Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

in mir selbst nur Lobendes von ihr; und fand sie weit, weit
besser, als ich sie mir nur irgend, nach allen Erzählungen von
ihr, denken konnte. Ihr Gesicht aber ist sonderbar: und noch
find' ich in ihr nichts von dem: und deßwegen will ich es
hier festhalten. Im Profil kann sie fast wie garstig sein:
fixirt man sie en face von dem Haar herab -- engelhaft
schön! Das aber ist das Sonderbare nicht: es liegt in der
Formation der Gesichtsknochen, die sich eben im Profil nicht
schön zeigen; an den an sich schönen Augen, die den süßesten,
vortrefflichsten, freudigsten, unschuldigsten Ausdruck von ihr
annehmen; und an den zu schönen Farben für den Bau des
Gesichts -- welches jedesmal eine grelle Beleidigung zuwege
bringt. -- Was mir aber sonderbar vorkommt, weil es mir
noch unerklärt ist, und sogleich wahrnehmlich war, ist der
wechselnde Ausdruck ihres Gesichts von drei, vier, verschiede-
nen Personen, die ungemischt hintereinander erscheinen; (das
hab' ich in ihrem Wesen nicht finden können, obgleich schon
gesucht, eben nach dem Gesichte;) bald ganz hart, leiden-
schaftlich, unharmonisch, nicht von Bildung -- innrer -- ge-
mildert, zerzerrt fast; bald himmelkundig, kinderhaft, sanft,
freudig, vollkommen gebildet. Sollte das doch von den schö-
nen Farben, und den minder schönen Formen, von face und
Profil, von Kopfwendung, und der Richtung unserer eigenen
Augen auf all dieses kommen? Eins ist ausgemacht: ihr
Mund ist nicht gebildet -- was oft ein fast unförmlicher doch
sein kann, -- aber in ihr habe ich noch nichts gesehn, was
dem entspräche. Es ist eine ungemeine Frau: und kann auch

21 *

in mir ſelbſt nur Lobendes von ihr; und fand ſie weit, weit
beſſer, als ich ſie mir nur irgend, nach allen Erzählungen von
ihr, denken konnte. Ihr Geſicht aber iſt ſonderbar: und noch
find’ ich in ihr nichts von dem: und deßwegen will ich es
hier feſthalten. Im Profil kann ſie faſt wie garſtig ſein:
fixirt man ſie en face von dem Haar herab — engelhaft
ſchön! Das aber iſt das Sonderbare nicht: es liegt in der
Formation der Geſichtsknochen, die ſich eben im Profil nicht
ſchön zeigen; an den an ſich ſchönen Augen, die den ſüßeſten,
vortrefflichſten, freudigſten, unſchuldigſten Ausdruck von ihr
annehmen; und an den zu ſchönen Farben für den Bau des
Geſichts — welches jedesmal eine grelle Beleidigung zuwege
bringt. — Was mir aber ſonderbar vorkommt, weil es mir
noch unerklärt iſt, und ſogleich wahrnehmlich war, iſt der
wechſelnde Ausdruck ihres Geſichts von drei, vier, verſchiede-
nen Perſonen, die ungemiſcht hintereinander erſcheinen; (das
hab’ ich in ihrem Weſen nicht finden können, obgleich ſchon
geſucht, eben nach dem Geſichte;) bald ganz hart, leiden-
ſchaftlich, unharmoniſch, nicht von Bildung — innrer — ge-
mildert, zerzerrt faſt; bald himmelkundig, kinderhaft, ſanft,
freudig, vollkommen gebildet. Sollte das doch von den ſchö-
nen Farben, und den minder ſchönen Formen, von face und
Profil, von Kopfwendung, und der Richtung unſerer eigenen
Augen auf all dieſes kommen? Eins iſt ausgemacht: ihr
Mund iſt nicht gebildet — was oft ein faſt unförmlicher doch
ſein kann, — aber in ihr habe ich noch nichts geſehn, was
dem entſpräche. Es iſt eine ungemeine Frau: und kann auch

21 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0331" n="323"/>
in mir &#x017F;elb&#x017F;t nur Lobendes von ihr; und fand &#x017F;ie weit, weit<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, als ich &#x017F;ie mir nur irgend, nach allen Erzählungen von<lb/>
ihr, denken konnte. Ihr Ge&#x017F;icht aber i&#x017F;t &#x017F;onderbar: und noch<lb/>
find&#x2019; ich in ihr nichts von dem: und deßwegen will ich es<lb/>
hier fe&#x017F;thalten. Im Profil kann &#x017F;ie fa&#x017F;t wie gar&#x017F;tig &#x017F;ein:<lb/><hi rendition="#g">fixirt</hi> man &#x017F;ie <hi rendition="#aq">en face</hi> von dem Haar herab &#x2014; <hi rendition="#g">engelhaft</hi><lb/>
&#x017F;chön! Das aber i&#x017F;t das Sonderbare nicht: es liegt in der<lb/>
Formation der Ge&#x017F;ichtsknochen, die &#x017F;ich eben im Profil nicht<lb/>
&#x017F;chön zeigen; an den an &#x017F;ich &#x017F;chönen Augen, die den &#x017F;üße&#x017F;ten,<lb/>
vortrefflich&#x017F;ten, freudig&#x017F;ten, un&#x017F;chuldig&#x017F;ten Ausdruck von ihr<lb/>
annehmen; und an den zu &#x017F;chönen Farben für den Bau des<lb/>
Ge&#x017F;ichts &#x2014; welches jedesmal eine grelle Beleidigung zuwege<lb/>
bringt. &#x2014; Was mir aber &#x017F;onderbar vorkommt, weil es mir<lb/>
noch unerklärt i&#x017F;t, und &#x017F;ogleich wahrnehmlich war, i&#x017F;t der<lb/>
wech&#x017F;elnde Ausdruck ihres Ge&#x017F;ichts von drei, vier, ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Per&#x017F;onen, die ungemi&#x017F;cht hintereinander er&#x017F;cheinen; (das<lb/>
hab&#x2019; ich in ihrem We&#x017F;en nicht finden können, obgleich &#x017F;chon<lb/>
ge&#x017F;ucht, eben nach dem Ge&#x017F;ichte;) bald ganz hart, leiden-<lb/>
&#x017F;chaftlich, unharmoni&#x017F;ch, nicht von Bildung &#x2014; innrer &#x2014; ge-<lb/>
mildert, zerzerrt fa&#x017F;t; bald himmelkundig, kinderhaft, &#x017F;anft,<lb/>
freudig, vollkommen gebildet. Sollte das doch von den &#x017F;chö-<lb/>
nen Farben, und den minder &#x017F;chönen Formen, von <hi rendition="#aq">face</hi> und<lb/>
Profil, von Kopfwendung, und der Richtung un&#x017F;erer eigenen<lb/>
Augen auf all die&#x017F;es kommen? Eins i&#x017F;t ausgemacht: ihr<lb/>
Mund i&#x017F;t nicht gebildet &#x2014; was oft ein fa&#x017F;t unförmlicher doch<lb/>
&#x017F;ein kann, &#x2014; aber in ihr habe ich noch nichts ge&#x017F;ehn, was<lb/>
dem ent&#x017F;präche. Es i&#x017F;t eine ungemeine Frau: und kann auch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">21 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0331] in mir ſelbſt nur Lobendes von ihr; und fand ſie weit, weit beſſer, als ich ſie mir nur irgend, nach allen Erzählungen von ihr, denken konnte. Ihr Geſicht aber iſt ſonderbar: und noch find’ ich in ihr nichts von dem: und deßwegen will ich es hier feſthalten. Im Profil kann ſie faſt wie garſtig ſein: fixirt man ſie en face von dem Haar herab — engelhaft ſchön! Das aber iſt das Sonderbare nicht: es liegt in der Formation der Geſichtsknochen, die ſich eben im Profil nicht ſchön zeigen; an den an ſich ſchönen Augen, die den ſüßeſten, vortrefflichſten, freudigſten, unſchuldigſten Ausdruck von ihr annehmen; und an den zu ſchönen Farben für den Bau des Geſichts — welches jedesmal eine grelle Beleidigung zuwege bringt. — Was mir aber ſonderbar vorkommt, weil es mir noch unerklärt iſt, und ſogleich wahrnehmlich war, iſt der wechſelnde Ausdruck ihres Geſichts von drei, vier, verſchiede- nen Perſonen, die ungemiſcht hintereinander erſcheinen; (das hab’ ich in ihrem Weſen nicht finden können, obgleich ſchon geſucht, eben nach dem Geſichte;) bald ganz hart, leiden- ſchaftlich, unharmoniſch, nicht von Bildung — innrer — ge- mildert, zerzerrt faſt; bald himmelkundig, kinderhaft, ſanft, freudig, vollkommen gebildet. Sollte das doch von den ſchö- nen Farben, und den minder ſchönen Formen, von face und Profil, von Kopfwendung, und der Richtung unſerer eigenen Augen auf all dieſes kommen? Eins iſt ausgemacht: ihr Mund iſt nicht gebildet — was oft ein faſt unförmlicher doch ſein kann, — aber in ihr habe ich noch nichts geſehn, was dem entſpräche. Es iſt eine ungemeine Frau: und kann auch 21 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/331
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/331>, abgerufen am 27.04.2024.