Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

freund! Geh nur nach Weimar; und versäume das nicht,
wie Friedrich Schlegeln. Es krepirt mich. Kostet mich viel-
leicht eine halbe Reise nach Wien: halb mache ich sie wegen
der italiänischen Oper, wenn eine gute Truppe dort ist. Nous
verrons: je ne m'engage a rien; rien
ist mein Wahlspruch.
Du siehst, wie viel ich dabei thue und hanthiere: nur kein
Treiben! -- Willisen sagte vorgestern -- es entzückte mich --
"Sie sind aber jetzt sehr wohl; unbeschrieen!" Unbeschrieen.
Das ist als wenn meine Freunde beim Datum das Wetter
setzen. Ist das Herrschsucht? Gar nicht; ein Bedürfniß nach
Liebesbeweisen; die aus mir immer herausströmen. -- Nun
werd' ich wohl keinen Brief mehr auf die Post schicken; aber
doch vielleicht ein kleines Lebenszeichen, sonst eilst du ohne
Weimar nach Hause. Ich freue mich wie du: aber du sollst
alles sehn, und in dir haben; ich genieße es mit, in jedem
Sinn. -- Sollst alles schön finden. Adieu! Grüße in Weimar.




Durch Liebe erfährt man nur, daß man selbst existirt,
sonst wüßten wir nur von Dingen und Gedanken. Denn: wir
machen unser Ich kontinuirlich, und können es nur in der Ver-
gangenheit betrachten, wenn auch in der nächsten; als Ganzes se-
hen wir nur den Andern. Wir lieben nur Andere, nicht uns.



Der größte Philosoph kann nicht anders antworten, als
der geringste nicht tolle Mensch: die Fragen richtig zu stellen,
auf die es ankommt; und den Weg zu bahnen, ihn aufzu-
räumen, keine falsche Frage beantworten lassen zu wollen, ist

freund! Geh nur nach Weimar; und verſäume das nicht,
wie Friedrich Schlegeln. Es krepirt mich. Koſtet mich viel-
leicht eine halbe Reiſe nach Wien: halb mache ich ſie wegen
der italiäniſchen Oper, wenn eine gute Truppe dort iſt. Nous
verrons: je ne m’engage à rien; rien
iſt mein Wahlſpruch.
Du ſiehſt, wie viel ich dabei thue und hanthiere: nur kein
Treiben! — Williſen ſagte vorgeſtern — es entzückte mich —
„Sie ſind aber jetzt ſehr wohl; unbeſchrieen!“ Unbeſchrieen.
Das iſt als wenn meine Freunde beim Datum das Wetter
ſetzen. Iſt das Herrſchſucht? Gar nicht; ein Bedürfniß nach
Liebesbeweiſen; die aus mir immer herausſtrömen. — Nun
werd’ ich wohl keinen Brief mehr auf die Poſt ſchicken; aber
doch vielleicht ein kleines Lebenszeichen, ſonſt eilſt du ohne
Weimar nach Hauſe. Ich freue mich wie du: aber du ſollſt
alles ſehn, und in dir haben; ich genieße es mit, in jedem
Sinn. — Sollſt alles ſchön finden. Adieu! Grüße in Weimar.




Durch Liebe erfährt man nur, daß man ſelbſt exiſtirt,
ſonſt wüßten wir nur von Dingen und Gedanken. Denn: wir
machen unſer Ich kontinuirlich, und können es nur in der Ver-
gangenheit betrachten, wenn auch in der nächſten; als Ganzes ſe-
hen wir nur den Andern. Wir lieben nur Andere, nicht uns.



Der größte Philoſoph kann nicht anders antworten, als
der geringſte nicht tolle Menſch: die Fragen richtig zu ſtellen,
auf die es ankommt; und den Weg zu bahnen, ihn aufzu-
räumen, keine falſche Frage beantworten laſſen zu wollen, iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0317" n="309"/>
freund! Geh nur nach Weimar; und ver&#x017F;äume das nicht,<lb/>
wie Friedrich Schlegeln. Es krepirt mich. Ko&#x017F;tet mich viel-<lb/>
leicht eine halbe Rei&#x017F;e nach Wien: halb mache ich &#x017F;ie wegen<lb/>
der italiäni&#x017F;chen Oper, wenn eine gute Truppe dort i&#x017F;t. <hi rendition="#aq">Nous<lb/>
verrons: je ne m&#x2019;engage à <hi rendition="#g">rien; rien</hi></hi> i&#x017F;t mein Wahl&#x017F;pruch.<lb/>
Du &#x017F;ieh&#x017F;t, wie viel ich dabei thue und hanthiere: nur kein<lb/>
Treiben! &#x2014; Willi&#x017F;en &#x017F;agte vorge&#x017F;tern &#x2014; es entzückte mich &#x2014;<lb/>
&#x201E;Sie &#x017F;ind aber jetzt &#x017F;ehr wohl; unbe&#x017F;chrieen!&#x201C; Unbe&#x017F;chrieen.<lb/>
Das i&#x017F;t als wenn meine Freunde beim Datum das Wetter<lb/>
&#x017F;etzen. I&#x017F;t das Herr&#x017F;ch&#x017F;ucht? <hi rendition="#g">Gar</hi> nicht; ein Bedürfniß nach<lb/>
Liebesbewei&#x017F;en; die <hi rendition="#g">aus mir</hi> immer heraus<hi rendition="#g">&#x017F;trömen</hi>. &#x2014; Nun<lb/>
werd&#x2019; ich wohl keinen Brief mehr auf die Po&#x017F;t &#x017F;chicken; aber<lb/>
doch vielleicht ein kleines Lebenszeichen, &#x017F;on&#x017F;t eil&#x017F;t du ohne<lb/>
Weimar nach Hau&#x017F;e. Ich freue mich <hi rendition="#g">wie du</hi>: aber du &#x017F;oll&#x017F;t<lb/>
alles &#x017F;ehn, und in dir haben; ich genieße es mit, in jedem<lb/>
Sinn. &#x2014; Soll&#x017F;t alles &#x017F;chön finden. Adieu! Grüße in Weimar.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">September, 1827.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Durch Liebe erfährt man nur, daß man &#x017F;elb&#x017F;t exi&#x017F;tirt,<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t wüßten wir nur von Dingen und Gedanken. Denn: wir<lb/>
machen un&#x017F;er Ich kontinuirlich, und können es nur in der Ver-<lb/>
gangenheit betrachten, wenn auch in der näch&#x017F;ten; als Ganzes &#x017F;e-<lb/>
hen wir nur den Andern. Wir lieben nur Andere, nicht uns.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Der größte Philo&#x017F;oph kann nicht anders antworten, als<lb/>
der gering&#x017F;te nicht tolle Men&#x017F;ch: die Fragen richtig zu &#x017F;tellen,<lb/>
auf die es ankommt; und den Weg zu bahnen, ihn aufzu-<lb/>
räumen, keine fal&#x017F;che Frage beantworten la&#x017F;&#x017F;en zu wollen, i&#x017F;t<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0317] freund! Geh nur nach Weimar; und verſäume das nicht, wie Friedrich Schlegeln. Es krepirt mich. Koſtet mich viel- leicht eine halbe Reiſe nach Wien: halb mache ich ſie wegen der italiäniſchen Oper, wenn eine gute Truppe dort iſt. Nous verrons: je ne m’engage à rien; rien iſt mein Wahlſpruch. Du ſiehſt, wie viel ich dabei thue und hanthiere: nur kein Treiben! — Williſen ſagte vorgeſtern — es entzückte mich — „Sie ſind aber jetzt ſehr wohl; unbeſchrieen!“ Unbeſchrieen. Das iſt als wenn meine Freunde beim Datum das Wetter ſetzen. Iſt das Herrſchſucht? Gar nicht; ein Bedürfniß nach Liebesbeweiſen; die aus mir immer herausſtrömen. — Nun werd’ ich wohl keinen Brief mehr auf die Poſt ſchicken; aber doch vielleicht ein kleines Lebenszeichen, ſonſt eilſt du ohne Weimar nach Hauſe. Ich freue mich wie du: aber du ſollſt alles ſehn, und in dir haben; ich genieße es mit, in jedem Sinn. — Sollſt alles ſchön finden. Adieu! Grüße in Weimar. September, 1827. Durch Liebe erfährt man nur, daß man ſelbſt exiſtirt, ſonſt wüßten wir nur von Dingen und Gedanken. Denn: wir machen unſer Ich kontinuirlich, und können es nur in der Ver- gangenheit betrachten, wenn auch in der nächſten; als Ganzes ſe- hen wir nur den Andern. Wir lieben nur Andere, nicht uns. Der größte Philoſoph kann nicht anders antworten, als der geringſte nicht tolle Menſch: die Fragen richtig zu ſtellen, auf die es ankommt; und den Weg zu bahnen, ihn aufzu- räumen, keine falſche Frage beantworten laſſen zu wollen, iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/317
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/317>, abgerufen am 28.04.2024.