Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

für einen bestimmten Zustand; sinnvoll, zum Sinnvollen ein-
gerichtet; der auseinandergerissen -- ist Unsinn; den zu fühlen,
Schmerz. Genug! -- Ich bin etwas im Innern verändert
nach dieser Krankheit, benennen und bezeichnen kann ich die
Veränderung noch nicht. Ich fühle mich wie beleidigt;
und bedarf einer Satisfaktion durch ein evenement: und doch
bin ich bis zum Tod resignirt und gefaßt: mitteninne sehr
munter, also schwankend, und unausstehlich. So etwas wie
ein Geist, der sich noch seinen Rest leben sieht. Kurz, nicht
zum beschreiben: noch nicht wenigstens. -- Gerne möchte ich
Ihnen würdig für Ihr Schreiben, Ihren Antheil danken: und
doch kann ich's nicht: es preßt sich im Herzen und will nicht
heraus, glimpf und schön, wie bei Ihnen. Dafür will ich
Ihnen unterdeß ein Vergnügen schaffen: lesen Sie die Gedichte
des Königs von Baiern, die haben in der Konvaleszenz meine
Seele erfreut. Nicht Eine Flause, nichts Nachgesagtes. Alles
selbst gefunden, erfunden, durchaus edel, voller Herz und Le-
ben. Liebe ist eine wichtige, die wichtigste Angelegenheit für
dies Herz: Menschenliebe steht ihr nicht nach. In den Jahr-
büchern der Litteratur ist er würdig rezensirt (von Wilhelm
Neumann), wie jeder andere Litterator; diese Ehre verdient er
ganz. Ich nahm die Gedichte mit dem größten Vorurtheil
zur Hand; ich dachte: neueres Geschwätz, wie alle: aber das
ist an ihm herabgeflossen, wie Regen und Wetter an einem
hohen, festen Fels. Ihr Landsmann wird Sie freuen. -- --



für einen beſtimmten Zuſtand; ſinnvoll, zum Sinnvollen ein-
gerichtet; der auseinandergeriſſen — iſt Unſinn; den zu fühlen,
Schmerz. Genug! — Ich bin etwas im Innern verändert
nach dieſer Krankheit, benennen und bezeichnen kann ich die
Veränderung noch nicht. Ich fühle mich wie beleidigt;
und bedarf einer Satisfaktion durch ein événement: und doch
bin ich bis zum Tod reſignirt und gefaßt: mitteninne ſehr
munter, alſo ſchwankend, und unausſtehlich. So etwas wie
ein Geiſt, der ſich noch ſeinen Reſt leben ſieht. Kurz, nicht
zum beſchreiben: noch nicht wenigſtens. — Gerne möchte ich
Ihnen würdig für Ihr Schreiben, Ihren Antheil danken: und
doch kann ich’s nicht: es preßt ſich im Herzen und will nicht
heraus, glimpf und ſchön, wie bei Ihnen. Dafür will ich
Ihnen unterdeß ein Vergnügen ſchaffen: leſen Sie die Gedichte
des Königs von Baiern, die haben in der Konvaleszenz meine
Seele erfreut. Nicht Eine Flauſe, nichts Nachgeſagtes. Alles
ſelbſt gefunden, erfunden, durchaus edel, voller Herz und Le-
ben. Liebe iſt eine wichtige, die wichtigſte Angelegenheit für
dies Herz: Menſchenliebe ſteht ihr nicht nach. In den Jahr-
büchern der Litteratur iſt er würdig rezenſirt (von Wilhelm
Neumann), wie jeder andere Litterator; dieſe Ehre verdient er
ganz. Ich nahm die Gedichte mit dem größten Vorurtheil
zur Hand; ich dachte: neueres Geſchwätz, wie alle: aber das
iſt an ihm herabgefloſſen, wie Regen und Wetter an einem
hohen, feſten Fels. Ihr Landsmann wird Sie freuen. — —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0402" n="394"/>
für einen be&#x017F;timmten Zu&#x017F;tand; &#x017F;innvoll, zum Sinnvollen ein-<lb/>
gerichtet; der auseinandergeri&#x017F;&#x017F;en &#x2014; i&#x017F;t Un&#x017F;inn; den zu fühlen,<lb/>
Schmerz. Genug! &#x2014; Ich bin etwas im Innern verändert<lb/>
nach die&#x017F;er Krankheit, benennen und bezeichnen kann ich die<lb/>
Veränderung noch nicht. Ich fühle mich <hi rendition="#g">wie beleidigt</hi>;<lb/>
und bedarf einer Satisfaktion durch ein <hi rendition="#aq">événement:</hi> und doch<lb/>
bin ich bis zum Tod re&#x017F;ignirt und gefaßt: mitteninne &#x017F;ehr<lb/>
munter, al&#x017F;o &#x017F;chwankend, und unaus&#x017F;tehlich. So etwas wie<lb/>
ein Gei&#x017F;t, der &#x017F;ich noch &#x017F;einen Re&#x017F;t leben &#x017F;ieht. Kurz, nicht<lb/>
zum be&#x017F;chreiben: <hi rendition="#g">noch</hi> nicht wenig&#x017F;tens. &#x2014; Gerne möchte ich<lb/>
Ihnen würdig für Ihr Schreiben, Ihren Antheil danken: und<lb/>
doch kann ich&#x2019;s nicht: es preßt &#x017F;ich im Herzen und will nicht<lb/>
heraus, glimpf und &#x017F;chön, wie bei Ihnen. Dafür will ich<lb/>
Ihnen unterdeß ein Vergnügen &#x017F;chaffen: le&#x017F;en Sie die Gedichte<lb/>
des Königs von Baiern, die haben in der Konvaleszenz meine<lb/>
Seele erfreut. Nicht Eine Flau&#x017F;e, nichts Nachge&#x017F;agtes. Alles<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t gefunden, erfunden, durchaus edel, voller Herz und Le-<lb/>
ben. Liebe i&#x017F;t eine wichtige, die wichtig&#x017F;te Angelegenheit für<lb/>
dies Herz: Men&#x017F;chenliebe &#x017F;teht ihr nicht nach. In den Jahr-<lb/>
büchern der Litteratur i&#x017F;t er würdig rezen&#x017F;irt (von Wilhelm<lb/>
Neumann), wie jeder andere Litterator; die&#x017F;e Ehre verdient er<lb/>
ganz. Ich nahm die Gedichte mit dem größten Vorurtheil<lb/>
zur Hand; ich dachte: neueres Ge&#x017F;chwätz, wie alle: aber das<lb/>
i&#x017F;t an ihm herabgeflo&#x017F;&#x017F;en, wie Regen und Wetter an einem<lb/>
hohen, fe&#x017F;ten Fels. Ihr Landsmann wird Sie freuen. &#x2014; &#x2014;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[394/0402] für einen beſtimmten Zuſtand; ſinnvoll, zum Sinnvollen ein- gerichtet; der auseinandergeriſſen — iſt Unſinn; den zu fühlen, Schmerz. Genug! — Ich bin etwas im Innern verändert nach dieſer Krankheit, benennen und bezeichnen kann ich die Veränderung noch nicht. Ich fühle mich wie beleidigt; und bedarf einer Satisfaktion durch ein événement: und doch bin ich bis zum Tod reſignirt und gefaßt: mitteninne ſehr munter, alſo ſchwankend, und unausſtehlich. So etwas wie ein Geiſt, der ſich noch ſeinen Reſt leben ſieht. Kurz, nicht zum beſchreiben: noch nicht wenigſtens. — Gerne möchte ich Ihnen würdig für Ihr Schreiben, Ihren Antheil danken: und doch kann ich’s nicht: es preßt ſich im Herzen und will nicht heraus, glimpf und ſchön, wie bei Ihnen. Dafür will ich Ihnen unterdeß ein Vergnügen ſchaffen: leſen Sie die Gedichte des Königs von Baiern, die haben in der Konvaleszenz meine Seele erfreut. Nicht Eine Flauſe, nichts Nachgeſagtes. Alles ſelbſt gefunden, erfunden, durchaus edel, voller Herz und Le- ben. Liebe iſt eine wichtige, die wichtigſte Angelegenheit für dies Herz: Menſchenliebe ſteht ihr nicht nach. In den Jahr- büchern der Litteratur iſt er würdig rezenſirt (von Wilhelm Neumann), wie jeder andere Litterator; dieſe Ehre verdient er ganz. Ich nahm die Gedichte mit dem größten Vorurtheil zur Hand; ich dachte: neueres Geſchwätz, wie alle: aber das iſt an ihm herabgefloſſen, wie Regen und Wetter an einem hohen, feſten Fels. Ihr Landsmann wird Sie freuen. — —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/402
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/402>, abgerufen am 10.06.2024.