Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

letztern oft. Mit Mocenigo ist leicht und heiter leben; und
wir haben viel gesellige Rapports, aus Österreich, und hier:
auch ist es angenehm einen österreichischen Venetianer, mit
drei ihm natürlichen Sprachen, und Musikliebe, zu haben, der
da liest, und an den meisten Dingen guten natürlichen Antheil
nimmt. Willisen hat eine allerliebste Frau; mit der, und Grä-
fin Yorck, ich auch einen sehr guten Anfang gemacht habe.
Vortreffliche Frauenzimmer. Gescheidt, natürlich, frei, un-
terrichtet, singen z. B. beide wie die Engel. Willisen, wie
Sie ihn kennen: Graf Yorck, auch unveränderlich: oder viel-
mehr unverändert. Mit Graf Naczynski fühlt' ich gleich, als
ich ihn das erstemal sah vorigen Winter, einen innren Rap-
port; auch er besuchte mich bald nachher, und ich wüßte doch
nichts, was ihn dazu bestimmen konnte, als auch eben der-
gleichen. Nicht, daß wir nicht sehr verschieden dächten, über
sehr viele und wichtige Dinge! -- für mich ist das aber nur
anscheinend. Seine Position, Nationalität, und die Weise,
wie er zu seinem Meinen gekommen ist, sind gewiß sehr ver-
schieden von denen, wodurch ich zu dem meinigen gebracht
bin; wie das Meinen selbst: aber er hat eine Zartheit in sich,
ja ich möchte es ein Wundes nennen, welches meine Zartheit,
meine Feinheit, mein Wundes auf der Stelle heraus
fühlte: und so auch mag's ihm ergangen sein; denn ich bin
gewiß, so wie mir seine gentleman'sche, leise Urbanität gefällt,
und er meinen originalisme, der gar keine Erziehung anneh-
men will, und ihn öfters zu derb (wenn auch mit meinem
Bewußtsein) berührt, nicht kann unbemerkt gelassen haben, so
fand er doch einen innen feinen Anklang verborgen, der ihn

27 *

letztern oft. Mit Mocenigo iſt leicht und heiter leben; und
wir haben viel geſellige Rapports, aus Öſterreich, und hier:
auch iſt es angenehm einen öſterreichiſchen Venetianer, mit
drei ihm natürlichen Sprachen, und Muſikliebe, zu haben, der
da lieſt, und an den meiſten Dingen guten natürlichen Antheil
nimmt. Williſen hat eine allerliebſte Frau; mit der, und Grä-
fin Yorck, ich auch einen ſehr guten Anfang gemacht habe.
Vortreffliche Frauenzimmer. Geſcheidt, natürlich, frei, un-
terrichtet, ſingen z. B. beide wie die Engel. Williſen, wie
Sie ihn kennen: Graf Yorck, auch unveränderlich: oder viel-
mehr unverändert. Mit Graf Naczynski fühlt’ ich gleich, als
ich ihn das erſtemal ſah vorigen Winter, einen innren Rap-
port; auch er beſuchte mich bald nachher, und ich wüßte doch
nichts, was ihn dazu beſtimmen konnte, als auch eben der-
gleichen. Nicht, daß wir nicht ſehr verſchieden dächten, über
ſehr viele und wichtige Dinge! — für mich iſt das aber nur
anſcheinend. Seine Poſition, Nationalität, und die Weiſe,
wie er zu ſeinem Meinen gekommen iſt, ſind gewiß ſehr ver-
ſchieden von denen, wodurch ich zu dem meinigen gebracht
bin; wie das Meinen ſelbſt: aber er hat eine Zartheit in ſich,
ja ich möchte es ein Wundes nennen, welches meine Zartheit,
meine Feinheit, mein Wundes auf der Stelle heraus
fühlte: und ſo auch mag’s ihm ergangen ſein; denn ich bin
gewiß, ſo wie mir ſeine gentleman’ſche, leiſe Urbanität gefällt,
und er meinen originalisme, der gar keine Erziehung anneh-
men will, und ihn öfters zu derb (wenn auch mit meinem
Bewußtſein) berührt, nicht kann unbemerkt gelaſſen haben, ſo
fand er doch einen innen feinen Anklang verborgen, der ihn

27 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0427" n="419"/>
letztern oft. Mit Mocenigo i&#x017F;t leicht und heiter leben; und<lb/>
wir haben viel ge&#x017F;ellige Rapports, aus Ö&#x017F;terreich, und hier:<lb/>
auch i&#x017F;t es angenehm einen ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Venetianer, mit<lb/>
drei ihm natürlichen Sprachen, und Mu&#x017F;ikliebe, zu haben, der<lb/>
da lie&#x017F;t, und an den mei&#x017F;ten Dingen guten natürlichen Antheil<lb/>
nimmt. Willi&#x017F;en hat eine allerlieb&#x017F;te Frau; mit der, und Grä-<lb/>
fin Yorck, ich auch einen &#x017F;ehr guten Anfang gemacht habe.<lb/><hi rendition="#g">Vortreffliche</hi> Frauenzimmer. Ge&#x017F;cheidt, natürlich, frei, un-<lb/>
terrichtet, &#x017F;ingen z. B. beide wie die <hi rendition="#g">Engel</hi>. Willi&#x017F;en, <hi rendition="#g">wie</hi><lb/>
Sie ihn kennen: Graf Yorck, auch unveränderlich: oder viel-<lb/>
mehr unverändert. Mit Graf Naczynski fühlt&#x2019; ich gleich, als<lb/>
ich ihn das er&#x017F;temal &#x017F;ah vorigen Winter, einen innren Rap-<lb/>
port; auch er be&#x017F;uchte mich bald nachher, und ich wüßte doch<lb/>
nichts, was ihn dazu be&#x017F;timmen konnte, als auch eben der-<lb/>
gleichen. Nicht, daß wir nicht &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden dächten, über<lb/>
&#x017F;ehr viele und wichtige Dinge! &#x2014; <hi rendition="#g">für mich</hi> i&#x017F;t das aber nur<lb/>
an&#x017F;cheinend. Seine Po&#x017F;ition, Nationalität, und die Wei&#x017F;e,<lb/>
wie er zu &#x017F;einem Meinen gekommen i&#x017F;t, &#x017F;ind gewiß &#x017F;ehr ver-<lb/>
&#x017F;chieden von denen, wodurch ich zu dem meinigen gebracht<lb/>
bin; wie das Meinen &#x017F;elb&#x017F;t: aber er hat eine Zartheit in &#x017F;ich,<lb/>
ja ich möchte es ein Wundes nennen, welches meine Zartheit,<lb/><hi rendition="#g">meine</hi> Feinheit, <hi rendition="#g">mein</hi> Wundes <hi rendition="#g">auf der Stelle</hi> heraus<lb/>
fühlte: und &#x017F;o auch mag&#x2019;s ihm ergangen &#x017F;ein; denn ich bin<lb/>
gewiß, &#x017F;o wie mir &#x017F;eine gentleman&#x2019;&#x017F;che, lei&#x017F;e Urbanität gefällt,<lb/>
und er meinen <hi rendition="#aq">originalisme,</hi> der gar keine Erziehung anneh-<lb/>
men will, und ihn <hi rendition="#g">öfters</hi> zu derb (<hi rendition="#g">wenn auch</hi> mit meinem<lb/>
Bewußt&#x017F;ein) berührt, nicht kann unbemerkt gela&#x017F;&#x017F;en haben, &#x017F;o<lb/>
fand er doch einen <hi rendition="#g">innen</hi> feinen Anklang verborgen, der ihn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">27 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0427] letztern oft. Mit Mocenigo iſt leicht und heiter leben; und wir haben viel geſellige Rapports, aus Öſterreich, und hier: auch iſt es angenehm einen öſterreichiſchen Venetianer, mit drei ihm natürlichen Sprachen, und Muſikliebe, zu haben, der da lieſt, und an den meiſten Dingen guten natürlichen Antheil nimmt. Williſen hat eine allerliebſte Frau; mit der, und Grä- fin Yorck, ich auch einen ſehr guten Anfang gemacht habe. Vortreffliche Frauenzimmer. Geſcheidt, natürlich, frei, un- terrichtet, ſingen z. B. beide wie die Engel. Williſen, wie Sie ihn kennen: Graf Yorck, auch unveränderlich: oder viel- mehr unverändert. Mit Graf Naczynski fühlt’ ich gleich, als ich ihn das erſtemal ſah vorigen Winter, einen innren Rap- port; auch er beſuchte mich bald nachher, und ich wüßte doch nichts, was ihn dazu beſtimmen konnte, als auch eben der- gleichen. Nicht, daß wir nicht ſehr verſchieden dächten, über ſehr viele und wichtige Dinge! — für mich iſt das aber nur anſcheinend. Seine Poſition, Nationalität, und die Weiſe, wie er zu ſeinem Meinen gekommen iſt, ſind gewiß ſehr ver- ſchieden von denen, wodurch ich zu dem meinigen gebracht bin; wie das Meinen ſelbſt: aber er hat eine Zartheit in ſich, ja ich möchte es ein Wundes nennen, welches meine Zartheit, meine Feinheit, mein Wundes auf der Stelle heraus fühlte: und ſo auch mag’s ihm ergangen ſein; denn ich bin gewiß, ſo wie mir ſeine gentleman’ſche, leiſe Urbanität gefällt, und er meinen originalisme, der gar keine Erziehung anneh- men will, und ihn öfters zu derb (wenn auch mit meinem Bewußtſein) berührt, nicht kann unbemerkt gelaſſen haben, ſo fand er doch einen innen feinen Anklang verborgen, der ihn 27 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/427
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/427>, abgerufen am 01.05.2024.