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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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leszent war. Gott behüte! Was soll man dazu sagen!
Das sind Schicksalsprügel; wovon die Flecke nicht vergehen.
Ich spreche auch von dir. Ich würde sagen, schone dich, er-
heitre dich; wenn ich nicht wüßte, daß dies ganz unnütz ist.
Man thut es doch nicht: im Gegentheil, man will sparen nach
großen Ausgaben, und meint schon viel schuldig zu sein, wenn
man nur jappt! So rinnt das Leben der Vernunfts- und
Schuldigkeits-Knechte hin! Ich aber esse doch jetzt jeden
Tag ein halbes Huhn: weil nichts so leicht Nahrung giebt,
und feinen lädirten Organisationen diese so sehr nöthig ist.
Mache dir auch Zerstreuung, bei deiner Eselsmilch: d. h. geh
an Orte, wo neue Gegenstände, Worte und Menschen dich
berühren, dir Blut, Leben, Nerven und Gedanken auffrischen.
Wir Frauen haben dies doppelt nöthig; indessen der Män-
ner Beschäftigung wenigstens in ihren eignen Augen auch Ge-
schäfte sind, die sie für wichtig halten müssen, in deren Aus-
übung ihre Ambition sich schmeichelt; worin sie ein Weiter-
kommen sehen, in welcher sie durch Menschenverkehr schon
bewegt werden: wenn wir nur immer herabziehende, die klei-
nen Ausgaben und Einrichtungen, die sich ganz nach der Män-
ner Stand beziehen müssen, Stückeleien vor uns haben. Es
ist Menschenunkunde, wenn sich die Leute einbilden, unser Geist
sei anders und zu andern Bedürfnissen konstituirt, und wir
könnten z. E. ganz von des Mannes oder Sohns Existenz
mitzehren. Diese Forderung entsteht nur aus der Voraus-
setzung, daß ein Weib in ihrer ganzen Seele nichts Höheres
kennte, als grade die Forderungen und Ansprüche ihres Man-
nes in der Welt: oder die Gaben und Wünsche ihrer Kinder:

leszent war. Gott behüte! Was ſoll man dazu ſagen!
Das ſind Schickſalsprügel; wovon die Flecke nicht vergehen.
Ich ſpreche auch von dir. Ich würde ſagen, ſchone dich, er-
heitre dich; wenn ich nicht wüßte, daß dies ganz unnütz iſt.
Man thut es doch nicht: im Gegentheil, man will ſparen nach
großen Ausgaben, und meint ſchon viel ſchuldig zu ſein, wenn
man nur jappt! So rinnt das Leben der Vernunfts- und
Schuldigkeits-Knechte hin! Ich aber eſſe doch jetzt jeden
Tag ein halbes Huhn: weil nichts ſo leicht Nahrung giebt,
und feinen lädirten Organiſationen dieſe ſo ſehr nöthig iſt.
Mache dir auch Zerſtreuung, bei deiner Eſelsmilch: d. h. geh
an Orte, wo neue Gegenſtände, Worte und Menſchen dich
berühren, dir Blut, Leben, Nerven und Gedanken auffriſchen.
Wir Frauen haben dies doppelt nöthig; indeſſen der Män-
ner Beſchäftigung wenigſtens in ihren eignen Augen auch Ge-
ſchäfte ſind, die ſie für wichtig halten müſſen, in deren Aus-
übung ihre Ambition ſich ſchmeichelt; worin ſie ein Weiter-
kommen ſehen, in welcher ſie durch Menſchenverkehr ſchon
bewegt werden: wenn wir nur immer herabziehende, die klei-
nen Ausgaben und Einrichtungen, die ſich ganz nach der Män-
ner Stand beziehen müſſen, Stückeleien vor uns haben. Es
iſt Menſchenunkunde, wenn ſich die Leute einbilden, unſer Geiſt
ſei anders und zu andern Bedürfniſſen konſtituirt, und wir
könnten z. E. ganz von des Mannes oder Sohns Exiſtenz
mitzehren. Dieſe Forderung entſteht nur aus der Voraus-
ſetzung, daß ein Weib in ihrer ganzen Seele nichts Höheres
kennte, als grade die Forderungen und Anſprüche ihres Man-
nes in der Welt: oder die Gaben und Wünſche ihrer Kinder:

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[564/0572] leszent war. Gott behüte! Was ſoll man dazu ſagen! Das ſind Schickſalsprügel; wovon die Flecke nicht vergehen. Ich ſpreche auch von dir. Ich würde ſagen, ſchone dich, er- heitre dich; wenn ich nicht wüßte, daß dies ganz unnütz iſt. Man thut es doch nicht: im Gegentheil, man will ſparen nach großen Ausgaben, und meint ſchon viel ſchuldig zu ſein, wenn man nur jappt! So rinnt das Leben der Vernunfts- und Schuldigkeits-Knechte hin! Ich aber eſſe doch jetzt jeden Tag ein halbes Huhn: weil nichts ſo leicht Nahrung giebt, und feinen lädirten Organiſationen dieſe ſo ſehr nöthig iſt. Mache dir auch Zerſtreuung, bei deiner Eſelsmilch: d. h. geh an Orte, wo neue Gegenſtände, Worte und Menſchen dich berühren, dir Blut, Leben, Nerven und Gedanken auffriſchen. Wir Frauen haben dies doppelt nöthig; indeſſen der Män- ner Beſchäftigung wenigſtens in ihren eignen Augen auch Ge- ſchäfte ſind, die ſie für wichtig halten müſſen, in deren Aus- übung ihre Ambition ſich ſchmeichelt; worin ſie ein Weiter- kommen ſehen, in welcher ſie durch Menſchenverkehr ſchon bewegt werden: wenn wir nur immer herabziehende, die klei- nen Ausgaben und Einrichtungen, die ſich ganz nach der Män- ner Stand beziehen müſſen, Stückeleien vor uns haben. Es iſt Menſchenunkunde, wenn ſich die Leute einbilden, unſer Geiſt ſei anders und zu andern Bedürfniſſen konſtituirt, und wir könnten z. E. ganz von des Mannes oder Sohns Exiſtenz mitzehren. Dieſe Forderung entſteht nur aus der Voraus- ſetzung, daß ein Weib in ihrer ganzen Seele nichts Höheres kennte, als grade die Forderungen und Anſprüche ihres Man- nes in der Welt: oder die Gaben und Wünſche ihrer Kinder:

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/572>, abgerufen am 30.04.2024.