Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

freuten sich die drei Frauen: wie schön fanden sie Weg, Thier-
garten, Charlottenburg, Schloß, Garten, alles! Auch ist es
sehr schön. Vor der Wache und dem Schloß war ein See.
Von Regen, den wir hier nicht so sehr gehabt hatten; dort
soll er zweimal gesündfluthet haben. Ganz satisfaisirt kamen
sie bei mir an, und sprachen es immer aus. Nachdem wir
uns etwas erholt hatten, und schon Thee tranken, kamen Wil-
lisen und Graf Yorck: beide berauscht von Mlle. Schechner;
berauscht. Langes Gespräch über Gesang, Spiel, Singe-
kunst, ihre Technik, ihre Bedeutung. Keine Übereinkunft, als
die, daß wir jeder ganz etwas anders verlangten. Ich: die
Behandlungsweise des Instruments -- in Brust, und Hals,
und Mund -- der Italiäner, die ihre Beobachtungen als Re-
geln festgehalten haben; und dann, Eingebungen eines tief
und leicht bewegten Herzens, und den Witz und Geist, der
unendliche Rapports auf's schnellste zu errathen und aus-
zudrücken versteht; und die hohe Seele, die das Erhabenste
erfaßt, auf Einfaches und Großes immer zurückkommt, nach-
dem aller Übermuth, und indem aller Übermuth des glück-
lichsten Vermögens versucht worden. Wovon meine Deutsch-
thümler in der Musik nichts wußten. Mir ist dabei klar ge-
worden, daß bei den Meisten auch ihre höheren Berührungen
und Anklänge, die ihnen Musik -- eigentlich nur erst Gesang
-- gewährt, nur vermittelst eines ganz sinnlichen Behagens
Eingang haben. Der Ton der Stimme an sich muß ihnen
schmeichlen. Sie können davon gar nicht abstrahiren. Die
Natur selbst, gestehe ich am ersten zu, muß eigentlich mit ei-
nem einzelnen Ton, mit jedem aus der Skala, Musik machen:

III. 19

freuten ſich die drei Frauen: wie ſchön fanden ſie Weg, Thier-
garten, Charlottenburg, Schloß, Garten, alles! Auch iſt es
ſehr ſchön. Vor der Wache und dem Schloß war ein See.
Von Regen, den wir hier nicht ſo ſehr gehabt hatten; dort
ſoll er zweimal geſündfluthet haben. Ganz ſatisfaiſirt kamen
ſie bei mir an, und ſprachen es immer aus. Nachdem wir
uns etwas erholt hatten, und ſchon Thee tranken, kamen Wil-
liſen und Graf Yorck: beide berauſcht von Mlle. Schechner;
berauſcht. Langes Geſpräch über Geſang, Spiel, Singe-
kunſt, ihre Technik, ihre Bedeutung. Keine Übereinkunft, als
die, daß wir jeder ganz etwas anders verlangten. Ich: die
Behandlungsweiſe des Inſtruments — in Bruſt, und Hals,
und Mund — der Italiäner, die ihre Beobachtungen als Re-
geln feſtgehalten haben; und dann, Eingebungen eines tief
und leicht bewegten Herzens, und den Witz und Geiſt, der
unendliche Rapports auf’s ſchnellſte zu errathen und aus-
zudrücken verſteht; und die hohe Seele, die das Erhabenſte
erfaßt, auf Einfaches und Großes immer zurückkommt, nach-
dem aller Übermuth, und indem aller Übermuth des glück-
lichſten Vermögens verſucht worden. Wovon meine Deutſch-
thümler in der Muſik nichts wußten. Mir iſt dabei klar ge-
worden, daß bei den Meiſten auch ihre höheren Berührungen
und Anklänge, die ihnen Muſik — eigentlich nur erſt Geſang
— gewährt, nur vermittelſt eines ganz ſinnlichen Behagens
Eingang haben. Der Ton der Stimme an ſich muß ihnen
ſchmeichlen. Sie können davon gar nicht abſtrahiren. Die
Natur ſelbſt, geſtehe ich am erſten zu, muß eigentlich mit ei-
nem einzelnen Ton, mit jedem aus der Skala, Muſik machen:

III. 19
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0297" n="289"/>
freuten &#x017F;ich die drei Frauen: wie &#x017F;chön fanden &#x017F;ie Weg, Thier-<lb/>
garten, Charlottenburg, Schloß, Garten, alles! Auch <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> es<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;chön. Vor der Wache und dem Schloß war ein <hi rendition="#g">See</hi>.<lb/>
Von Regen, den wir hier nicht &#x017F;o &#x017F;ehr gehabt hatten; dort<lb/>
&#x017F;oll er zweimal ge&#x017F;ündfluthet haben. Ganz &#x017F;atisfai&#x017F;irt kamen<lb/>
&#x017F;ie bei mir an, und &#x017F;prachen es immer aus. Nachdem wir<lb/>
uns etwas erholt hatten, und &#x017F;chon Thee tranken, kamen Wil-<lb/>
li&#x017F;en und Graf Yorck: beide berau&#x017F;cht von Mlle. Schechner;<lb/><hi rendition="#g">berau&#x017F;cht</hi>. Langes Ge&#x017F;präch über Ge&#x017F;ang, Spiel, Singe-<lb/>
kun&#x017F;t, ihre Technik, ihre Bedeutung. Keine Übereinkunft, als<lb/>
die, daß wir jeder ganz etwas anders verlangten. Ich: die<lb/>
Behandlungswei&#x017F;e des In&#x017F;truments &#x2014; in Bru&#x017F;t, und Hals,<lb/>
und Mund &#x2014; der Italiäner, die ihre Beobachtungen als Re-<lb/>
geln fe&#x017F;tgehalten haben; und dann, Eingebungen eines tief<lb/>
und leicht bewegten Herzens, und <hi rendition="#g">den</hi> Witz und Gei&#x017F;t, der<lb/>
unendliche Rapports <hi rendition="#g">auf&#x2019;s &#x017F;chnell&#x017F;te</hi> zu errathen und aus-<lb/>
zudrücken ver&#x017F;teht; und <hi rendition="#g">die</hi> hohe Seele, die das Erhaben&#x017F;te<lb/>
erfaßt, auf Einfaches und Großes immer <hi rendition="#g">zurückk</hi>ommt, nach-<lb/>
dem aller Übermuth, und <hi rendition="#g">indem</hi> aller <hi rendition="#g">Übermuth</hi> des glück-<lb/>
lich&#x017F;ten Vermögens ver&#x017F;ucht worden. Wovon meine Deut&#x017F;ch-<lb/>
thümler in der Mu&#x017F;ik nichts wußten. Mir i&#x017F;t dabei klar ge-<lb/>
worden, daß bei den Mei&#x017F;ten auch ihre höheren Berührungen<lb/>
und Anklänge, die ihnen Mu&#x017F;ik &#x2014; eigentlich nur er&#x017F;t Ge&#x017F;ang<lb/>
&#x2014; gewährt, nur vermittel&#x017F;t eines ganz &#x017F;innlichen Behagens<lb/>
Eingang haben. Der Ton der Stimme an &#x017F;ich muß ihnen<lb/>
&#x017F;chmeichlen. Sie können davon gar nicht ab&#x017F;trahiren. Die<lb/>
Natur &#x017F;elb&#x017F;t, ge&#x017F;tehe ich am er&#x017F;ten zu, muß eigentlich mit ei-<lb/>
nem einzelnen Ton, mit jedem aus der Skala, Mu&#x017F;ik machen:<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III.</hi> 19</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0297] freuten ſich die drei Frauen: wie ſchön fanden ſie Weg, Thier- garten, Charlottenburg, Schloß, Garten, alles! Auch iſt es ſehr ſchön. Vor der Wache und dem Schloß war ein See. Von Regen, den wir hier nicht ſo ſehr gehabt hatten; dort ſoll er zweimal geſündfluthet haben. Ganz ſatisfaiſirt kamen ſie bei mir an, und ſprachen es immer aus. Nachdem wir uns etwas erholt hatten, und ſchon Thee tranken, kamen Wil- liſen und Graf Yorck: beide berauſcht von Mlle. Schechner; berauſcht. Langes Geſpräch über Geſang, Spiel, Singe- kunſt, ihre Technik, ihre Bedeutung. Keine Übereinkunft, als die, daß wir jeder ganz etwas anders verlangten. Ich: die Behandlungsweiſe des Inſtruments — in Bruſt, und Hals, und Mund — der Italiäner, die ihre Beobachtungen als Re- geln feſtgehalten haben; und dann, Eingebungen eines tief und leicht bewegten Herzens, und den Witz und Geiſt, der unendliche Rapports auf’s ſchnellſte zu errathen und aus- zudrücken verſteht; und die hohe Seele, die das Erhabenſte erfaßt, auf Einfaches und Großes immer zurückkommt, nach- dem aller Übermuth, und indem aller Übermuth des glück- lichſten Vermögens verſucht worden. Wovon meine Deutſch- thümler in der Muſik nichts wußten. Mir iſt dabei klar ge- worden, daß bei den Meiſten auch ihre höheren Berührungen und Anklänge, die ihnen Muſik — eigentlich nur erſt Geſang — gewährt, nur vermittelſt eines ganz ſinnlichen Behagens Eingang haben. Der Ton der Stimme an ſich muß ihnen ſchmeichlen. Sie können davon gar nicht abſtrahiren. Die Natur ſelbſt, geſtehe ich am erſten zu, muß eigentlich mit ei- nem einzelnen Ton, mit jedem aus der Skala, Muſik machen: III. 19

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/297
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/297>, abgerufen am 30.04.2024.