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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Verstehen Sie? Auch braucht mein geschwächter lieber Körper
viel Ruhe. Der arme treue, hat alles ausstehen müssen. Er
ist sehr hin. Und doch noch brav: er will noch immer ge-
sund sein. Auch er war vortrefflich. Ich bin mit meinen
eigenen Gedanken, Einfällen, Ansichten vergnügt -- wenn
man mich nur zufrieden läßt; aber -- und kann keine Re-
chenschaft darüber geben. Ein wogendes großes Meer, mit
schlechtem und gutem Wetter; mit, ohne Sonne, mit tiefen
Farben, Spiegelungen, Geheimnissen, Produktionen, Dünsten,
Gewölk; Empörung, Himmelsruhe! -- Mit keinem Menschen
denk' ich über gewisse Dinge gleich: bespreche mich mit Vielen
über vieles. Viel mit Varnhagen, und doch wie verschieden.
Daß ich mit dem Wetter in unserm Klima nicht mehr zusam-
men sein kann, keinen Garten habe, ist ein sich über alle
Stunden erstreckender Verlust. Doch freue ich mich alte
Übel los zu sein, als unsinnige Liebe; die wir Unseligen in
Andern suchen, anstatt uns an der, die wir für Andre ha-
ben, zu ergötzen. Nur um dies recht zu machen, möcht' ich
noch Einmal jung sein. Jung möcht' ich schweigen wie
jetzt: das muß herrlich sein. Auch dumm. Ich könnte noch
eine Stunde dafür und dagegen sprechen. -- Lebten wir im
Grünen diesen Sommer zusammen, ehe wir nach dem stum-
men finstern Tod kommen! Ein anderes Leben, ist für dies
hier: der stumme finstre Tod. -- Alle Tage lese ich zwei Pa-
riser Zeitungen; das unterhält mich sehr. Im Ganzen ge-
nommen, geht es überall ziemlich gleich. In Amerika nur
gestaltet sich in etwas eine neue Art Leben. Es kann auf
den alten Mauern kein anderes, als das alte Gebäude entste-

Verſtehen Sie? Auch braucht mein geſchwächter lieber Körper
viel Ruhe. Der arme treue, hat alles ausſtehen müſſen. Er
iſt ſehr hin. Und doch noch brav: er will noch immer ge-
ſund ſein. Auch er war vortrefflich. Ich bin mit meinen
eigenen Gedanken, Einfällen, Anſichten vergnügt — wenn
man mich nur zufrieden läßt; aber — und kann keine Re-
chenſchaft darüber geben. Ein wogendes großes Meer, mit
ſchlechtem und gutem Wetter; mit, ohne Sonne, mit tiefen
Farben, Spiegelungen, Geheimniſſen, Produktionen, Dünſten,
Gewölk; Empörung, Himmelsruhe! — Mit keinem Menſchen
denk’ ich über gewiſſe Dinge gleich: beſpreche mich mit Vielen
über vieles. Viel mit Varnhagen, und doch wie verſchieden.
Daß ich mit dem Wetter in unſerm Klima nicht mehr zuſam-
men ſein kann, keinen Garten habe, iſt ein ſich über alle
Stunden erſtreckender Verluſt. Doch freue ich mich alte
Übel los zu ſein, als unſinnige Liebe; die wir Unſeligen in
Andern ſuchen, anſtatt uns an der, die wir für Andre ha-
ben, zu ergötzen. Nur um dies recht zu machen, möcht’ ich
noch Einmal jung ſein. Jung möcht’ ich ſchweigen wie
jetzt: das muß herrlich ſein. Auch dumm. Ich könnte noch
eine Stunde dafür und dagegen ſprechen. — Lebten wir im
Grünen dieſen Sommer zuſammen, ehe wir nach dem ſtum-
men finſtern Tod kommen! Ein anderes Leben, iſt für dies
hier: der ſtumme finſtre Tod. — Alle Tage leſe ich zwei Pa-
riſer Zeitungen; das unterhält mich ſehr. Im Ganzen ge-
nommen, geht es überall ziemlich gleich. In Amerika nur
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[187/0195] Verſtehen Sie? Auch braucht mein geſchwächter lieber Körper viel Ruhe. Der arme treue, hat alles ausſtehen müſſen. Er iſt ſehr hin. Und doch noch brav: er will noch immer ge- ſund ſein. Auch er war vortrefflich. Ich bin mit meinen eigenen Gedanken, Einfällen, Anſichten vergnügt — wenn man mich nur zufrieden läßt; aber — und kann keine Re- chenſchaft darüber geben. Ein wogendes großes Meer, mit ſchlechtem und gutem Wetter; mit, ohne Sonne, mit tiefen Farben, Spiegelungen, Geheimniſſen, Produktionen, Dünſten, Gewölk; Empörung, Himmelsruhe! — Mit keinem Menſchen denk’ ich über gewiſſe Dinge gleich: beſpreche mich mit Vielen über vieles. Viel mit Varnhagen, und doch wie verſchieden. Daß ich mit dem Wetter in unſerm Klima nicht mehr zuſam- men ſein kann, keinen Garten habe, iſt ein ſich über alle Stunden erſtreckender Verluſt. Doch freue ich mich alte Übel los zu ſein, als unſinnige Liebe; die wir Unſeligen in Andern ſuchen, anſtatt uns an der, die wir für Andre ha- ben, zu ergötzen. Nur um dies recht zu machen, möcht’ ich noch Einmal jung ſein. Jung möcht’ ich ſchweigen wie jetzt: das muß herrlich ſein. Auch dumm. Ich könnte noch eine Stunde dafür und dagegen ſprechen. — Lebten wir im Grünen dieſen Sommer zuſammen, ehe wir nach dem ſtum- men finſtern Tod kommen! Ein anderes Leben, iſt für dies hier: der ſtumme finſtre Tod. — Alle Tage leſe ich zwei Pa- riſer Zeitungen; das unterhält mich ſehr. Im Ganzen ge- nommen, geht es überall ziemlich gleich. In Amerika nur geſtaltet ſich in etwas eine neue Art Leben. Es kann auf den alten Mauern kein anderes, als das alte Gebäude entſte-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/195>, abgerufen am 29.04.2024.