machen können. Mündlich. Schreib
du mir unterdeß von deinem Leben. Du wohnſt doch gut
im Haag. Es iſt ein Spazir-Ort. Biſt du denn nie in
Brüſſel? Und warum nicht? Line iſt bei Moritz, ich geb’ ihr
aber doch ihr Lohn. Ich habe ein Mädchen und einen Be-
dienten, eſſe aus dem Wirthshaus, bin ſchlecht eingerichtet.
Ohne Silber, ohne Porzelaine. In jedem Zimmer ein Sopha:
vier Sopha’s hab’ ich. Gute Luft. Weiter nichts: und Bü-
cher in Fülle. Das liebt Varnhagen. Lebe wohl, liebes Kind.
Grüße Karl millionenmal von mir: und Louis. Friedrich
Schlegel iſt beim Bundestag angeſtellt, ich habe ſie viel in
Frankfurt geſehen, und noch im Herbſt: ſie iſt vortrefflich, wie
ſie war, und beſſer: ſie iſt fromme Katholikin. Ja! ſprech
du mit! Kein Fragen hilft zur Auskunft. Adieu, adieu.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0471" n="463"/>
zeigen: Gott hatte es <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, wie es i&#x017F;t. Drum wollen<lb/><hi rendition="#g">wir</hi> uns noch &#x017F;ehen, &#x017F;o lang wir lebendig &#x017F;ind. Sie, die Kou-<lb/>
&#x017F;ine, Gualtieri, Prinz Louis, mein junger Freund Marwitz,<lb/>
ein <hi rendition="#g">Engel</hi>, Zinnow, Pierre Lombard, die Bethmann, die Dok-<lb/>
torin Lemos; Qua&#x017F;t, Möllendorf, Schack, alles alles i&#x017F;t weg,<lb/>
fort, todt. Righini, Fleck, todt, die Marchetti weg, Brinck-<lb/>
mann weg, alles todt und weg. Wie eine Ernte. Ich &#x017F;o oft<lb/>
dem Tod in den Klauen, alle Kräfte mußte ich ihm la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Ich mache &#x017F;chon lange keine Mu&#x017F;ik mehr; mich &#x017F;chwindlen die<lb/>
Noten, die Töne dröhnen mir in den Nerven! &#x2014; So i&#x017F;t&#x2019;s,<lb/>
Ro&#x017F;e. Und dabei gönnen &#x017F;ie einem nichts in der <hi rendition="#g">Jugend</hi>;<lb/>
be&#x017F;chränken, tadlen einen. Man i&#x017F;t arm. Ich war Jüdin,<lb/>
nicht hüb&#x017F;ch, ignorant, ohne <hi rendition="#aq">grâce, sans talents et sans instruc-<lb/>
tion: ah ma soeur, c&#x2019;est fini; c&#x2019;est fini avant la fin réelle.</hi><lb/>
Nichts hätte ich anders machen können. Mündlich. Schreib<lb/><hi rendition="#g">du mir</hi> unterdeß von <hi rendition="#g">deinem</hi> Leben. Du <hi rendition="#g">wohn&#x017F;t</hi> doch gut<lb/>
im Haag. Es i&#x017F;t ein Spazir-Ort. Bi&#x017F;t du denn nie in<lb/>
Brü&#x017F;&#x017F;el? Und warum nicht? Line i&#x017F;t bei Moritz, ich geb&#x2019; ihr<lb/>
aber doch ihr Lohn. Ich habe ein Mädchen und einen Be-<lb/>
dienten, e&#x017F;&#x017F;e aus dem Wirthshaus, bin &#x017F;chlecht eingerichtet.<lb/>
Ohne Silber, ohne Porzelaine. In jedem Zimmer ein Sopha:<lb/>
vier Sopha&#x2019;s hab&#x2019; ich. Gute Luft. Weiter nichts: und Bü-<lb/>
cher in Fülle. Das liebt Varnhagen. Lebe wohl, liebes Kind.<lb/>
Grüße Karl millionenmal von mir: und Louis. Friedrich<lb/>
Schlegel i&#x017F;t beim Bundestag ange&#x017F;tellt, ich habe &#x017F;ie viel in<lb/>
Frankfurt ge&#x017F;ehen, und noch im Herb&#x017F;t: &#x017F;ie i&#x017F;t vortrefflich, wie<lb/>
&#x017F;ie war, und be&#x017F;&#x017F;er: &#x017F;ie i&#x017F;t fromme Katholikin. <hi rendition="#g">Ja</hi>! &#x017F;prech<lb/><hi rendition="#g">du mit</hi>! Kein Fragen hilft zur Auskunft. Adieu, adieu.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0471] zeigen: Gott hatte es ſo beſchloſſen, wie es iſt. Drum wollen wir uns noch ſehen, ſo lang wir lebendig ſind. Sie, die Kou- ſine, Gualtieri, Prinz Louis, mein junger Freund Marwitz, ein Engel, Zinnow, Pierre Lombard, die Bethmann, die Dok- torin Lemos; Quaſt, Möllendorf, Schack, alles alles iſt weg, fort, todt. Righini, Fleck, todt, die Marchetti weg, Brinck- mann weg, alles todt und weg. Wie eine Ernte. Ich ſo oft dem Tod in den Klauen, alle Kräfte mußte ich ihm laſſen. Ich mache ſchon lange keine Muſik mehr; mich ſchwindlen die Noten, die Töne dröhnen mir in den Nerven! — So iſt’s, Roſe. Und dabei gönnen ſie einem nichts in der Jugend; beſchränken, tadlen einen. Man iſt arm. Ich war Jüdin, nicht hübſch, ignorant, ohne grâce, sans talents et sans instruc- tion: ah ma soeur, c’est fini; c’est fini avant la fin réelle. Nichts hätte ich anders machen können. Mündlich. Schreib du mir unterdeß von deinem Leben. Du wohnſt doch gut im Haag. Es iſt ein Spazir-Ort. Biſt du denn nie in Brüſſel? Und warum nicht? Line iſt bei Moritz, ich geb’ ihr aber doch ihr Lohn. Ich habe ein Mädchen und einen Be- dienten, eſſe aus dem Wirthshaus, bin ſchlecht eingerichtet. Ohne Silber, ohne Porzelaine. In jedem Zimmer ein Sopha: vier Sopha’s hab’ ich. Gute Luft. Weiter nichts: und Bü- cher in Fülle. Das liebt Varnhagen. Lebe wohl, liebes Kind. Grüße Karl millionenmal von mir: und Louis. Friedrich Schlegel iſt beim Bundestag angeſtellt, ich habe ſie viel in Frankfurt geſehen, und noch im Herbſt: ſie iſt vortrefflich, wie ſie war, und beſſer: ſie iſt fromme Katholikin. Ja! ſprech du mit! Kein Fragen hilft zur Auskunft. Adieu, adieu.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/471
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/471>, abgerufen am 04.05.2024.